Rurbanisierung ist ein Trend städtischer Entwicklung. Er bezeichnet die Verschmelzung von ländlichen und städtischen Merkmalen, insbesondere in den Randzonen von Großstadtregionen. Die jüngsten gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Entwicklungen befeuern die Rurbanisierung nun auch auf der Ebene der Klein- und Mittelstädte.
Was bedeutet „Rurbanisierung“?
Rurbanisierung, eine Kombination der Wörter „rural“ und „urban“, beschreibt den Entstehungsprozess eines neuen vorstädtischen Lebensstils. Im bisherigen Verständnis verschmelzen dabei ländliche und städtische Sozialstrukturen in den Außenbereichen von Großstadtregionen.
Es geht also nicht um die „Urbanisierung“ des Landes, also der stetige Anstieg des städtischen Lebens. Es geht um die Entwicklung neuer Lebensentwürfe.
Allerdings weitet sich diese Entwicklung nun in die ländlichen Regionen, die von Klein- bis Mittelstädten geprägt sind, aus. In jenen Regionen der Welt, in denen die Bevölkerung ihren Lebensentwurf selbst wählen kann, verortet die Trendforschung eine Abkehr des grenzenlosen Zuzugs in Metropolen.
Wobei, darauf weist Trendforscher Matthias Horx in seinem Zukunftsreport 2023 hin, sich dieser Trend in der Vergangenheit ca. alle 50 Jahre umkehrte. Derzeit gilt jedenfalls vor dem Hintergrund möglicher Motive wie Autarkie und Natur in Kombination mit Urbanität wieder „raus aufs Land“, wenngleich nicht mehr in völliger Abgeschiedenheit.
Heute werden Großstädte oft als zu teuer, zu eng und zu stressig wahrgenommen. Was dazu führt, dass neue „dörfliche“ Lebensstrukturen als attraktiver wahrgenommen werden und Klein- und Mittelstädte wieder in das Gesichtsfeld von Menschen rücken, die sich fragen, wo und wie sie ihr Leben verbringen möchten.
Diese neuen Lebensstile umfassen unter anderem Mischfunktionen und kooperative Ansätze, von Co-Living und Co-Working bis zur 15-Minuten-Stadt.
Die treibenden Faktoren für Klein- und Mittelstädte als Zukunftsraum
Zwar gab es den „Raus aus der Stadt!“-Trend schon davor, aber die Corona-Pandemie hat ihn nochmal massiv verstärkt. Der Wunsch nach Regionalität, Sicherheit und Lebensqualität auf verschiedenen Ebenen spielt hierbei eine wichtige Rolle.
Zudem haben die enorm steigenden Immobilienpreise in großen Städten ebenfalls zu einer deutlichen Attraktivitätsminderung von Großstädten als Lebensraum geführt.
In Summe kann man sagen: Die großen Krisen der jüngsten Vergangenheit und Gegenwart – Migration, Pandemie, Teuerung, Krieg, Arbeitskräftemangel – spielen für die Rurbanisierung eine entscheidende Rolle. Sicherheit, Überschaubarkeit bei gleichzeitiger Teilhabe am bisherigen Arbeitsumfeld sind große Treiber dieser Entwicklung.
Folgende konkrete Faktoren befeuern den Trend:
Niedrige Wohnkosten: Mieten und Grundstückspreise sind in der Regel niedriger als in den Ballungszentren und ihren Speckgürteln. Vor allem vor dem Hintergrund der anhaltend hohen Inflationsrate und den erschwerten Finanzierungsmöglichkeiten begünstigt dies den Rurbanisierungstrend.
Geändertes Mobilitätsverhalten: Digitale Lösungen für Meetings, wie sie während der Corona-Lockdowns etabliert wurden, ein gesteigerter Klimaschutzgedanke und der Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel machen das Leben außerhalb der Stadt attraktiver.
Homeoffice & Remote-Work: Die Möglichkeit, von zu Hause aus zu arbeiten, hat sich in der Pandemie durchgesetzt. In den vergangenen Jahren wird auch das Modell der Co-Working-Spaces vermehrt im ländlichen Raum zu finden. Wie beispielsweise in Moosburg, wo seit Jahren ein prosperierender Co-Working-Space das Ortszentrum belebt oder die Bespielung leerstehender Häuser wie in Bludenz ermöglichen Flexibilität.
Arbeitskräftemangel: Der in vielen Branchen vorherrschende Personalmangel stärkt die Position der ArbeitnehmerInnen. Sie können sich nun individuell bessere Bedingungen ausverhandeln, u.a. auch Homeoffice-Tage. Durch den Wegfall eines oder mehrerer Pendel-Tage pro Woche attraktiviert sich auch das Leben abseits des Ballungszentrums. Man ist nicht mehr gezwungen, in die Stadt zu ziehen.
Familienfreundlichkeit: Viele Gemeinden investieren in den Ausbau von Kinderbetreuungs- und Schulangeboten. Sowie in Freizeitmöglichkeiten in der Natur, um vor allem für Familien lebenswert zu bleiben. Beim Erstellen des Angebots können Initiativen wie das Label „Familienfreundliche Gemeinde“ helfen, wie in diesem Blogbeitrag schon ausführlich behandelt.
Freizeitverhalten: Die Möglichkeit, Sport und Bewegung in der Natur zu genießen, ist im ländlichen Raum oft attraktiver als das Kontrastprogramm zur Bildschirmarbeit in der Stadt.
Was brauchen Klein- und Mittelstädte, um davon zu profitieren?
Um vom Trend zur Rurbanisierung zu profitieren und für zukünftige BewohnerInnen attraktiv zu sein, müssen Klein- und Mittelstädte in der Lage sein, bestimmte infrastrukturelle Rahmenbedingungen zu gewährleisten. Dazu gehören beispielsweise:
Gute Anbindung an wichtige Verkehrsadern: Eine leicht erreichbare Anbindung an Verkehrswege wie Autobahnen, Bahn- oder andere Verbindungen des ÖPNV ist entscheidend, um den Zugang zu wichtigen Arbeitsmöglichkeiten und Versorgungseinrichtungen zu erleichtern. Neue Verkehrsadern wie etwa die Koralmbahn, die ab 2025 die Wirtschaftsräume Graz und Klagenfurt direkt verbinden wird, verändern die Bevölkerungsdichte entlang der Strecke und brauchten entsprechende infrastrukturelle Entwicklung. Grundsätzlich gilt: Je näher man geographisch an interessanten Wirtschaftsstandorten ist, desto besser.
Leistbarer Wohnraum: Die Schaffung von bezahlbarem Wohnraum – etwa in Form von Gemeindewohnungen oder Co-Living und Co-Housing-Konzepten – ist entscheidend, um weitere BewohnerInnen anzusiedeln und zu halten. Unterstützend dafür sind preisgünstige Energiealternativen – von der Fernwärme bis zu energieautarken Gemeinden wie Kötschach-Mauthen.
Flächendeckendes Breitbandinternet: Die Verfügbarkeit von schnellem, verlässlichem Internet und modernen Kommunikationstechnologien ist ein Basisbedürfnis der heutigen Arbeitswelt. Da die Homeoffice-Varianten stark gestiegen sind, braucht jede Gemeinde eine tadellose und leistungsfähige Netz-Infrastruktur. Besonders innovativ sind Modelle wie bei blons.net bei denen Glasfaser-Infrastruktur auf Vereinsbasis auch in jene Gebiete gebracht wird, die vom öffentlichen Ausbau erst in einigen Jahren berücksichtigt worden wären.
Weiters gehören dazu:
Funktionierende Basis-Versorgung. Dies umfasst beispielsweise Lebensmittelgeschäfte, Apotheken, ärztliche Versorgung, Schulen und Kindertagesstätten, diverse soziale Treffpunkte und Freizeiteinrichtungen, kulturelles Angebot etc. Besonders die Kinderbetreuung ist ein Riesen-Argument für einen Zuzug ins ländlichere Gebiet. Laut Studien wählen sieben von zehn Elternpaaren ihren künftigen Wohnort nach dem Betreuungsangebot ihrer Kinder. Das gilt auch für internationale Fachkräfte. Auch sie ziehen einen längerfristigen Umzug nach Österreich nur in Betracht, wenn sie ihre gesamte Familie versorgt wissen.
Spezielles Bildungsangebot. Klein- und Mittelstädte, die sich als Standort für ein besonderes Schul- oder Hochschulangebot ausweisen, profitieren von den vielen jungen Menschen, die den Ort dann bevölkern, etwa wie Leoben mit 4.000 Studierenden an der Montan-Universität oder die Tourismusschulen Bad Gleichenberg, die mehr als 300 SchülerInnen aus ganz Österreich anzieht. Entsprechende Infrastruktur – Wohnmöglichkeiten, Einkaufs- und Entertainmentspots, Mobilitätsangebote – gehen damit einher.
Satellitenbüros. Für jene, für die Homeoffice räumlich nicht in Frage kommt, die jedoch ebenfalls nicht pendeln wollen, bieten manche ArbeitgeberInnen bereits Satellitenbüros an. Der/Die MitarbeiterIn kommt also nicht ins Unternehmen, sondern das Unternehmen kommt zu den MitarbeiterInnen. Dies bietet sich an, wenn MitarbeiterInnen aus klar definierbaren Regionen oder Tälern zum Arbeitsplatz pendeln müssten.
Attraktive Bedingungen für Unternehmen und ArbeitnehmerInnen: Unternehmen müssen Anreize geboten werden, um sich in Klein- und Mittelstädten anzusiedeln. Dazu gehören steuerliche Vorteile, aber auch geeignete Rahmenbedingungen für arbeitende Elternteile bzw. deren Kinder.
Fazit
Die Rurbanisierung ist ein Trend, der die städtische Entwicklung in den Randzonen von Großstadtregionen prägt. Dieser Wandel geht mit einer verstärkten Sehnsucht nach Natur, Weite und Autarkie einher. Er hat bereits dazu geführt, dass einige Großstädte „dörfliche“ Lebensstrukturen entwickeln.
Klein- und Mittelstädte haben die Möglichkeit, von diesem Trend zu profitieren, indem sie die passenden Bedingungen schaffen und sich als attraktive Zukunfts- und Lebensräume positionieren. Die Zukunft könnte somit nicht nur in den Metropolen liegen, sondern auch in den ländlichen Regionen, die sich zu lebendigen Räumen für die nächste Generation entwickeln.
Titelbild (c) Tobias Schafer on Unsplash
Edgar Eller
Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.
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