Kinder wachsen zunehmend mit nur einem Elternteil auf. Das bedeutet, dass diese modernen Familien in bestimmten Bereichen ganz andere Bedürfnisse als traditionelle Kernfamilien haben. So können Sie als Stadt/Gemeinde passende Rahmenbedingungen für diese Elternteile und ihre Kinder schaffen.
Kinder wachsen zunehmend mit nur einem Elternteil auf. Das bedeutet, dass diese modernen Familien in bestimmten Bereichen ganz andere Bedürfnisse als traditionelle Kernfamilien haben. So können Sie als Stadt/Gemeinde passende Rahmenbedingungen für die Alleinerzieherin und ihre Kinder schaffen.
Hand aufs Herz: Wie gut kennen Sie die Bedürfnisse der Alleinerziehenden in Ihrer Stadt? Wir zeigen Projekte und Ideen, die helfen.
Laut Statistik Austria lebten 2019 in Österreich rund 167.800 alleinerziehende Familien mit etwa 248.800 Kindern mit zu erhaltendem Nachwuchs unter 25 Jahren.
Davon ist mit 153.400 die Mehrheit (91,4 Prozent) Mütter und mit 14.400 lediglich 8,6 Prozent Väter. Lebensformen, die also nicht mehr aus dem klassischen Mutter-Vater-Kind-Modell bestehen, gewinnen zweifelsohne an Bedeutung.
„Während vor etwa 30 Jahren noch eine starke Ausgrenzung von allein Erziehenden Usus war, hat sich bis heute einiges bewegt und es ist durchaus normaler geworden, dass sich Eltern trennen“, sagt Doris Pettighofer, Leiterin der Österreichischen Plattform für Alleinerziehende.
„Heute fehlt es allerdings noch an vielen Rahmenbedingungen, dass alle Familien – auch die Ein-Elternfamilien – frei, selbstbestimmt und erfüllt leben können.“
Moderne Haltung erforderlich
Während der Corona-Krise hatten vor allem Single-Eltern die Auswirkungen stark zu spüren bekommen. Homeschooling, die zeitgleiche Arbeit im Homeoffice, die Isolation sowie die Sorgen um Existenz und Gesundheit führten zu einer ungleichen Mehrbelastung und häufig zu einer Form von multiplem Dauerstress.
„Seitens der Politik heißt es bei jeder Pressekonferenz, dass Alleinerziehende voll anerkannt seien. Die Realität sieht aber anders aus“, sagt Pettighofer. „Sie werden in Wahrheit nur am Rande berücksichtigt.“
Wie im Regierungsprogramm festgehalten, würden alleinerziehende Familien aber nicht als gleichwertige Familienform ‚gedacht‘ werden, sondern als ‚Ausnahmefamilien‚, die es zu unterstützen gelte – das aber nur, wenn wirklich und unbedingt notwendig.
„Diese Behandlung macht Probleme. Sowohl in der Gesetzgebung als auch im öffentlichen Bild der Familien und damit im Selbstverständnis der Alleinerziehenden“, sagt Pettighofer.
Während Benachteiligungen beim Familienbonus Plus oder Zugangsvoraussetzungen für die Sozialhilfe bei Alleinerziehenden Bundessache sind, können Städte und Gemeinden in anderen Bereichen dafür sorgen, moderne Einelternfamilien mit traditionellen Familien gleichzustellen.
Weil es dabei nicht nur um die Haltung gegenüber vorrangig Frauen, sondern auch gegenüber Kindern geht!
Respekt und Wertschätzung für Single-Eltern
Doris Pettighofer kritisiert vor allem die weit verbreitete Einstellung gegenüber so gedachter und wahrgenommener „Halb-Familien“. Alleinerziehende seien keine Opfer, sondern mit ihren Kindern zusammen vollwertige Familien. Man könnte sagen, sogar fast schon mehr als das: Schließlich leisten Single-Eltern das, was andere zusammen schaffen, oft vollständig alleine!
Mütter und ihre Kinder sind alles andere als bemitleidenswert und verdienen viel mehr größten Respekt und allerhöchste Anerkennung. „Alleinerziehende sind bestens organisiert und verfügen über eine große persönliche Stärke und Resilienz“, sagt Pettighofer. „Lediglich die Rahmenbedingungen sind oft noch nicht in ihrem Sinn gestaltet.“
Auch Kinder von Alleinerziehenden würden immer wieder in Worten ausdrücken, so Pettighofer aus der Praxis, dass sie mehr Zugehörigkeit erleben und „als normale Familien angesehen werden“ möchten. Es kann nicht sein, dass Frauen und Kinder aus Einelternfamilien – im 21. Jahrhundert – als weniger wert betrachtet werden!
Kennen Sie die Bedürfnisse dieser Zielgruppe?
Experten von Alleinerziehenden-Beratungsstellen raten dazu, die Bedürfnisse dieser Zielgruppe genau zu erfragen, um diese dann in bestehende Maßnahmen für Familien einfließen lassen zu können, ohne Alleinerziehende dabei zu brandmarken, zu stigmatisieren oder in eine Ecke zu drängen. Wer die Bedürfnisse kennt, kann diese dann bei der Erstellung verschiedener Maßnahmen berücksichtigen.
Verleugnet werden darf dennoch nicht, dass die Armuts- und Ausgrenzungsgefährdung bei vielen Alleinerziehenden und ihren Kindern ein großes Thema ist. Laut EU SILC liegt sie bei 46 Prozent. Würde es keine Sozialleistungen geben, läge die Armutsgefährdung bei 55 Prozent.
Im Österreich-Durchschnitt liegt die Armutsgefährdung bei den Alleinerziehenden bei 13 Prozent, ohne Sozialleistungen würde diese 26 Prozent betragen. „Seit der Corona-Krise hat sich die Lage verschlechtert, da viele alleinerziehende Mütter einen Teilzeitjob und eine geringfügige Beschäftigung haben“, gibt Pettighofer zu denken. „Geringfügige Tätigkeiten sind bei vielen aus Einsparungsgründen als erstes weggebrochen.“
Dennoch leben Alleinerziehende nicht immer automatisch an der Armutsgrenze, wie es gemäß dem Klischee oft angenommen wird. Denn die Situation der Alleinerziehenden geht Hand in Hand mit der Chancengleichheit der Frau an sich.
„Wir merken häufig, dass die bestehende Rollenverteilung und Dynamik in der Paarbeziehung der Eltern auch nach der Trennung aufrecht bleibt“, sagt Pettighofer. „In Familien mit traditioneller Rollenverteilung wird es für die Frauen nach einer Trennung besonders schwer.“
Hier stehen Frauen oft vor der Situation, dass die Kinderbetreuung auch nach der Trennung weitgehend bei ihnen bleibt. Während man sich in modernen Familien die Kinderbetreuung auch nach der Trennung tendenziell häufiger teile.
Die Selbstermächtigung der Frauen in jeder Lebenslage – am besten bereits vor und in bestehenden Beziehungen – ist ein wichtiger Schlüssel für ein selbstbestimmtes Leben, sowohl in einer Beziehung als auch im Fall danach.
Doris Pettinghofer, Österreichische Plattform für Alleinerziehende
Was die Alleinerzieherin braucht
Welche Lebensrealitäten haben Alleinerziehende? Folgende Bedürfnisse können Städte und Gemeinden mit verschiedenen Maßnahmen erfüllen:
Das Bedürfnis nach Gleichwertigkeit
Single mit Kind-Familien sind nicht schlechter oder minderwertig als Familien, in denen beide Elternteile noch zusammenleben. Geben Sie Alleinerziehenden eine Anlaufstelle, sprechen Sie mit ihnen und binden Sie die Einelternfamilien im Sinne der Bürgerbeteiligung in Ihre Entscheidungen und Maßnahmen ein.
Das Bedürfnis nach Kontakt und Austausch
Single-Eltern sind 24 Stunden und sieben Tage pro Woche mit der Gestaltung des Alltags ihrer Kinder sowie mit der Kinderbetreuung betraut. Einsamkeit kann da sehr schnell zum Thema werden, wenn sich das Leben vor allem um das Geldverdienen und den Nachwuchs dreht.
„Alleinerziehende vernetzen sich gerne untereinander und schätzen zugleich den Kontakt zu traditionellen Familien mit ihren Kindern“, sagt Martina Höber, Bereichsleiterin Alleinerziehende bei Verein Gigagampfa in Feldkirch.
„Unterschiedliche Veranstaltungen für Eltern mit Kindern wie zum Beispiel gemeinsame Kochkurse oder Ausflüge kommen deshalb sehr gut an.“
Petra Ruzsics-Hoitsch vom Projekt Alleinerzehende in Graz organisiert zum Beispiel alle zwei Wochen ein Sonntagscafé für Single-Mamas mit Kinderbetreuung. „Jedes Treffen findet mit einer ausgebildeten Beraterin statt und ist einem bestimmten Thema gewidmet“, so Ruzsics-Hoitsch. „Dabei geht es unter anderem um das Gefühl, Unterstützung von Gleichgesinnten zu bekommen und mit bestimmten Herausforderungen nicht alleine zu sein. Das gibt besonders in schwierigen Zeiten sehr viel Kraft.“
Unter der Woche finden darüber hinaus Yogakurse mit Kinderbetreuung statt. Im Sommer werden seit sechs Jahren gemeinsame Urlaubswochen zum Beispiel in Italien veranstaltet, bei denen es vor Ort Kinderbetreuung gibt. „Dadurch sind schon viele neue Freundschaften entstanden“, sagt Ruzsics-Hoitsch. „Auch eine Volleyballgruppe hat sich so unter den Mamas formiert.“
Als nächstes Vorhaben möchte Ruzsics-Hoitsch einen Pool an Kinderbetreuerinnen zusammenstellen: „Dafür gibt es bei Alleinerziehenden immer Bedarf!“
Das Bedürfnis nach leistbarem Wohnraum
Eine 70 Quadratmeterwohnung, die aus einer Wohnküche und einem Schlafzimmer besteht, ist für eine Alleinerziehende mit zwei oder sogar drei Kindern wenig bedarfsgerecht.
„Eine Alleinerzieherin mit einem Durchschnittseinkommen kann sich meistens aber nicht mehr als 70 Quadratmeter leisten“, sagt Doris Pettighofer.
Als Lösung sieht sie hier spezielle Konzepte des Sozialen Wohnbaus für alleinerziehende Elternteile. „Als Stadt oder Gemeinde kann ich ein derartiges Konzept zum Beispiel zur Grundvoraussetzung für die Teilnahme an der Ausschreibung erklären.“
Informationen zu den Wohnprojekten für allein Erziehende des Vereins Juno finden Sie hier.
Kinderbetreuung
Das ausreichende Angebot an flexibler und individueller Kinderbetreuung ist eine Grundvoraussetzung für die Autonomie der Frau, denn ohne Kinderbetreuung keine Möglichkeit, einer Arbeit nachzugehen.
Kreative Gemeinden und Städte können damit punkten, ausgefallene Modelle umzusetzen: Schließlich haben Singles mit Kindern auch das Bedürfnis, neben Arbeit und Kindern auch einmal Zeit für sich zu haben.
Innovative sowie günstige Babysittermodelle oder Leihoma-Dienste, die auch abends und am Wochenende genützt werden können, können da ein dankenswerter Schritt in die richtige Richtung sein.
Da Projekt „Startfee“ der Caritas Graz-Seckau zum Beispiel bietet allen Müttern von Kindern im Alter von bis zu zwei Jahren eine kostenlose Kinderbetreuung durch freiwillige Mitarbeiter zuhause für drei Stunden pro Woche an. Die „Startfeen“ unterstützen auch bei der Alltagsorganisation sowie bei Arztbesuchen und Behördengängen.
Ein ähnliches Angebot hat die Erzdiözese Wien mit dem „Projekt Familienboot“ geschaffen: Dabei können sich Freiwillige bei der Kontaktstelle für Alleinerziehende melden und eine Alleinerziehenden-Familie über einen Zeitraum von mindestens einem Jahr, wenn möglich auch länger, bei der Alltagsbewältigung unterstützen.
Die Aufgaben reichen vom Abholen aus Kindergarten oder Hort über die Unterstützung bei den Hausaufgaben und der Freizeitgestaltung bis zum Einspringen im Krankheitsfall bis hin zur Beaufsichtigung der Kinder bei Abendterminen der Eltern wie Elternabend oder Arztwegen.
Der zeitliche Rahmen wird individuell zwischen der Freiwilligen und der Familie vereinbart und kann auch variieren.
Überlegenswert ist, bei flexiblen Modellen auch bestehende Infrastruktur zu nützen, wie zum Beispiel die Räumlichkeit von Seniorenheimen oder bestehenden Kinderbetreuungsstätten.
Chancengleichheit
Chancengleichheit betrifft nicht nur die alleinerziehenden Elternteile – meistens sind es Frauen – an sich in Bezug auf Aus- und Weiterbildung sowie Berufs-, Karriere- und Verdienstmöglichkeiten, sondern auch die Kinder der Single-Eltern. „Hier ist die Bildungspolitik am Zug“, sagt Martina Höber weiter. „Ein Praxisbeispiel ist der Zugang zu Unterrichtsmaterialien wie Tablets oder Laptops.“
In der Corona-Krise hätte das Home-Schooling besonders in diesem Bereich die Unterschiede sehr deutlich zur Geltung gebracht. „Schulen können hier überlegen, wie sie bestehende Infrastruktur für alle zugänglich machen können“, sagt Höber. „Zum Beispiel könnten vorhandene Laptops auch kostenlos für zuhause verliehen werden.“
Urlaub und Ferienbetreuung
Ferien sind für Kinder und Erwachsene eine wichtige Ressource, um schöne Erlebnisse zu sammeln und Energien aufladen zu können. Lustige Feriencamps und gemeinsame Urlaube für Familien aus der Stadt oder Gemeinde können hier auf fruchtbaren Boden fallen.
Martina Höber berichtet von einer „Bunten Ferienwoche für Klein & Groß“, die von ihrer Beratungsstelle jeden Sommer veranstaltet wird. „Wir verreisen dabei gemeinsam mit den Familien“, so Höber. „Anfangs haben wir das Angebot nur für Alleinerziehende organisiert, es hat sich aber gezeigt, dass der Mix für alle Familien sinnvoller ist.“
Auch der Bedarf an abwechslungsreicher Tagesbetreuung im Juli und August ist groß – schließlich sollten auch die Kinder spüren, dass im Sommer Ferien sind!
Idee: Bonus-Angebote für die Alleinerzieherin
Überlegenswert ist auch, in welchen Bereichen es Sinn macht, Single-Eltern Bonus-Pakete im Sinne der Wertschätzung für ihre täglichen Leistungen und das oftmals niedrigere Haushaltseinkommen anzubieten.
So könnten Betriebe zum Beispiel Ermäßigungen für Single-Eltern mit Kindern offerieren. Martina Höber berichtet, dass die Vorarlberg-Card (V-Card) nach Corona für Kinder und den zweiten Elternteil im Rahmen einer „2 für 1-Aktion“ kostenlos erhältlich ist. Als logische Folge dessen wurde Alleinerziehenden der halbe Betrag verrechnet, damit jeder in gleichem Maße profitiert.
So könnten auch Restaurants oder lokale Handwerksbetriebe Einelternfamilien in aller Wertschätzung Spezialpakete schnüren. Beauty- und Fitnessbetriebe könnten alleinerziehenden Müttern – nicht nur zum Muttertag – besondere Vorteile bieten.
Auch kostenlose Kinderbetreuung kommt bei derartigen Angeboten immer gut an! Häufig mangelt es einfach an der fehlenden Betreuung, dass Alleinerziehende sich keine Auszeiten nehmen können.
Dies kann auf der anderen Seite wiederum dazu beitragen, die Loyalität und Kundenbindung zu stärken.
Und: Das nachhaltige, authentische Image der Familienfreundlichkeit hat noch keinem Betrieb geschadet!
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