„Und warum fliegen Sie nicht einfach?“ – Vom Versuch, nachhaltig nach Oslo zu reisen

15.07.2025
Gesellschaft

Bahn-Anreise zur Fachstudienreise Oslo 3
(c) Edgar Eller

Bei einer Reise zum Thema »urbane Nachhaltigkeit« stellt sich unweigerlich die Frage, was eigentlich dagegen spricht, auch gleich umweltfreundlich anzureisen. Die Antwort: erstaunlich vieles.

Reisen bildet – grundsätzlich. Und in besonderem Maße, wenn ein konkretes Thema als Anlass dient. So wie bei den Fachstudienfahrten des Dachverbandes STAMA Austria. Denn das Rad muss bekanntlich nicht immer neu erfunden werden; doch es gibt genügend zukunftsrelevante Innovationen, die genau darauf warten. Und je mehr man von der Welt mitbekommt, desto eher kommen einem schließlich die Ideen.

Für das Jahr 2024 plante der Dachverband eine Reise nach Oslo unter dem Titel »Green Capital City«, meine Kollegin Daniela Limberger hat hier ausführlich darüber berichtet. Die Stadt am Fjord hat es sich zur Aufgabe gemacht, die Lebensqualität ihrer Bürgerinnen und Bürger zu erhöhen, indem sie Verkehr, Energie und Stadtplanung konsequent an Umweltzielen ausrichtet – und wurde dafür bereits 2019 mit dem Titel »Green Capital City«, einer Art europäischer Kulturhauptstadt für Umweltthemen, ausgezeichnet.

Zugegeben, die deutsche Stadt Essen trug diesen Titel bereits 2017. Doch Reisen soll ja nicht nur bilden, sondern auch Spaß machen. Daher also: Oslo.

Es fährt ein Zug nach Nirgendwo

Ich wollte zumindest einen Teil der Reise dem Thema entsprechend antreten. Immerhin stammt der Begriff »Flugscham« aus dem kulturellen Umfeld von Norwegens schwedischen Nachbarn. Also: Erdgebunden von Österreich nach Oslo. Eine Strecke, die man mit einem halbwegs funktionierenden europäischen Bahnsystem in einem Zug bewältigen sollte. Doch schon nach den ersten Recherchestunden wurde klar: Das Versprechen eines grenzenlosen Europas endet spätestens am Schalter der Bahnunternehmen.

Wer nachhaltig reisen will, braucht vor allem eines: Geduld. Es gibt keine Plattform, die die gesamte Route abbildet. Jede Bahngesellschaft – von der ÖBB über die Deutsche Bahn bis hin zu den skandinavischen Betreibern – existiert in ihrer eigenen digitalen Welt. Verspätungen eines Anbieters interessieren die anderen herzlich wenig. Während Flüge mit wenigen Klicks weltweit buchbar sind, bedeutet umweltfreundlich reisen: Strecken suchen, Zeiten vergleichen, Baustellenmeldungen prüfen, Tarife entziffern – und dann auf gut Glück buchen.

Der Plan war folgender: mit dem Nachtzug der ÖBB von Innsbruck nach Hamburg. Eine Verbindung, die nur deshalb noch existiert, weil Österreichs Bahn den Glauben an das Reisen über Nacht nicht verloren hat – im Gegensatz zur Deutschen Bahn, die sich aus diesem Geschäft zurückzog, als wäre Zeit plötzlich kein wertvolles Gut mehr. Der erste Teil der Strecke schien also realisierbar. Danach jedoch verloren sich die Verbindungen irgendwo in den dänisch-schwedischen Ebenen.

Dann ein Tipp aus dem Büro: Eine Kollegin – Norwegerin – riet zur Weiterfahrt bis Kopenhagen und von dort per Fähre über Nacht nach Oslo. Romantisch, praktisch, emissionsarm.

Bahn-Anreise zur Fachstudienreise Oslo 3
Wie die MS Europa. Naja, fast. (c) Edgar Eller

Call-Center statt Expertise

Die Fähre fand ich – überraschend einfach. Der Zug? Der erschien zwar in diversen Online-Fahrplänen, doch ein Ticket ließ sich tagelang nicht erwerben. Nicht online, nicht per App – keine Chance. Meine Hoffnung ruhte nun auf menschlicher Expertise.

Also (mit dem Auto) über die Grenze zu einem deutschen Bahnhof. Vielleicht saß dort noch eine dieser alten Eisenbahnerseelen, die jede Strecke Europas aus dem Effeff kennen. Ich einfältiger Tölpel. Was ich stattdessen lernte: An einigen Bahnhöfen in Deutschland wurden die Schalter durch Bildschirme mit Videotelefonie ersetzt – Callcenter statt Expertise. Da hätte ich dann auch zu Hause bleiben können. Aber gut. Wenn die Auskunft stimmte, hätte sich die Fahrt dennoch gelohnt. Das anschließende Gespräch zeigte quasi die Situation der Deutschen Bahn in a nutshell: Die Dame im Bildschirm war im gleichen Ausmaß ratlos wie sie freundlich war. Das Gespräch endete mit der ernst gemeinten Frage ihrerseits: »Sagen Sie, warum fliegen Sie denn nicht einfach?«

Die Ursache für den Zugausfall offenbarte schließlich eine Mail der dänischen Bahngesellschaft: Eine Baustelle irgendwo zwischen Norddeutschland und Dänemark – ohne klares Enddatum. Deshalb ließ sich kein Ticket buchen, keine Planung war möglich.

Einige Tage später wurde die Reise aus organisatorischen Gründen auf 2025 verschoben. Zeit genug also für die Dänen, ihre Strecke zu reparieren – und für mich, zu überlegen, ob ich nicht doch einfach fliegen sollte.

Geschichte wiederholt sich doch

Natürlich hielt ich auch 2025 an meinem Plan fest. Immerhin hatte ich mir im Vorjahr durch stundenlange Detektivarbeit einen funktionierenden (Fahr-)Plan zusammengestellt. Diesmal klappten die Buchungen überraschend problemlos. Und wie immer, im direkten Vergleich mit dem Flieger, die altbekannte Erkenntnis: Umweltschutz hat seinen Preis. Für das, was ein Flug kostet, kommt man mit der Bahn kaum bis Hamburg – zumindest nicht, wenn man an feste Zeiten gebunden ist und nicht auf Sparangebote setzen kann. Aber gut. Einmal kann man das schon machen. Oslo, ich komme.

Wer glaubt, Geschichte wiederhole sich nicht, hat noch nie eine innereuropäische Zugreise geplant. Denn wenige Wochen vor Abfahrt erreichte mich eine automatische SMS der ÖBB: In meinem Reiseverlauf käme es zu Änderungen, ich möge mich bitte um Alternativen kümmern.

Ein Blick in „Scotty“, dem Auskunftssystem der ÖBB, zeigte: keine Nachtzugverbindung mehr. Ärgerlich genug. Im Ticketshop der ÖBB jedoch war meine Verbindung weiterhin buchbar – ein Fehler, der sich zwischen den Systemen nicht nachvollziehen ließ.

Kleiner Hinweis an die ÖBB: Vereinheitlicht bitte eure Systeme – und nutzt dafür idealerweise dieselbe App mit denselben Daten. Und benennt sie um. Denn Scotty hätte den Antrieb binnen einer Stunde wieder flott gemacht – ganz gleich, wie es um den Warpkern steht.

Bahn-Anreise zur Fachstudienreise Oslo 3
Der Tag endet, der Nachtzug steht schon bereit (c) Edgar Eller

Kostspielige Alternative

Es war erneut Zeit für menschlichen Austausch. Vielleicht wäre auch ein Therapeut hilfreich gewesen; ich versuchte es zunächst am ÖBB-Schalter – dort, wo die Mitarbeiter noch nicht durch Bildschirme ersetzt wurden. Und tatsächlich: Nach einigem Hin und Her zwischen den internen Auskunftssystemen – selbst am Schalter arbeiten unterschiedliche Programme gegeneinander – schlug man mir eine Alternativverbindung mit dem Nachtzug über Zürich statt Innsbruck vor.

Der freundliche Mitarbeiter war bereit, sie für mich zu buchen – bis mein Blick auf das Preisschild fiel. Ich machte deutlich, dass ich weder das gesamte Abteil kaufen noch mit dem Taxi nach Hamburg fahren wolle. Und grundsätzlich war ich nicht bereit, mehr zu bezahlen, da die Verschiebung ja nicht auf meinem Mist gewachsen war. Der sympathische Schalterbeamte gab mir zwar inhaltlich recht, musste aber mitteilen, dass die Preisdifferenz seine Entscheidungskompetenz überstieg. Nur seine Vorgesetzte könne das freigeben – und die sei erst nächste Woche wieder erreichbar. Ich möge bitte erneut vorbeikommen.

An diesem Punkt begann ich gedanklich, meine Tickets rückabzuwickeln und durchzurechnen, welche davon sich stornieren ließen, um mir – mit wenigen Klicks – einen Flug zu buchen. Doch eine letzte Chance wollte ich mir, den europäischen Bahngesellschaften und dem Planeten noch geben. Ich ging also am Dienstag erneut zum Schalter – und durfte meinen Nachtzug kostenfrei umbuchen.

Bahn-Anreise zur Fachstudienreise Oslo 3
Viel weniger Plastik ist im Motel One auch nicht (c) Edgar Eller

Don Quichote der Schiene

Die Reise selbst – man muss es so sagen – war nahezu ideal: 41 Stunden unterwegs, nur dreimal umgestiegen, alle Anschlüsse pünktlich, zwei Nächte lang überraschend gut geschlafen – erst im Zug, dann auf der Fähre. Die Kosten lagen zwar etwa doppelt so hoch wie bei einem Flug; ohne rabattierte Tickets wären sie sogar gut viermal so hoch gewesen. Und doch: gut investierte Zeit, gut investiertes Geld.

Was bleibt also von dieser Erfahrung? Gemischte Eindrücke. Es ist das Jahr 2025, und Europa gibt sich gerne als Vorreiter in Sachen Klimaschutz – doch wer ernsthaft versucht, sich umweltfreundlich über den Kontinent zu bewegen, fühlt sich schnell wie ein Don Quijote der Schiene. Nachhaltigkeit, so scheint es, endet an der Systemgrenze des Buchungssystems. Vielleicht sollte Europa, bevor es sich in großen Zielen und ambitionierten Emissionszielen gefällt, zunächst einmal die Grundlagen schaffen: ein echtes, vernetztes Bahnangebot, eine gemeinsame Buchungsplattform, verlässliche, aktuelle Informationen.

Stimmig wird die Erfahrung, wenn man sie nicht als gleichwertige Alternative zum Fliegen versteht – denn dieser Vergleich ist von vornherein zum Scheitern verurteilt. Wer mit dem Zug fährt, wählt keine Ersatzlösung, sondern eine andere Art zu reisen. Meine Fahrt fiel auf ein Wochenende, und ich nutzte die Zeit, um in Ruhe zu lesen. Wäre es eine Werktagsreise gewesen, hätte ich stundenlang konzentriert und mobil arbeiten können. Kein einziger verlorener Tag – während draußen, jenseits des temporären Bürofensters, die Landschaft Europas vorbeizieht.

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Schöner frühstücken (c) Edgar Eller

Eine würdeschonende Reise-Alternative

Und dann war da noch ein kleiner, fast beiläufiger Umstand, der im Gedächtnis blieb: Obwohl man auf dieser Strecke die Europäische Union verlässt, blieb man von demütigenden Sicherheitsprozeduren verschont. Kein Ausziehen, kein Durchleuchten, kein entmündigender Blick ins Gepäck. Ich musste dabei an Robert Pfaller denken, der in Wofür es sich zu leben lohnt treffend beschreibt, wie moderne Gesellschaften dazu neigen, mathematisch kalkulierte Sicherheit über menschliche Würde zu stellen. Mit feiner Ironie schlägt er zwei Eingänge an Flughäfen vor: einen für jene, die auf Nummer sicher gehen wollen, und einen für jene, die lieber ihre Würde bewahren.

Solange diese Idee noch auf ihre Umsetzung wartet, bleibt die Fahrt mit Zug und Fähre eine wohltuend unaufgeregte – und würdeschonende – Alternative.

Klimafreundlichkeit ist eine individuelle Angelegenheit

Und doch sollte man sich nichts vormachen: Die Idee der »Wahlfreiheit«, so oft beschworen, ist trügerisch. Der CO₂-Fußabdruck, wie wir ihn heute kennen, wurde nicht etwa von Umweltbewegten entwickelt, sondern von der Werbeagentur Ogilvy & Mather – im Auftrag des Mineralölkonzerns BP. Seit den 1990er-Jahren dient er dazu, die Verantwortung für klimafreundliches Verhalten vom System auf das Individuum abzuwälzen. So ist die Gesellschaft, trotz aller Appelle an Moral und Vernunft, längst nicht so weit, wie sie sein könnte. Denn echte Wahlfreiheit entsteht erst dort, wo auch die Systeme vergleichbar sind.

Meine Kollegin Daniela Limberger hat in diesem Blog über die Grundlagen hedonistischer Nachhaltigkeit geschrieben: Bequem muss das Bessere sein, damit es dem Schlechteren vorzuziehen ist. Solange das nicht der Fall ist, bleibt die Wahl eines umweltfreundlichen Transportsystems eine bewusste Entscheidung.

Aber wenigstens eine, die – mit Blick auf das Wasser und viel Zeit zum Lesen – wirklich Freude macht.

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Edgar Eller

Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.

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