Die Migration ist der Atem der Welt

21.08.2018
Gesellschaft

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Ein Gespräch von Michael Kerbler mit Dechant Alois Dürlinger über Migration und Nächstenliebe.

Michael Kerbler: Wen man die Positionen der rechts-konservativen Populisten in Europa zur Flüchtlingsfrage anschaut und analysiert, dann kommt man zu dem Ergebnis: Sie sagen NEIN zur Schutzgewährung für Schwächere, ein deutliches NEIN zur Hilfe für Schutzsuchende und damit auch NEIN zum Teilen.

Ich formuliere es traditionell christlich: sie sagen nein zu Nächstenliebe und Barmherzigkeit. Diese Gruppe von Menschen – egal wo in Europa – verhöhnt das so genannte „Gutmenschentum“ und damit auch die Kirchen, die seit geraumer Zeit Barmherzigkeit und Nächstenliebe einmahnen.

 

Wie geht es Ihnen im Alltag, wenn Sie mit dieser Haltung konfrontiert werden? Glauben Sie, dass man mit den Menschen noch eine Gesprächsebene hat? Will man eigentlich mit solchen Leuten noch reden?

 

Dechant Alois Dürlinger (c) Christoph Hettegger - FotoHech
Dechant Alois Dürlinger (c) Christoph Hettegger – FotoHech

Dechant Alois Dürlinger: In Ihrer Frage liegt ein Befund. An dem ist nicht zu rütteln. Die Populisten eint noch etwas, etwas Tieferliegendes. Sie können erst nein sagen auf Grund von Gegebenheiten. Aber diese Gegebenheiten, darin sind sie Meister, reden sie selber herbei.

Nachdem Sprache bekanntlich Wirklichkeit schafft: wenn ich zuerst Chaos beschwöre, Gefahr, wenn ich sage MigrantInnen, Hilfesuchende, Menschen auf der Flucht bringen uns an den Rand des Abgrunds, und Bilder dieser Art noch und noch, dann entsteht eine Wirklichkeit, dass viele Menschen – nicht nur der extreme populistische rechte Rand, sondern zur Mitte hin – sich irgendwann einmal sagen, wenn es wirklich so schrecklich und gefährlich ist, wie die uns glauben machen, dann muss irgendetwas dran sein.

Diese rechte populistische Schiene erzeugt eine „düstere Wirklichkeit“, die es so nicht gibt.

Gehen wir vom äußersten rechten Rand weg. Ich habe ein Email erhalten. Der deutsche Innenminister Seehofer sagt, es gibt keine Humanität, ohne dass man vorher Ordnung und Sicherheit gewährt.

Das heißt: ich würde die Humanität gerne walten lassen, aber wir haben ein solches Chaos, ein solches Gefahrenpotential, dass ich zuerst diesem wehren muss, um dann vielleicht human sein zu können.

Aber in Deutschland wie in Österreich – bleiben wir einmal bei diesen beiden Ländern – gibt es dieses fiktive Chaos, dieses Gefahrenpotential nicht. Die Statistiken sind in dieser Hinsicht eindeutig. Gewisse Straftaten sinken sogar. Aber es wird dauernd die Gefahr am Köcheln gehalten, um eine Legitimität zu schaffen für dieses mehrfache NEIN, dass Sie am Anfang zitiert haben.

 

Sie haben gefragt, wie es mir dabei geht. Ich neige zum Optimismus, sonst könnte ich Vieles, was ich tue, nicht tun, aber wenn man offenen Auges in die Gegenwart schaut, geht es mir nicht gut. Der Festredner der Eröffnung der Salzburger Festspiele, Philipp Blom, sagte in einem ORF Interview: In Polen und in Ungarn gibt es keine Demokratie mehr. Dem wurde nicht widersprochen. Dem ist nicht zu widersprechen.

Jetzt ist diese Entwicklung in so kurzer Zeit in den Nachbarländern möglich geworden. Kam so schleichend. Man fragt sich – das ist ja an den Grenzen Österreichs – was ist denn bei uns noch alles möglich? Deshalb geht es mir nicht gut. Nicht weil ich mich von diesen herbeigeredeten Ängsten anstecken ließe. Ich bin noch nirgends in Österreich in Gefahr gewesen an Leib und Leben.

Sicher: manche sagen, du bist ein Mann, du kannst am Abend auf die Straße gehen. Ich rede auch mit Frauen, die sagen, im Grunde genommen passiert uns nichts. Dass es Übergriffe gibt dort und da, das ist eine Wirklichkeit, aber die muss man bei dieser Größe lassen, wo sie ist und sie nicht ins Maßlose aufblasen.

 

MK: Weil Sie von Humanität gesprochen haben. Im Matthäusevangelium heißt es: „Was du dem geringsten meiner Brüder getan hast, das hast Du mir getan.“  Erreicht man mit dem Evangelium in der politischen Diskussion überhaupt noch jemanden?

 

AD: Bevor ich das beantworte, kann ich noch eines drauflegen: Vor drei Jahren ist mir von einer Bergmesse hier im Pongau berichtet worden. Da hat jemand kurz vor Messbeginn hörbar in die Runde gesagt: Schön, eine Bergmesse da heroben, ohne AsylantInnen. Der war offenkundig zwei Wochen vorher bei einer Bergmesse bei mir, hier vis-à-vis am Heukareck.

Da habe ich drei oder vier AsylwerberInnen mitgenommen. Offensichtlich ist das in seinem Genick gesessen und er hat sich dann dort diesbezüglich geäußert, vor Messbeginn. Und dann hat er das Wort Gottes gehört. Ich bezweifle, dass der dann geläutert und bekehrt von dort weggegangen ist.

 

Mit der Heiligen Schrift argumentiere ich sparsam, ohne einzelne Schriftstellen zu bemühen. Ich verweise gerne auf die Heiligen Schriften. Manche sagen, die sind so kompliziert, so schwer zu verstehen, da fange ich gar nicht an zu lesen. Dann sage ich, man muss ja nicht unbedingt mit der geheimen Offenbarung beginnen.

Ich sage, für mich ist die Heilige Schrift in manchem so bedrängend einfach und deutlich und sie ist kaum irgendwo so deutlich wie beim Umgang mit den Armen. Da gibt es keinen Deutungsspielraum. Wer es denn hören will, der kann es hören.

 

Aber es gibt eine Zweigleisigkeit. Gerade Menschen, die sich selbst als fromm bezeichnen, praktizierend, oft eher traditionell, wenig unter die Haut gehend, die bringen es locker unter einen Hut hie katholisch, dort fremdenfeindlich, offen fremdenfeindlich oder latent fremdenfeindlich zu sein.

Wenn ich etwas gar nicht mehr ertragen kann, dann ist es eine Satzeinleitung, die so beginnt: „Ich habe ja nichts gegen Deine Flüchtlinge, aber .. “. Dann sage ich, jetzt überlege Dir gut, was Du jetzt weiter redest. Weil, dieses Verpacken in eine Scheintoleranz ist besonders hinterhältig.

 

MK: Die Bischöfe der katholischen Kirche in Italien haben unlängst, ich zitiere „vor der Obszönität und wachsenden Barbarei im Umgang mit Schutzsuchenden“ gewarnt. Und der Erzbischof von Palermo, Corrado Lefice, hat unmissverständlich gesagt: „Christen haben die Pflicht zur Nächstenliebe“. Um die eigene Humanität zu retten, müsse man jedes Leben schützen. Was macht die Weigerung, solchen Menschen zu helfen, mit uns selbst?

 

(c) Christoph Hettegger - FotoHech
(c) Christoph Hettegger – FotoHech

AD: Es sind unserem Leben gottgegebene Grundgesetze eingestiftet. Eines ist zum Beispiel: ich kann niemals jemand anderen hassen, ohne selber dabei Schaden zu nehmen. Der andere weiß es vielleicht gar nicht, dass ich ihn hasse. Dann tut es ihm nichts. Aber mich frisst es auf. Bei der fehlenden Hilfsbereitschaft ist es genau dasselbe.

Es ist für mich unvorstellbar, dass jemand, der brutal und lieblos ist gegen die Schwachen, dass der auf Dauer mit sich in Frieden leben kann. Da braucht es keine göttliche Strafe. An die glaube ich ja gar nicht. Aber der Mensch, der hartherzig, kalt und brutal ist, aus welchen Gründen immer, der schadet sich selber.

Also mir kann niemand sagen, dass eine Küstenwache, die – unter welchen Befehlen immer – Menschen brutal hinaustreibt aufs offene Meer und damit in den Tod, dass ein solcher Mensch einen ruhigen Schlaf findet in der Nacht. Vielleicht vorübergehend, aber nicht auf Dauer.

Diese Beispiele der brutalen Abweisung, die wir jetzt an den Küsten Italiens oder wo immer sehen, die verrohen den Menschen. Es ist wie bei Schusswaffen, das ist ein schlechter Vergleich, aber: man weiß, es bleiben durch das Abfeuern sogenannte Schmauchspuren zurück.

Was meine ich damit: wer Hilfe verweigert, bei dem bleibt eine Schmauchspur des Bösen und Unbarmherzigen zurück. Und das ist nicht nur ganz individuell, sondern es entsteht ein Klima, das uns alle trifft.

 

MK: Ein italienischer Ordensmann hat am Rande der erwähnten Bischofskonferenz gesagt: Die katholische Kirche, möge „friedlichen Widerstand, so wie ihn Jesus lehrte“ leisten. Gebete sind vielleicht wichtig, aber man sei an einem Punkt angelangt, wo – Zitat – „wir mit Klugheit zivilen Widerstand organisieren müssen, wenn dies hilft Menschenleben zu retten“. Ist das Aufgabe der Kirche?

 

AD: Absolut. Es gibt genug, die sagen, die Kirche soll sich ja aus der Politik heraushalten. Die Trennung von Staat und Kirche wird bemüht. Eine segensreiche Einrichtung. Aber die darf nicht heißen, dass die Kirche den Mund halten muss, was immer politisch geschieht.

Ich erwähne manchmal folgendes Extrembeispiel: die Kirche eines Landes muss die Wiedereinführung der Todesstrafe beobachten. Soll sie dazu schweigen oder soll sie sich zu Wort melden? Die Antwort liegt auf der Hand.

Jetzt ist das ein Extrembeispiel, aber ich kann den Unterschied nicht so sehr erkennen, wenn ich vor der Küste eines Landes Menschen verrecken lasse. Wir haben ja keinen Meerzugang, aber wenn ich weiß, dass Österreich und die EU Millionen Euro zahlt, damit Menschen in türkischen Lagern eingepfercht sind.

Bei uns wäre das längst schon straffällig, wenn man Tiere so hielte. Wenn man die dort einpfercht, muss man irgendwann sagen, so geht es nicht mehr. Die Kirche muss sich sehr zu Wort melden. Und wenn sie es jetzt nicht tut, wann dann?

 

MK: Ist die Gewährung von Kirchenasyl so ein Akt des zivilen Ungehorsams?

 

AD: Ja. Aber zunächst ist das die Antwort auf die Not von Menschen. Das ist das erste Motiv. Und dann – ich habe versucht es so zu formulieren: Ein Gesetz zu überbieten. Ich bin der Überzeugung, dass das Tun von Gutem an armen Menschen kein Gesetzesbruch sein kann. Das ist für mich unvereinbar.

Es ist nicht genau konform dem Gesetz. Aber ein Mehr an Gutem zu tun wird wohl noch drin sein und drin sein müssen. Sicher braucht man da den Konsens mit politischen VerantwortungsträgerInnen. Es ist niemandem gedient, wenn es da hart auf hart ginge.

Und jetzt wird man Gespräche suchen in der Hoffnung, dass es so eine ähnliche Regelung der Duldung – was das Kirchenasyl angeht – wie in Deutschland geben wird können.

 

MK: Wie erklärt sich diese Differenz? Haben die Deutschen eine längere Tradition oder gibt es dort eine andere Rechtslage als in Österreich?

 

AD: Rechtslage haben sie – genau betrachtet – keine andere als wir in Österreich. Das Kirchenasyl war eine historische Gegebenheit. Die Gotteshäuser waren ein sogenannter rechtsfreier Raum. Die staatliche Autorität hatte keinen Zugriff in Gotteshäusern, um Verfolgten dort Schutz bieten zu können.

Das ist offiziell abgeschafft. Also eine Rechtsgrundlage, die den Kirchen ermöglicht der Exekutive des Staates zu sagen: „Ihr habt hier nichts verloren“, die gibt es so nicht.

 

Aber: es geht ja nicht um Straftäter, die man schützen und verstecken wollte. Überhaupt nicht. Sondern es geht um Menschen, die sich nichts zu Schulden haben kommen lassen. Außer: dass sie ungefragt ihr Heimatland verlassen haben und dass sie ungefragt die Grenzen unseres Landes übertreten haben. Getrieben von Krieg, von Not, verschiedenste Motive von bis.

Und einem solchen Menschen – ich halte ihn für unbescholten – Schutz zu gewähren, das kann kein Vergehen sein. Auch wenn es rechtlich so nicht gedeckt ist. Und dass Deutschland, ich sage es jetzt einmal so, schon so viel weiter ist, ist vielleicht dem Mut, der Entschlossenheit der dortigen Kirchen zuzuschreiben. Das geht ja dort über die konfessionellen Grenzen hinweg.

 

MK: Ich habe vorhin Corrado Lefice zitiert, den Bischof von Palermo, Sizilianer, der interessanterweise in der Diskussion auf die eigene Geschichte Siziliens verwiesen hat. Immer wieder ist es Sizilien so schlecht gegangen, dass viele SizilianerInnen die Insel verlassen haben, nicht nur nach Oberitalien, sondern vor allem nach Österreich-Ungarn, Frankreich und in die USA, um eine neue Existenz aufzubauen.

Und Lefice hat gesagt, wir wissen doch, wir waren dort auch nicht willkommen, aber langfristig – und jetzt zitiere ich – sei dort, wo die Sizilianerinnen und Sizilianer gearbeitet hätten, ein wichtiger Beitrag zum Aufbau einer neuen Zivilgesellschaft geleistet worden. Zitat Ende.

Was verlieren wir, wenn wir nicht – durchaus geregelt – Zuzug zulassen? Verlieren wir dadurch etwas?

 

AD: Wenn man die Grenzen dicht macht, dann sperrt man aus und man sperrt sich ein. Und wer möchte denn in einem Käfig wohnen? Ob der Käfig jetzt europagroß ist oder nach nationalistischen Gedanken noch viel kleiner gebaut wird, das ist dann eine zweite Frage. Aber allein zu spüren, wir sind eingesperrt und wir sperren aus, das ist für mich eine ganz schlimme Vorstellung.

(c) Christoph Hettegger - FotoHech
(c) Christoph Hettegger – FotoHech

Migration hat es immer gegeben. ÖsterreicherInnen und EuropäerInnen sind immer gegangen, wenn Not war. Nur geht es jetzt einmal in die andere Richtung.

Alejandro Solalinde, der Priester der MigrantInnen an der Grenze zwischen Mexiko und Amerika, der sagt „Migration ist der Atem der Welt“. Wer Migration unterbindet, erzeugt eine Atemnot. Und wer sie gänzlich unterdrückt, wird irgendwann den Atemstillstand herbeiführen. Davon abgesehen, dass es gar nicht möglich ist.

Man kann Migration, die es gibt, seit es Menschen gibt, jetzt nicht auf einmal unterbinden. Es sind die armen Länder, die 80 Prozent der Flüchtlinge weltweit aufnehmen. Die Armut teilt offenbar leichter. Der Reichtum, der Wohlstand, ist offenbar dazu nicht mehr im Stande und ist nicht mehr in notwendigem Maße gewillt zu teilen.

Die italienischen, die sizilianischen Bischöfe, Francesco Montenegro, der Bischof und inzwischen auch Kardinal von Agrigento, zu dem auch die Insel Lampedusa gehört, die sind sehr mutig und sehr stark. Da kann man sich nur freuen.

Wir wissen ja, dass es in Europa auch andere Bischofskonferenzen gibt. Man hat vom polnischen Episkopat zum Teil ganz andere Töne gehört.

 

MK: Ich habe in der Diskussion um Zuwanderung manchmal den Eindruck, wir handeln gegen unsere eigenen Interessen. Wir sind nicht einmal in der Lage egoistisch zu denken, um es überspitzt zu formulieren. Wir wissen, dass der Generationenvertrag an der Kippe steht.

Wie werden die Nachkommenden die Altvorderen finanziell dotieren können, dass sie einen Lebensabend in Würde haben, sprich unser Pensionssystem? Wir wissen, dass wir einen großen Bedarf an menschlicher Arbeitskraft haben: zum Beispiel im Bereich Pflege, Krankenpflege. Ich erwähne den Arbeitskräftebedarf im Tourismus. Warum tun wir uns so schwer mit einer geordneten Zuwanderungspolitik?

 

AD: Trefflich formuliert: „Nicht einmal in der Lage egoistisch zu denken“. Wider jede Einsicht ist diese Ablehnung.

Wir befinden uns hier zirka 600 – 700 Meter Luftlinie vom zweitgrößten Krankenhaus des Landes entfernt. Wenn heute alle Ausländer oder Fremdstämmigen ihren Dienst beenden, muss das Spital morgen schließen, weil man es nicht einmal sauber halten kann.

Weil Pflegepersonal, weil Ärzte fehlen. Die Gastronomie, nehmen wir die kommende Wintersaison, die könnte in Salzburg nicht einmal starten, weil die ausländischen Dienstkräfte nicht da wären.

 

Das alles wissen wir, aber viele schaffen diesen schizophrenen Spagat: Die brauchen wir, die haben wir, aber wir wollen sie eigentlich nicht. Am besten wäre, das wären irgendwelche unsichtbaren Roboterkräfte, die, wenn es Not tut da sind, aber ansonsten unsichtbar. Das ist widerlich.

Wir brauchen diese Leute dringendst, wir brauchen sie demographisch, in der Versorgung des Rentensystems. Wir brauchen sie an allen Ecken und Enden. Aber, dass das nicht umsetzbar ist, liegt an dieser unseligen Entdeckung, dass momentan politischer Stimmenzuwachs offenbar nur mehr über diese Schiene möglich ist.

 

Das ist eine fatale Entdeckung, dass, wenn man oben genug Ängste hineinwirft, dann tropfen unten gar nicht so wenige Wählerstimmen heraus. Wie man diesen Kreislauf durchbrechen könnte, ist die große Frage. Man müsste doch weiterdenken. Wenn man – was hoffentlich nie der Fall sein wird – diese Fremden alle los wäre, wer kommt dann als nächstes dran?

Populistische Politik funktioniert nachweislich nur über Feindbilder. Man wird wieder ein Feindbild finden. Und in der Geschichte haben diese Feindbilder traurigerweise schon ein breites Spektrum eingenommen.

Einmal war es diese Gruppe, einmal diese. Und es bleibt ja nicht beim Feindbild. Diese Gedanken, diese Worte drängen zu Taten. Am Ende geht solches Denken über Leichen.

 

MK: „Ich habe immer daran geglaubt, dass das Gegenteil von Liebe nicht Hass ist, sondern Gleichgültigkeit. Das Gegenteil von Glaube ist nicht Überheblichkeit, sondern Gleichgültigkeit.

Das Gegenteil von Hoffnung ist nicht Verzweiflung, es ist Gleichgültigkeit. Gleichgültigkeit ist nicht der Anfang eines Prozesses, es ist das Ende eines Prozesses.“ Dieser Gedanke stammt vom Friedensnobelpreisträger Elie Wiesel. Er hat Unvorstellbares durchlitten in den KZs von Ausschwitz und Buchenwald.

Ist eine Wurzel des gegenwärtigen Übels auch die Gleichgültigkeit? Erleben wir eine Europäisierung der Gleichgültigkeit?

 

AD: Absolut! Nicht nur in größeren Städten brechen Menschen auf offener Straße zusammen und viele gehen vorbei. Man beobachtet am Land, dass es eine gewisse Gleichgültigkeit gibt. Dass es die Gaffer gibt bei einem Unfall und sich nur wenige zu einer Hilfe entschließen.

Wenn die Gleichgültigkeit als Ende eines Prozesses beschrieben wird, dann sind wir schon ganz weit in diesem Prozess, der leider kein guter ist. Und nach der Gleichgültigkeit eine gewisse Verrohung.

 

Ich sage des Öfteren, es gibt Gewissen, die offenbar eine gewisse Hornhaut tragen, wo nichts mehr anrührt. Und der nächste Schritt ist schon, dass man aus dieser Gleichgültigkeit heraus ideologisch eine Stufe weitergeht und direkt vorgeht gegen Schwache und deren Rechte mit Füßen tritt.

Und das führt zu einem schlimmen Klima. Man muss, ohne Pessimist zu sein und wieder Ängste zu schüren, für sich weiterdenken. Was ist denn wohl der nächste Schritt auf dieser Prozessskala? Bei der Gleichgültigkeit sind wir absolut angelangt.

 

MK: Es gibt im Land Salzburg andererseits viele Initiativen von unten, die ein anderes Bild zeichnen. Manchmal habe ich den Eindruck, die Realität hat mit der Wirklichkeit nichts zu tun. Es gibt das Gewissen mit Hornhaut, aber es gibt auch genau das Gegenteil davon bis hin zum zivilen Ungehorsam. Wie kann man Menschen, die gerne helfen würden, Mut machen, andere Wege zu gehen?

(c) Christoph Hettegger - FotoHech
(c) Christoph Hettegger – FotoHech

AD: Wenn man die UnternehmerInnen anschaut. Es gibt da zum Glück eine große stabile Gruppe. Die haben seit Jahrzehnten AusländerInnen oder ausländisch stämmige Leute mit gutem Erfolg angestellt. Die sagen das auch. Die reden auch darüber.

Ein Sägewerksbetreiber aus dem Pongau hat mir kürzlich gesagt, er hat mit Türken begonnen und mit Jugoslawen und hatte beste Erfahrungen. Ein Hotelier aus dem Pinzgau hat mir berichtet, sein Hausmeisterehepaar sei jetzt gut dreißig Jahre bei ihm. Die haben keine Krankenstände gehabt.

Keinen Stempeltag gemacht, weil, wenn es gegangen ist, haben sie gearbeitet. Und wenn sie Urlaub gehabt haben, da haben sie am ersten Urlaubstag das Auto vollgepackt und die Verwandten in Exjugoslawien besucht und waren wieder pünktlich zurück. Brav gearbeitet.

 

Solche Beispiele gibt es ja zuhauf. Nur von denen wird nicht geredet. Da tut man so als wäre das selbstverständlich. Im politischen Diskurs wird darüber nicht geredet. Die Dienstgeber wissen es sehr zu schätzen und haben auch bestes Einvernehmen.

Momentan werden ja, wenn etwas nicht funktioniert, lauthals Probleme herbeigeredet, weil man die braucht für den momentanen Pendelschlag Richtung Populismus.

 

MK: Was jetzt gefragt ist in einer Zeit der Debatten, ist Ermutigung. Eigentlich wäre das eine Zeit für die Kirchen. Nämlich zu ermutigen.

 

AD: Absolut! Absolut Ermutigung. Papst Franziskus sagt immer: an den Taten werdet ihr sie erkennen. An den Früchten erkennt man einen Baum. Ich war vor gut zwei Jahren in den USA, in Baltimore, um dort eine wachsende Pfarre zu besuchen. Ein kostbares Gut, wenn eine katholische Pfarre 4.500 KirchgängerInnen am Sonntag hat, die aus einer sehr durchschnittlichen Pfarre heraus entstanden ist.

Der dortige Pfarrer hat mir gesagt, es gibt drei Säulen, auf denen mögliches Wachstum, man könnte auch sagen mögliche Ermutigung, beruht.

Erstens: Die Gottesdienste müssen lebendig und inspirierend sein, die – ganz Verkündigung – biblisch ins Weite führen.

Zweitens: Wer den Glauben intensiver leben möchte, muss die Gelegenheit haben, ihn in kleinen Gruppen zu teilen.

Und die dritte Säule ist ein glaubwürdiger, ein herzeigbarer Dienst an den Armen. Eine Gemeinde, die auf diesen drei Säulen steht, hat die Chance zu wachsen und ich glaube, das ist es, was die Menschen auch ermutigt. Daran führt kein Weg vorbei.

Das sicherste, wie ich Menschen fest erreiche und fest im Griff habe, ist die Methode der Angst. Das Schäbigste aber auch.

 

Michael-Kerbler

Michael Kerbler

Publizist ORF Chefredakteur

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