Was gehört zur Kultur einer Stadt?

26.09.2017
Kultur

Photo-by-Andreas-Schaad-fuer-TVB-Goldegg

Was gehört zur Kultur einer Stadt aus der Perspektive einer 10.000 EinwohnerInnen zählenden Stadt?

Um mich an die Antwort der gestellten Frage anzunähern, habe ich als Leitsatz jene wunderbar doppelsinnige Aussage „Kultur ist keine Kunst!“ gewählt.

Unter Kultur verstehe ich – im weitesten Sinn – alles das, was der Mensch geschaffen hat, im Unterschied zum Naturgegebenen. Dazu zählen die materiellen Grundlagen ebenso wie die Institutionen oder die soziale Gestaltung unseres Lebens. Dieser Dreiklang steht nicht mehr im Widerspruch zum geistigen Leben, sondern im Einklang mit diesem.

Und natürlich zählt auch das Fundament der kultivierten Gesellschaft – also ethische und ästhetische Bedürfnisse – dazu. Und erst recht wie wir miteinander umgehen. Insofern möchte ich keine Einwohnergrenze einführen, wenn es um Kultur und Stadt geht. Denn sowohl eine Millionenmetropole, als auch eine 10.000 Personen zählende Stadt sollte über eine gediegene Gesprächskultur verfügen, wie auch über eine Konfliktkultur, also ein verlässliches Reglement zur Beilegung von Konflikten in der Gemeinde.

Mit Kultur, so meine ich, ist ganz wesentlich die Art und Weise gemeint, wie wir – zum Beispiel in der Stadt (egal welcher Größe) – zusammenleben. Es geht um die Gemeinsamkeiten einer Gruppe von Menschen: etwa um eine gemeinsame Herkunft, die gemeinsame Sprache und auch um die gemeinsame Geschichte. Und welche Werte als gemeinsame Werte verstanden werden.

Es war ein Franzose, nämlich Louis-Sebastién Mercier, der Mitte des 18. Jahrhunderts als erster literarische Notizen über das städtische Leben niedergeschrieben hat. Etwa über Paris. „Ich werde von Paris reden, … , aber nicht von seinen Bauwerken, (sondern) von den öffentlichen und privaten Sitten, von den herrschenden Ideen, von der gegenwärtigen geistigen Situation, von allem, was mich in diesem seltsamen Durcheinander von … wechselnden Gewohnheiten frappiert hat.“

 

Die Stadt als Lebensraum

Mercier schuf die Großstadtreportage. Mehr noch: er beschrieb genau, was die Kultur einer Stadt ausmacht. Und dass es die Menschen und nicht die Gebäude sind, die eine Stadt prägen. Er betrachtete die Stadt als Lebensraum und wie ihn die Bürger und Bürgerinnen nutzten.

Daran hat sich bis heute nichts geändert. Auch in den Stadtvierteln, Quartieren oder „Grätzeln“ einer Stadt nicht, in denen ein unverwechselbarer orts(dorf)typischer Charakter dominiert. Dieser wird von den BewohnerInnen und ihrer Lebensweise, ihrer Herkunft, von ihrem Beruf (früher hätte man auch die Klassenzugehörigkeit erwähnt) und Lage des Bezirks geformt, und trägt zur Unterscheidung von anderen Teilen der Stadt bei.

 

Die Aktivität der gelebten Stadt

Messbar wird das Leben in einer Stadt an ihrer Aktivität. Die Aktivität wird u.a. durch die Zählung der Passanten oder Passantinnen erfasst, die die Berechnungsbasis dafür bildet, wie kommunikativ eine Stadt ist, wie viel potentielle Begegnungen stattfinden, wie dicht die sozialen Aktivitäten, die Sozialkontakte in den verschiedenen Stadtvierteln sind. Denn es geht wie gesagt nicht bloß um die gebaute Stadt, sondern ganz wesentlich um die gelebte Stadt.

Deshalb verwundert es nicht, wenn Metropolen Farben zugeordnet werden, die etwas über die Jugendlichkeit, den Lebensstil, die Toleranz, die Technikaffinität oder das Tempo einer Stadt aussagen. New York wurde Gelb, London Rot, Paris ein Blau und Berlin die Farbe Grün zugesprochen. (Martina Löw in „Die Soziologie der Städte“).

Die Städte Europas werden allesamt gemanagt. Werden wie Unternehmen geführt. Keine der Metropolen kann in ihrem Angebotsprofil auf den Faktor Kultur verzichten. Es würde auch nicht gelingen Kultur zu tilgen, solange sie Teil des kollektiven Gedächtnisses einer Stadt ist. Wir sind, was wir erinnern.

Und wenn es uns gelingt einen Stadtspaziergang zu machen – etwa im innerstädtischen Bereich, der City, der Altstadt – und dabei den Kopf zu heben, das Mobiltelefon wegzustecken und die Fassaden zu betrachten auf denen mitunter Tafeln angebracht sind, wer hier gewohnt, komponiert oder gedichtet hat, aber auch deportiert wurde, dann wird die Ausstrahlung einer Stadt spürbar. Das kulturelle Gewebe, das die Stadt durchwirkt und einhüllt.

 

Was gehört zu Kultur einer Stadt? Lebens- und Erlebnisqualität als Entscheidungsfaktor

In ihrer Essenz ist Kultur eigentlich alles, was nicht dem Kommerz dient. In einer Zeit, in der Europas Städte im Wettbewerb um TouristInnen, aber auch um junge, gut ausgebildete Arbeitskräfte (nicht nur aus der IT-Branche) und Firmenansiedlungen stehen, wird die Lebensqualität der Stadt zu einem Entscheidungsfaktor, in welche Stadt ich übersiedle.

Und neben der persönlichen Sicherheit zählt die Erlebnisqualität zu den goldenen Kriterien der Entscheidung. Für die Bewertung der Lebensqualität ist das kulturelle Angebot – und damit sind nicht nur Hochkulturofferte wie Museen, Theater, Oper oder Konzerthaus gemeint – eines der wichtigsten wahlentscheidenden Kriterien.

In einer Zeit, in der sich die Warenangebote in der City europäischer Großstädte kaum noch unterscheiden und wir – egal wo man hinfährt – immer wieder zuhause, sprich in der vertrauten Waren- und Label-Welt ankommen, sind es kulturelle Angebote, Veranstaltungen, „Events“, die den Unterschied zur konkurrierenden Stadt ausmachen. Kultur lädt jede Stadt mit Bedeutung auf. Egal wie groß oder klein diese Stadt auch sein mag.

Das kulturelle Angebot einer Stadt muss begreifbar sein.

Im wahrsten Wortsinn. Es muss mittlerweile alle Sinnessensoren ansprechen. Ob vom Straßenmusikanten, von der Live-Übertragung aus dem Inneren der Oper auf die Großleinwand, von den Hausfassaden, vom kulinarischen Gaumenerlebnis bis zu einem spannenden EM-Fußballmatch.

Und nicht zu vergessen: die Ausstellungen in den Museen, die – vor allem wenn BesucherInnen Schlange stehen müssen – der Stadt in den Medien (natürlich auch in den social media) Wahrgenommen-Werden bescheren. Und darauf kommt es letztlich an. Egal ob es sich um einen Menschen oder um eine Stadt handelt. Wahrgenommen zu werden, also durch den Blick, die Aufmerksamkeit des anderen zu existieren, ist existenziell.

 

Kultur meint Lebensgefühl. Zuhause sein. Verstanden werden.

Kultur versteht sich als Haltung, die Stadt als Kommunikationsraum zu begreifen und zu nutzen. Stadtkultur insbesondere offeriert uns ins Gespräch zu kommen. Freunde zu treffen, zu flanieren, ja, die Stadt zu entdecken. Robert Musil schreibt im „Mann ohne Eigenschaften“: „Städte lassen sich an ihrem Gang erkennen wie Menschen.“(http://gutenberg.spiegel.de/buch/der-mann-ohne-eigenschaften-erstes-buch-7588/2)

Teil der Stadtkultur ist, welchen Stellenwert die Stadtplanung der Urbanität einräumt. Im Kern geht es darum, die sozialen und kulturellen Einrichtungen der Stadt zu vermischen und dafür zu sorgen, dass öffentlicher und privater Raum gut nebeneinander existieren können. Auch für die Durchmischung sozialer Milieus und Gruppen muss gesorgt sein, um Ghettobildung zu vermeiden, mehr noch – zu verhindern.

Für den Architekten Vittorio Lampugnani gilt, dass eine gute Stadt nicht nur eine Stadt für Reiche und nicht nur eine Stadt für Arme ist, sondern die unterschiedlichen Schichten miteinander verbunden sein sollen. „Die Stadt war immer, wenn sie funktioniert hat, ein ganz starker Ort der Integration. Die Stadt war integrativer als das Dorf, integrativer als das Land. Und das sollte sie auch bleiben.“

 

Die Stadt als Ort der Integration

Eine Stadtkultur, die von allen Bewohnerinnen und Bewohnern mitgetragen wird, stärkt die Integrationskraft einer Gemeinde. Egal wie groß oder klein sie ist. Voraussetzung dafür ist: das Interesse am Mitmenschen. Egal, ob er oder sie ein Einheimischer ist, oder ein Ausheimischer.

Stadtkultur ist, wenn von Seiten der Kommune Maßnahmen ergriffen werden, die die so wichtige Integrationskraft der Stadt stärkt. Eine solche Maßnahme kann darin bestehen, durch eine aktive Förderung der Sprache die Freude am Lesen zu stärken – gleichgültig über welches Trägermedium.
Da hilft es bereits, wenn es eine Stadtbibliothek gibt, die niederschwellig, was den Zugriff auf Bücher (ob via Onlinebestellung oder E-Books) angeht, Medien verleiht. Wenn es dann zusätzlich eine breite Angebotspalette für alle Altersgruppen gibt und mittels spezieller Initiativen die Freude am Lesen von Kind auf gefördert wird, ebnet dies den Weg, sich Bildung anzueignen.

 

Best Practice-Beispiel: „Perg liest

Als Beispiel sei die oberösterreichische Gemeinde Perg mit ihrem „Pergliest“-Programm, das durch die Initiative „Bookstart“ ergänzt wird. Das nun auch Eltern dazu angeregt werden ihren Kindern vorzulesen führt zu einer Aktivierung des gemeinsamen (kollektiven) kulturellen Gedächtnisses und ist in ihrer positiven Langzeitwirkung nicht zu unterschätzen. Perg hat sich damit als „Lesestadt“ profiliert.

 

Best Practice-Beispiel: Schloss Goldegg

Die Salzburger Gemeinde Goldegg dient als Beispiel dafür, wie durch eine Initiative, die aus der Gemeinde selbst kam, ein Kulturzentrum entstand, das weit über den Ort hinaus Strahlkraft und Bedeutung erlangt hat. Das Schloss Goldegg, es datiert aus dem 14. Jahrhundert, wurde 1973 als Ergebnis einer Bürgerinitiative von der Gemeinde erworben. Es hat sich in den zurückliegenden 35 Jahren zu einem wichtigen Kulturzentrum im Pongau entwickelt.

Kulturveranstaltungen unterschiedlichster Art, von Konzertabenden über Kabarettprogramme, wissenschaftliche Vorträge mit Schwerpunkt Medizin, die „erfolgreichen „Goldegger Dialoge“ bis zum Thomas Bernhard-Festival „Verstörungen“ und zahlreiche Seminarprogramme haben dem 2500 Menschen zählenden Goldegg das klare Profil einer kulturaffinen ländlichen Gemeinde verliehen. Das sich auszahlt.
Weil es ein spezielles kulturaffines Publikum anzieht, das das kulturelle, offene Klima des Ortes sehr schätzt. Und die Goldegger haben in den dreieinhalb Jahrzehnten gelernt, dass Kultur gepaart mit Kulinarik plus dem Interesse am Gespräch der Wahrnehmung der Destination gut tut.

 

Willkommenskultur

Übrigens: schon im antiken Athen wurden BesucherInnen, aber auch neue StadtbewohnerInnen aus anderen Ländern mit großem Interesse betrachtet. Ja fast könnte man sagen studiert, weil an ihnen die eigene Beobachtungsgabe geschult wurde. Fremde Sitten und Bräuche kennenzulernen wurde als bereicherndes Wissen bewertet. Um eine Willkommenskultur zu entwickeln, die sich als Teil der Stadtkultur versteht, sollte die Option genutzt werden, das Fremde als Bereicherung zu sehen.

Nicht die Zahl der Theater, Opernhäuser, Konzertsäle, Kinos und Museen ist es in erster Linie, was die Kultur einer Stadt formt. Es gilt – im übertragenen Sinn – der Satz „Jeder Konzertbesucher bringt seine eigene Akustik in den Saal mit“. Jeder Stadtbewohner, jede Stadtbewohnerin trägt zur Stadtkultur bei.

Ob man sich als Teil der Gemeinschaft versteht, auf die Nachbarn zugeht, Gemeinschaft lebt, sich in das Leben des Bezirks oder des „Grätzels“ involviert, weil man etwas verändern will. Und nicht bloß das Leben in der Stadt konsumiert. Sondern, dass man sich darüber im Klaren ist, dass die Stadt, nachdem sie unsere Grundbedürfnisse nach Nahrung, Wohnen und Sicherheit erfüllt hat, nicht nur ein großartiger Lebensraum ist. Sondern ein lebenswerter Kulturraum.

 

 

Michael-Kerbler

Michael Kerbler

Publizist ORF Chefredakteur

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