Partizipative Beteiligungsprozesse

17.10.2016
Veranstaltungsberichte

Ein Beitrag von Daniela Krautsack, MBA, Urban Branding Expertin und Trendforscherin (Wien):

Wer an den Dingen der Stadt keinen Anteil nimmt, ist kein stiller, sondern ein schlechter Bürger. Das sagte Perikles, einer der führenden Staatsmänner Athens und der griechischen Antike schon 500 Jahre vor unserer christlichen Zeitrechnung. Perikles sah in der öffentlichen Diskussion mit dem Volk die unbedingte Voraussetzung politischen Handelns. Im Zentrum der Stadt stand die Agora, ein Marktplatz in Athen, auf dem sich die Bürger der Polis trafen, um Waren zu kaufen und verkaufen, sich zu amüsieren, zu unterhalten und Versammlungen abzuhalten, die Belange von allgemeinem Interesse regelten. In dieser Öffentlichkeit sollte die Diskussion darüber stattfinden, was für eine Gemeinschaft getan werden sollte. Wenn Sie jetzt beeindruckt nicken und denken ‚nicht blöd, die alten Griechen’, sollte rasch erwähnt werden, dass die politische Meinungsbildung in der direkten Demokratie Griechenlands einem kleinen Teil an Bürgern vorbehalten war. Frauen, Sklaven und bloße Bewohner des Staatsgebietes waren vom politischen Geschehen  ausgeschlossen.

Fast forward ins hier und jetzt und die Demokratisierung hat sich weiterentwickelt. Das Wort Partizipation findet sich in Regierungsprogrammen wieder, Frauen haben endlich was zu sagen und so trafen sich vor kurzem fünf Expertinnen zum Thema Partizipation in Wien. Rasch erkannte man, dass Soziologen, Medienwissenschaftler, Kommunikations- und Digitalexperten und Raumplaner eine recht unterschiedliche Begriffsdefinition, Erwartungshaltung und Meinung von Partizipation haben.

Der Begriff Partizipation wird im kollaborativen Lexikon Wikipedia aus dem Lateinischen participatio mit Beteiligung, Teilhabe, Teilnahme, Mitwirkung, Mitbestimmung, Mitsprache, Einbeziehung usw. übersetzt. Solange sich diese Mitbestimmung auf die Gestaltung des unmittelbaren Lebensumfeldes der Menschen beschränkt, läuft sie jedoch Gefahr, als kurzfristig angesetzte Alibiaktion enttarnt zu werden. Nur gut gestaltete Bürgerbeteiligungen verbessern die Qualität der Entscheidungsfindung zu Themen, die PolitikerInnen bisher der Bevölkerung nicht zutrauten.

Partizipationsprojekte entstehen primär auf Initiative von Privatpersonen und setzen sich zum Ziel, BürgerInnen für Stadtentwicklung oder Netzwerkbildung zu aktivieren. Um die Anzahl der TeilnehmerInnen zu skalieren, werden dabei die Möglichkeiten und Potenziale des Internets genutzt. „Crowdsourcing“, also die Generierung von Themen und Inhalten durch die Masse im Internet sowie die Lösung von Problemen durch kollektives Wissen, wird explizit als Strategie der Beteiligung formuliert. Stadtentwicklung und Wertschöpfung wird somit durch die Masse initiiert. Bei diesen „bottom up“-Prozessen werden das Wissen, die Meinungen sowie die Ideen der partizipierenden BürgerInnen gebündelt und für reale Stadtentwicklungsvorhaben kanalisiert, und dann Experten verschiedener Fachrichtungen integriert.

Mag. Roland Gruber, Architekt und Mitbegründer von nonconform, präsentierte kürzlich bei der  DenkwerkStadt Tagung am Attersee ein Bürgerbeteiligungsmodell, das ein erfolgreiches Entwickeln von Zukunftsräumen in Städten und Gemeinden verspricht. Der Clou dabei: Gruber nimmt für den dreitägigen Beteiligungsprozess sein gesamtes Architektenteam mit. Die Architekturnormaden richten sich ihr temporäres Studio im Gemeindeamt, Vereinssaal oder einem leerstehenden Geschäftslokal ein. Optimal seien Räume, die bewusst eine Art von Werkstattatmosphäre vermitteln und als Metapher fürs unfertige Projekt stehen, erklärt Gruber. In nur drei Tagen würden BürgerInnen von früh bis spät die Möglichkeit haben, mitzuwirken. So bliebe die Energie gebündelt und würde nicht verpuffen. Ideen und Wünsche werden auf Bierdeckel geschrieben, in Ideenboxen geworfen, es werden Interviews gegeben und gemeinsam mit Architekten, Raumplanern und den wichtigsten Stakeholdern der Stadt wird an Zukunftslösungen gearbeitet.Ideen Box(c)nonconform

Copyright: nonconform

Während das nonconform ideenwerkstatt® Beteiligungsmodell primär analog zum Dialog einlädt, nutzt Federico Bastiani aus Bologna mit seinem Onlineprojekt „Social Street“ die Macht der virtuellen Vernetzung, um das Prinzip der Nachbarschaft wiederzubeleben. Via Facebook lernte er die Bewohner seiner Straße im „echten“ Leben kennen. Aus 1.000 Facebook-Freunden wurden Nachbarn, die man nun persönlich kennt. Jetzt folgen Städter auf der ganzen Welt Bastianis Idee. „Wir fühlen uns mit unseren Alltagssorgen nicht mehr alleine und anonym, sondern können uns auf unsere Nachbarn verlassen“, sagt Bastiani in Interviews. Seit es die Facebook-Gruppe „Via Fondazza“ gibt, helfen sich die Bewohner der Straße in Bologna gegenseitig, wo sie können. Ob Einkäufe, Kinderbetreuung oder Reparaturen – immer sei schnell jemand zur Seite, egal, was man braucht, sagte Bastiani. Die Nachbarn würden Zugtickets austauschen, die sie nicht mehr brauchen, ihre Möbeltransporte gemeinsam organisieren und Feste planen. Menschen ohne Auto können über die Facebook-Gruppe eine Mitfahrgelegenheit vor ihrer Haustüre finden. Als Bastiani seine geschlossene Facebook-Gruppe „Via Fondazza“ 2013 gründete, konnte er nicht ahnen, damit einmal in der „New York Times“ zu landen. Die Gruppe hatte anfangs 20 Mitglieder, nach kurzer Zeit folgten Bastiani hundert Personen und zwei Jahre später hatte er mit seinem Projekt über tausend Anhänger.

Italien Neighbors(c)The New York Times

Copyright: The New York Times

Online-Partizipation und soziale Medien haben sinnvolle Anwendungsfelder mit klaren Grenzen. Bei Beteiligungsprojekten, die schwierigen Voraussetzungen unterliegen, entsteht ein Gefühl des Gehört-Werdens, der zunehmenden Öffnung, des Überwindens von Vorurteilen, des gegenseitigen Verständnisses und Vertrauens, besonders, wenn es um persönliche Anliegen geht. Ausschließliche online Beteiligung schafft Klarheit über Interessenlagen und Positionen, fördert aber selten die Annäherung, gegenseitiges Lernen und gemeinsame Lösungssuche. Eine gute Kombination besteht darin, durch persönliche Begegnungen eine Vertrauensbasis herzustellen und den Diskurs online fortzusetzen. Die Dynamiken dabei sind aber sehr unterschiedlich und bedürfen einer spezifischen Betreuung.

Eine Expertin, die sich die Bedürfnisse und Wünsche der Menschen in Deutschland und Österreich jahrzehntelang angehört hat, ist Mirjam Mieschendahl. Mit imGrätzl.at hat sie eine Stadtteilplattform gegründet, die im April 2016 in 160 Stadtteilen in Wien ausgerollt wurde und zur Stadtteilbelebung beitragen möchte. Der Fokus von imGrätzl.at liegt dabei besonders auf der Stärkung der lokalen AnbieterInnen, Kreativen und Aktiven, denn diese tragen laut Mieschendahl als wichtige soziale Knotenpunkte in einem Stadtteil wesentlich zu einem guten Miteinander bei. Allerdings sieht sich diese Gruppe sehr großen Herausforderungen gegenüber, die sie nur in der Kollaboration mit anderen Unternehmern heben kann: Globalisierung, Digitalisierung, verändertes Konsumentenverhalten, Arbeitswelt 4.0 und ein enormer Kostendruck. Welcher nachhaltige Erfolg ist vom kooperativen Arbeiten innerhalb solcher Netzwerke zu erwarten? „Kooperatives Wirtschaften ist nicht nur eine Ökomasche, sondern von elementarer Bedeutung für eine zukunftsfähige Wirtschaftspolitik“, ist sich Dr. Michael Kopatz vom Wuppertal Institut für Klima, Umwelt, Energie sicher.

imGrätzl.at ist nicht nur für Großstädte interessant, die Plattform soll auch in ländlichen Regionen und kleineren Städten und Gemeinden eingesetzt werden, rät Mieschendahl. Denn gerade hier ist der Handlungsdruck auf Grund der demographischen Entwicklungen und des Trends zur Urbanisierung besonders hoch. Dort lösen sich die lokalen Wirtschaftskreisläufe bereits sehr viel schneller auf und genau hier kann die Plattform eingesetzt werden, um die lokalen Wirtschaftstreibenden, Kreativen und AkteuerInnen zu stärken und sichtbarer zu machen.

Ist die Bevölkerung überhaupt schon bereit für den Kontakt-, Wissens- und Ideenaustausch in der digitalen Welt? Die Soziologin, Volks- und Betriebswirtin Ursula Seethaler gründete mit Liquid Participation (= Verein zur Förderung internetgestützter Beteiligungsprozesse) einen Verein, der genau das fördern soll. Im Rahmen von Veranstaltungen und Workshops werden alle Phasen von Beteiligungsprozessen, von der Information, dem Austausch von Meinungen und Interessen bis hin zum Herbeiführen qualifizierter Entscheidungen  thematisiert und so die kreative Weiterentwicklung gesellschaftlicher Teilhabe unter Einbindung innovativer Online-Werkzeuge ermöglicht. Leitbildentwicklungen aber auch andere Stadtmarketinginitiativen können so mehr Akzeptanz und Engagementkultur in einer zunehmend vernetzten und technologisierten Gesellschaft erreichen.

Auch Maria Angerer, Mitbegründerin des Instituts für partizipative Sozialforschung, beschäftigt sich intensiv damit, wie Gruppen, Teams oder auch Gemeinden zusammen etwas Neues auf die Beine stellen können. Partizipation ist für Angerer längst eine Querschnittsmaterie geworden, die in Wirtschaft, Politik und Wissenschaft gleichermaßen relevant ist. Ein Grund mehr, hier auch das gemeinsame Denken zwischen diesen Bereichen aktiv anzugehen. „Solche Prozesse machen Spaß“, sagt Angerer und fügt hinzu: „Wir entwickeln gerade ein Tool, mit dem Moderatoren die Erkenntnisse von Beteiligungsprozessen einfach und schön visualisieren können. Man könne viel von der Start-Up-Kultur lernen, zum Beispiel Dinge im Kleinen auszuprobieren und daraus zu lernen. „Das ist für alle Beteiligten befriedigend und hält bei der Stange.“, ist sich Angerer sicher. „Umgekehrt sehen wir, dass das Thema Beteiligung besonders in großen Unternehmen immer wichtiger wird.“

Ist es also die digitale Twitter Wall, die jedes Unternehmen und jede Nachbarschaft zur Abstimmung und den Diskurs über Entscheidungsprozesse bald braucht? Für analoge Kummerkästen, die wie Postkästen und Telefonzellen schon als Relikt des 20. Jahrhunderts angesehen werden, gibt es kaum mehr menschliche Ressourcen. Immer mehr Omis und Opis wenden sich Hilfe suchend an Vereine, wie jenen für Medienarbeit und Generationen, und deren Initiative ‚Qualitätszeit’, weil „Flugtickets und Theaterkarten nur mehr online gekauft werden können“ und sich rasch herumspricht, dass man sich „einen vollen digitalen Einkaufswagen bis vor die Tür liefern lassen kann“ (O-Töne von Qualitätszeit-Kursteilnehmern). Der Hauptgrund, warum sich ältere Menschen jedoch primär an Qualitätszeit wenden, ist weil sie den Kontakt zu ihren Familien nicht verlieren wollen, die für die schnelle Kommunikation SMS, Facebook, Instagram und Whatsapp benutzen, berichtet Kornelius Pešut, Gründungsmitglied der sozialen Initiative. Qualitätszeit hilft nicht nur Senioren, sich im digitalen Zeitalter zurechtzufinden, sondern auch jenen, die Handwerksberufen nachgehen oder im Dienstleistungsbereich arbeiten und wenig Erfahrung mit digitaler Kommunikation haben.Coaching(c)qualitätszeit.at

 

Copyright: Qualitätszeit.at

 

Auch wenn noch viele Herausforderungen vor uns liegen; Der wachsende Stellenwert von partizipativen Prozessen in Deutschland und (verzögert) auch in Österreich stimmt insgesamt optimistisch. Die wachsende Zahl an Einreichungen in der Kategorie ‚Digital Communities’ beim Prix Ars Electronica weist unter anderem darauf hin. Mein Lieblingsprojekt bleibt das prämierte Projekt El Campo de Cebada elcampodecebada.org aus dem Jahr 2013 – ein physischer und virtueller Raum im Zentrum von Madrid. Vor einigen Jahren noch war dieser Platz eine stillgelegte Baustelle. Inzwischen wird er von AnrainerInnen und der Stadtverwaltung gemeinsam gemanagt. Dabei kommen Open-Source-Werkzeuge zum Einsatz, um traditionelle Missverständnisse zwischen diesen beiden Parteien zu überwinden. Hier ist der virtuelle Raum genauso wichtig wie der physische und wird gemeinsam mit anderen Community-Projekten der Stadt programmiert. Es ist ein Ort, wo neue Formen des Verstehens und ein Open-Source-Urbanismus entwickelt werden. Denn wie ein altes englisches Sprichwort sagt: Die Menschen, nicht die Häuser, machen die Stadt.

Die Preisträger der Digital Communities Kategorie des Prix Ars Electronica finden Sie zum Nachlesen hier: https://www.ok-centrum.at/?q=en/content/programm/1532Ars Electronica(c)Zuloark

Copyright: Zuloark

 

Daniela Krautsack teilt weltweite Beispiele erfolgreicher Stadtgestaltung und partizipativer Prozesse auf ihrer Cities Next Facebook Seite. https://www.facebook.com/citiesnextvienna/ Liken Sie die Seite und informieren Sie sich über aktuelle Entwicklungen zum Thema Partizipation.

 

 

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