Menschen mobilisieren – wie geht das?

29.12.2020
Gesellschaft

Auf einen Schlag Millionen von Menschen zu erreichen war noch nie so einfach wie heute. Soziale Medien wie Facebook und Instagram machen es möglich. Auch beim Mobilisieren von Menschen helfen soziale Netzwerke und ihre Fangemeinden.

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Auf einen Schlag Millionen von Menschen zu erreichen war noch nie so einfach wie heute. Soziale Medien wie Facebook und Instagram machen es möglich. Auch beim Mobilisieren von Menschen helfen soziale Netzwerke und ihre Fangemeinden. Hilfreich sind Prominente, die den Anfang machen. Ist der Ball einmal losgetreten, läuft die Sache fast von selbst.

Natürlich hilft ein guter Zweck. Und die Vision, was mit dem gesammelten Geld gemacht wird. Oder die Hoffnung auf einen Wandel, die durch eine Demo geschürt wird. Die gute Mischung dieser Elemente ist es, die Tausende, ja Millionen von Menschen rund um den Globus mobilisiert und motiviert, ihre Geldbörse zu öffnen oder sie auf die Straße schickt.

Welche Kampagnen oder Aktionen stehen für die Mobilisierung vieler Menschen?

Ice Bucket Challenge

Die ALS Ice Bucket Challenge war als Spendenkampagne im Sommer 2014 geplant. Die Aktion sollte auf die Nervenkrankheit Amyotrophe Lateralsklerose (ALS) aufmerksam machen. Mit den eingesammelten Spenden wollte man die Erforschung der Krankheit und deren Bekämpfung vorantreiben.

Die Herausforderung bestand darin, sich einen Eimer kaltes Wasser über den Kopf zu gießen und danach Personen zu nominieren, es einem binnen 24 Stunden gleichzutun, sowie eine geringe Summe (durchschnittlich 10 €) an die ALS Association zu spenden.

Mobilisierung von Menschen
Mobilisierung von Menschen für einen guten Zweck funktioniert, wenn Spaßfaktor, Prominente und deren Social Media Accounts gekonnt orchestriert werden. Foto: Major Tom Agency auf Unsplash.com

Wollte man sich keinen Eimer Wasser über den Kopf gießen, sollte man 100 Euro spenden. Der Spaßfaktor der Aktion motivierte viele Prominente in aller Welt, die Aktion zu unterstützen und durch die sozialen Netzwerke wie Twitter und Facebook und ihre große Followerzahl explosionsartig zu verbreiten.

Ungefähr 440 Millionen Menschen hat die Kampagne erreicht, 28 Millionen haben selbst mitgemacht. 94 Millionen Euro wurden gesammelt. Damit konnte die ALS Organisation ihr Fördervolumen für ALS-Forschungen fast verdreifachen. Das Geld ging in Forschungsstipendien, worauf die Publikationen im Jahr nach der Aktion um 20 Prozent stiegen.

In Österreich hätten zwar viele bei der Ice Bucket Challenge mitgemacht, aber nur wenige gespendet, sagt ein Vertreter des ALS Forums in Österreich. Spenden für Medizin hierzulande sei grundsätzlich nicht ‚in‘, sagen Medizinexperten.

Bauer sucht Geld

Ein weiteres Beispiel für die Mobilisierung von Menschen, die an viele kleine Davids gegen Goliath erinnern, ist die Geschichte des Berg- und Almbauern Christian Bachler. Grob zusammengefasst geht es um den Kampf eines Bauern gegen die Institution Bank.

Die Hilfe eines bekannten Aufdecker-Journalisten, der die ganze Nation aufrief, ‚David‘ unter die Arme zu greifen. Und das Land spendete. Aber zurück an den Anfang der Story.

Mit einem Facebook-Video erntete der Bergbauer Christian Bachler im Frühjahr 2019 großen Zuspruch. Er prangerte die Arroganz und Überheblichkeit von „Falter“-Chefredakteur Florian Klenk an. Klenk versuche Almbauern zu belehren, obwohl er keine Ahnung von Landwirtschaft habe.

Bachler lud den „Falter“-Journalisten in dem Video ein, sich auf seinem Bergerhof, dem höchstgelegenen Bergbauernhof der Steiermark in Krakauhintermühlen auf 1.450 Meter Seehöhe, im Rahmen eines Praktikums ein Bild zu verschaffen.

Der Städter nahm die Einladung an und lernte nicht nur, wie Klimawandel und Billigfleischindustrie die Almbauern ruinieren. Er lernte auch den Bauern und seinen Hof zu schätzen.

Emotionaler Spendenaufruf als Rettung

Eineinhalb Jahre später rettet diese Freundschaft die Existenz des Bergerhofs, denn Christian Bachler hat Schulden. Die Raiffeisenbank drohte Bachler mit der Zwangsversteigerung des Hofes.

Mit einem emotionalen Spendenaufruf auf seiner Homepage wandte sich der Bauer kurzerhand an die Öffentlichkeit. Unterstützung dafür bekam er von Klenk, der vor allem auf Twitter zum Mitmachen aufrief.

Mobilisieren der Bevölkerung geht leicht, wenn Menschen Ungerechtigkeit oder den Kampf gegen eine Institution nachvollziehen und sich in die Rolle des Opfern einfühlen können. Quelle: Twitter/@florianklenk

Innerhalb weniger Stunden kletterte die Spendensumme auf mehr als 220.000 Euro. Deutlich mehr als die 150.000 Euro, die laut Klenks Angaben benötigt werden, um den Bergbauernhof und die Alm zu retten.

Der verbleibende Kredit könne somit umgeschuldet werden. Bachlers Leben müsse nicht mehr im Murauer Gemeindesaal versteigert werden. 

Auf einem Facebook-Video zeigte sich der „Wutbauer“, der für eine autonome und ökologische Landwirtschaft ohne Massentierhaltung kämpft, über die erhaltene Unterstützung gerührt und dankbar.

Wie man die herausforderndste Zielgruppe mobilisiert

Die GerAnimations-Trainerin und Autorin Anna Kofler hatte im Juli 2018 eine Idee. Sie schrieb ein Musical mit dem Titel ‚Onkel Harry‘. Ein Musical von Senior:innen für Senior:innen. Sie stellte es Madlena Komitova vor, der Abteilungsleiterin der PensionistInnenklubs der Stadt Wien. Das 1. SeniorInnen-Musical war reif für die Bühne. Frau Komitova war begeistert.

Ziel war es, die Motivation des Publikums für die Teilnahme an den Clubveranstaltungen der PensionistInnenklubs zu wecken – und: das Musical natürlich zum großer Erfolg zu machen!

Mit der richtigen Kampagne mobilisieren

Projektmanager Manfred Gansterer erklärt: „Wir wussten, dass wir 500 Senioren zu finden hatten, um die besten 30 zu casten. Wir spürten einen gewissen Druck. Schließlich hatten wir dieses innovative Kulturspektakel in einer medienübergreifenden Kampagne in der ganzen Stadt angekündigt.

Nicht nur das – wir haben die besten Gesangs- und renommiertesten Tanztrainer engagiert, um die Gruppe der Amateurschauspieler zu coachen. Und was passiert dann? Die Kampagne in den traditionellen Medienkanälen funktioniert nicht.

Nach der Kampagne hatten sich 38% der angepeilten 500 Senioren angemeldet. Also haben wir eine Kampagne auf Instagram geschalten, und die Enkel aufgerufen, die Oma anzumelden. Keine Antwort.

Dann haben wir eine Zielgruppen-Kampagne auf Facebook geschalten. Plötzlich ging’s los. Die Anmeldungen strömten herein! Den Benchmark von 500 Senioren haben wir schließlich innerhalb von 5 Tagen erreicht.“

Menschen mobilisieren
Jolanda ist eine von 30 Laiendarstellern, die eine Facebook-Kampagne mobilisieren konnte – Copyright: Pensionistenklubs der Stadt Wien

Letztendlich bewarben sich 601 Senioren. Von Oktober bis Dezember wurden 25 Medienberichte in regionalen und nationalen Medien erfasst – in der Presse, im Fernsehen und Online. Die Berichterstattung hat einen Medienwert von und 100.000 €.

Alle 10 Veranstaltungen mit 450 Plätzen sind jetzt schon ausverkauft, obwohl die Premiere des Musicals wegen Covid-19 auf Herbst 2021 verschoben werden musste.

Was tun, wenn dir Millionen folgen?

Joschka Fischer meinte in einem Interview mit Zeit.de auf die Frage, ob wir an der Klimafrage scheitern: „Das ist keine Glaubensfrage, das ist eine Überzeugungsfrage.

Selbst wenn ich wüsste, dass morgen die Welt untergeht, würde ich heute ein Apfelbäumchen pflanzen.“ Es ist eine Haltungsfrage, sagt Fischer.

Ende November 2018 spricht Greta Thunberg bei einem TEDx-Event in Stockholm. In ihrer Rede sagt sie einen Satz, der danach immer wieder zitiert werden wird: „Wir können die Welt nicht retten, indem wir uns an die Regeln halten, denn die Regeln müssen geändert werden.“

Was macht man wirklich daraus, wenn es wie Greta Thunberg gelingt, Hunderttausende oder mehr auf die Straße zu bringen? Fischer meint, der nächste konsequente Schritt wäre der Gang ins Parlament, mehrheitsfähig zu werden und eine andere Politik durchzusetzen.

Er sieht aber auch die Gefahr, die vielen dieser ‚Trailblazer‘ blüht. Sie werden von einer Art Radikalismus verführt. Das führe fast immer zur Niederlage einer solchen Protestbewegung.

Mit acht Jahren hört Greta in der Schule zum ersten Mal von der Erderwärmung. Die kindliche Neugierde des jungen Mädchens ist geweckt und so beginnt sie, sich über das Thema zu informieren.

Sie recherchiert in Schulbüchern, liest Zeitungsartikel, schaut Filme und durchlöchert ihre Eltern und Lehrer mit Fragen, bis sie versteht, was der Klimawandel eigentlich ist.

Das Wissen um die Folgen der Erderwärmung machen ihr zu schaffen. Informationen alleine reichen nicht, sie möchte etwas in ihrem Leben verändern – und beginnt im ganzen Haus das Licht auszuschalten.

Das war der erste Schritt auf einem Weg, der Greta Thunberg zur Umweltaktivistin machte. Covid-19 hat bei Fridays for Future nur den Pause-Knopf gedrückt.

Gleichgesinnte unterstützen

Als im Frühjahr die Covid-19 Pandemie viele Kleinunternehmer in Österreich hart trifft, startet Mirjam Mieschendahl einen Initiative.

Wir befragen die Netzwerkerin und Gründerin der Initiative imgraetzl.at, wie sie es geschafft hat, Tausende an Selbständigen zu mobilisieren, für ihr Überleben neue Wege zu gehen:

Mieschendahl: Ja, das war die Aktion Selbstständige für Selbstständige. 7000 Einzel- und Kleinstunternehmen, Kulturschaffende und lokale Macher sind mittlerweile Mitglieder bei imGrätzl.at.

Viele haben von unseren Services auf der Plattform profitiert und da war es dann recht einfach zu mobilisieren. Ich habe ein E-mail an einen Kreis ausgewählter Personen verschickt und einen Newsletter versendet, das war es. 

Welchen Impact hat die Aktion erzielt?

Mieschendahl: „Wir haben die Aktion mehrere Monate durchgezogen, also eigentlich bis in den späten Herbst hinein. Noch ist die Krise ja nicht vorbei. Es gab zwei Aktionsphasen.

Im ersten Lockdown haben sich 160 Experten beteiligt. In der zweiten Phase 232 Experten. Insgesamt wurden knapp 2000 Beratungsangebote und Sessions zur Verfügung gestellt und 660 Einzel- und Kleinstunternehmen und Macher haben die Angebote in Anspruch genommen. 

In den letzten Monaten hat sich eine Community aus der Aktion gebildet. Es gibt viele Selbstständige, die sich gegenseitig unterstützen möchten. Vor Covid-19 gab es keine Möglichkeit, diesem Bedürfnis nachzugehen.

Es gibt eine große Bereitschaft in der Krise, Solidarität zu leben und die eigene Leistung kostenlos anzubieten, wenn andere im lokalen Umfeld dadurch profitieren. Andere wollten “etwas zurückgeben”.

Die Aktivitäten auf der Website (wer bietet an, wer nutzt), Feedback-Mails, Kommentare direkt bei den Angeboten sowie die Social Media-Aktivitäten zeigten uns deutlich, dass die Netzwerkbildung, gegenseitige Unterstützung und damit Stärkung der lokalen Wirtschaft durch die Aktion geglückt ist und das zur richtigen Zeit.“

Zitate von Experten, die mitgemacht haben

„Die Aktion hat mich zu Beginn der Krise, nachdem die ersten Maßnahmen der Regierung gesetzt wurden, aus der Schockstarre befreien können.

Während das gesamte Kulturleben angehalten wurde und wir uns so nach und nach immer weiter in die eigenen vier Wände zurückziehen mussten, war es hilfreich, dass man trotzdem aktiv sein kann, etwas tun kann. Dass man auch von zu Hause aus einen Beitrag leisten kann, anderen zu helfen und in Kontakt zu bleiben.“ 

Katharina Sabetzer, Erzählbar

„Ich konnte einigen Selbständigen wieder auf die Sprünge helfen, sie aus der Schockstarre befreien und mit ihnen neue Ziele erarbeiten. Es war für mich eine sehr wertvolle Arbeit!“ 

Katharina Müller-Hora, Gesundheits- und Stressmanagement

Du hast in den letzten Jahren viele Unternehmen mobilisiert, sich zu vernetzen und dadurch Stadtviertel aufzuwerten. Was hat sich als Erfolgsrezept herauskristallisiert?

Wir bieten den ‚Raumteiler‘ auf unserer Plattform imgraetzl.at an, der den Unternehmen einen echten Mehrwert bietet. Dieser Raumteiler funktioniert nur über Vernetzung.

Der Mehrwert dieser Vernetzung ist der Zugang zu leistbaren Gewerbeflächen oder mehr Geld am Ende des Monats über die Mehrfachnutzung von Ressourcen.

Menschen mobilisieren
Unternehmer mobilisieren funktioniert durch Vernetzung, analoge und digitale Formate und hyperlokale Aktivitäten. Foto Copyright morgenjungs GmbH

Die ganze Plattform, aber auch alle Formate drehen sich um Potentiale, die in der Gemeinschaft liegen. Mit diesem kooperativen Ansatz positionieren wir alle Services. Unser Erfolgsrezept ist es, den echten Need bei den Nutzern zu treffen. Wir schauen, wo die Lücken sind und was es noch nicht gibt.

Wir mixen analog und digital bei unseren Formaten. Dann achten wir darauf, dass die Dinge hyperlokal funktionieren. Wir lassen die Finger von Konzepten, die erwiesenermaßen nicht funktionieren auf lokalen Plattformen z.B. e-commerce. 

Worauf kommt es beim Mobilisieren von Menschen an?

  1. Etwas für andere tun und den Vorteil für sie in den Mittelpunkt der Aktion stellen.
  2. Dabei glaubwürdig und authentisch sein.
  3. Dran bleiben, auch wenn es mehrere Jahre braucht, bis man eine Community aufgebaut hat.

Titelbild: Greta Thunberg schaffte es mit kindlicher Hartnäckigkeit, eine ganze Generation zu mobilisieren. Foto von Mika Baumeister auf Unsplash.com

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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