So verstehen wir uns: Leichte Sprache in der städtischen Kommunikation

24.08.2021
Gesellschaft

Einer muss sich quälen. Entweder der, der’s schreibt oder der, der’s liest. Damit Bürgern und Stadtbewohnern das Sich-Quälen mit schwer verständlichen Amtsschreiben oder städtischen Informationen erspart werden kann, setzt sich ein Konzept sowohl analog als auch digital immer mehr durch: die „Leichte Sprache“.

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Einer muss sich quälen. Entweder der, der’s schreibt oder der, der’s liest. Damit Bürgern und Stadtbewohnern das Sich-Quälen mit schwer verständlichen Amtsschreiben oder städtischen Informationen erspart werden kann, setzt sich ein Konzept sowohl analog als auch digital immer mehr durch: die „Leichte Sprache“.

Vorreiter waren wieder mal die USA: Dort wurde die „Plain Language“ in der öffentlichen Kommunikation bereits in den 1970ern im Zuge der „People first“-Bewegung zum Thema. 40 Jahre später schließlich verordnete Präsident Barack Obama den Behörden die für alle verständliche Klarsprache in seinem „Plain Writing Act“ von 2010.

Leichte Sprache im Gesetz

In Österreich dümpelt die Frage um die Verständlichkeit von offiziellen Informationen noch im Beeinträchtigten- und Analphabeten-Eck vor sich hin. Leider. Aber dort gibt’s halt auch verbindliche Regelungen.

Im Artikel 21 in der Behindertenrechtskonvention beispielsweise, in dem das Recht von behinderten Menschen verankert ist, sich Informationen und Gedankengut frei zu beschaffen, zu empfangen und weiterzugeben. Das setzt voraus, dass diese Informationen barrierefrei und verständlich aufbereitet sind.

Dies wiederum ist in Österreich seit 2016 im Bundes-Behindertengleichstellungsgesetz (BGStG) gesetzlich geregelt. Damit sollen Diskriminierungen von Menschen mit Behinderung verhindert werden. Für Texte, besonders jene in der Kommunikation von öffentlichen Institutionen, bedeutet das: Man sollte leicht verständliche Schriftsprache wählen. Damit es auch diese Zielgruppen verstehen können.

Woran misst sich gute Verständlichkeit eines Texts?

Leichte Sprache
(c) Pixabay

Im Detail misst sich die „Leichtigkeit“ von Sprache an gewissen Nutzungs- und Gestaltungsmerkmalen von Texten. Dazu gehören beispielsweise:

  • Eine gut lesbare Schriftart und Schriftgröße
  • Keine Blockschrift oder Kursiv-Setzungen
  • Linksbündige Texte
  • Guter Kontrast von Schriftfarbe und Hintergrund
  • Kurze Sätze, einfache Satzkonstruktionen, keine Schachtelsätze
  • Hervorhebungen wichtiger Passagen durch Fettungen
  • Fachbegriffe und Fremdwörter wenn möglich durch ein verständliches Wort ersetzen oder erklären
  • Sprichwörter, Metaphern oder Ironie weglassen
  • Zusammengesetzte Wörter durch Bindestrich teilen
  • Abkürzungen vermeiden
  • Zahlen als Ziffern schreiben, keine Tausenderpunkte

Das gesamte Regelwerk zur Leichten Sprache (kurz: LS) ist für Interessierte hier nachzulesen.

Das Nichtverstehen betrifft oft die Mehrheit

Aber geht’s tatsächlich „nur“ um Menschen mit Behinderungen oder Lese- bzw Lernschwierigkeiten, die klar und einfach formulierte Briefe, Mails oder Informationsschriften von Behörden und öffentlichen Stellen brauchen?
Definitiv nein. Denn:

  • 61 Prozent der Befragten verstehen erhaltene amtliche Schreiben nicht, ergab eine Umfrage des deutschen Allensbacher Instituts im Jahr 2014.
  • 60 Prozent der Erwachsenen in Deutschland steigen bei komplexeren Informationen wie zum Beispiel Texten von Behörden oder Firmen aus, ergab die großangelegte Level One Studie aus 2011.
  • 1 von 8 Arbeitnehmern in Österreich können nur schlecht oder gar nicht lesen, ergab eine OECD-Studie aus 2011/2012 zum Thema „Schlüsselkompetenzen von Erwachsenen“.

Paul Anton Mayer ist Manager und CEO von Capito, einem Institut mit Expertise in barrierefreie Information und leicht verständlicher Sprache. Capito wurde im Jahr 2000 gegründet und ist schließlich ein Social-Franchiseunternehmen mit 20 Standorten im ganzen deutschsprachigen Raum. Übersetzerteams, eigene Prüfgruppen für Texte und ein digitales „Leichte Sprache“-Tool gehören zum Serviceportfolio.

Eine weitere heimische Institution mit Übersetzerskills in Leichte Sprache ist beispielsweise die Lebenshilfe Österreich.

Leichte Sprache ist im Mainstream angekommen

Mayer beobachtet: „Am Anfang war Leichte Sprache ein Konzept für die Zielgruppe der Menschen mit Behinderung. Aber mittlerweile ist das Thema mitten im Mainstream angekommen.“

Zum einen kommt es nicht nur auf die persönliche Sprachkompetenz, sondern auch auf die jeweilige Situation an. Mayer: „In Stresssituationen ist man nicht aufnahmefähig, da braucht man klare, knappe Informationen“. Das betrifft etwa viele öffentliche Sicherheitshinweise.

Zum anderen zeigt sich also eine voranschreitende Digitalisierung, komplexer werdende Inhalte und Regelungen, steigender Kommunikationsbedarf: Diese Entwicklung gibt’s schon länger und hat in der Corona-Pandemie den Turbo-Boost eingelegt. Ein Leitsatz lautet: Für 10 % ist leichte Sprache notwendig, für 40 % hilfreich und für 100 % komfortabel.

Leichte Sprache
(c) Pixabay

Zielgruppen in der städtischen Kommunikation

Es geht also beim Einsatz von Leichter Sprache im städtischen Kontext nicht nur um die oft genannten Zielgruppen wie Menschen mit Behinderung, geringer Schulbildung, Migranten, Menschen mit Lernschwierigkeiten oder Ältere. „Alles, was alle betrifft und was Reibung in den dafür zuständigen Stellen verursachen könnte, sollte leicht verständlich formuliert sein“, mahnt Mayer.

Er nennt beispielsweise die Änderung von Müllabfuhr-Zeiten im Stadtgebiet. Diese Neuerung betrifft schließlich alle Stadtbewohner gleichermaßen und sollte auch für alle leicht verständlich kommuniziert und erklärt werden. Gleiches gelte für alle Service-Infos einer Stadt, etwa zu Schulen und Kindergärten, natürlich zu Integrationsthemen oder ganz aktuell zu allen Fragen rund um Covid und Impfung.

Leichte Sprache und ihre Einsatzgebiete in Städten

Leicht verständliche Sprache ist im städtischen Kommunikations-Kontext eindeutig im Vormarsch. Die Einsatzgebiete reichen folglich von der Stadt-Infozeitung oder Website über touristische Angebote bis hin zu kulturellen und letztlich auch politischen Inhalten. Ein paar gelungene Beispiele aus dem deutschsprachigen Raum möchten wir hier nennen:

* Im Stadtführer Einfach:Graz, der im Sommer 2020 veröffentlicht wurde, werden leicht verständlich die Sehenswürdigkeiten der Stadt präsentiert. Dafür haben Menschen mit Behinderungen und Studierende der FH Joanneum eng zusammengearbeitet. Zielgruppe sind nicht nur Menschen mit Behinderungen, sondern generell Menschen, die sich gerne in einfacher Sprache umfassend informieren wollen.

Sibylle Dienesch, Vizerektorin des Grazmuseums, dazu: „Ich sehe den inklusiven Stadtführer als wichtigen Schritt, um Barrieren im Kultur-Betrieb abzubauen und das kulturelle Angebot allen zugänglich zu machen.“

* Bewusstseinsbildung nach innen betreibt die Stadt Wien. Sie hat für ihre Magistrats-Mitarbeiter den umfangreichen Leitfaden „Wien spricht anders“ für kundenfreundliche Sprache bzw. für verständliche Kommunikation mit Bürgern herausgegeben. Er enthält also praktische Tipps für klare mündliche und schriftliche Kommunikation (off- und online) mit den Stadtbewohnern, die sicher auch andere und kleinere Städte in ihren Kanon der Bürgerfreundlichkeit mit aufnehmen können.

Leichte Sprache

* Wie bereits viele andere Städte bieten auch die Stadt Salzburg oder die Stadt Innsbruck eine Leichte-Sprache-Übersetzung ihrer Website an. Darauf sind sämtliche relevanten Themenbereiche der Stadt zu finden, die zuvor in eine leicht verständliche Version transformiert wurden. In Österreich noch eher unüblich, greifen auf dieses Konzept der Web-Kommunikation auch schon kleine Städte zurück, wie etwa die 17.000-Einwohner-Stadt Sigmaringen.

Best Practice-Beispiel: Kindberg

* Ein Herzeigeprojekt einer kleinen Stadt ist das der steirischen 8.000-Seelen-Stadt Kindberg. In jeder Ausgabe der Gemeindezeitung ist seit heuer immer eine Seite für Informationen in Leichter Sprache reserviert. Thematisch werden Trendbegriffe (zB Nachhaltigkeit) aufgegriffen oder heimische Firmen vorgestellt und ihr Betriebsgegenstand erklärt.

* Politische Bildung in Leichter Sprache ist eine Kategorie, die sich eine Bundeshauptstadt definitiv zutrauen sollte. Berlin macht das. In der Broschüre „Mitbestimmen! Demokratie und Politik in Berlin – in Leichter Sprache“ werden die verschiedenen Ebenen der Beteiligung auf einem verständlichen Niveau und mit anschaulichen Beispielen dargestellt.

Beispieltext in drei Sprach-Stufen

Für alle, die jetzt tiefer in die Materie eintauchen wollen: Ein konkretes Beispiel für die Verständlich-Machung eines Textes in drei Stufen sind wir noch schuldig.

Dieses hier haben wir am sehr lesenwerten Blog „Multisprech“ gefunden, der Beiträge aus mehreren spezialisierten Blogs zu den Themen Sprachenvielfalt/Einfache Sprache/Sprachkritik vereint. Ursprünglich erschienen diese Texte im Magazin der „Aktion Mensch“ vom Jänner 2017.

1. Ursprungstext (Meldung im ZDF):

Nitrat im Grundwasser: EU verklagt Deutschland

Deutschland muss sich wegen mutmaßlicher Versäumnisse beim Grundwasserschutz einem Verfahren am Europäischen Gerichtshof (EuGH) stellen. Die EU-Kommission habe Ende Oktober die im April angekündigte Klage gegen die Bundesrepublik eingereicht, sagte ein EuGH-Sprecher in Luxemburg. Als Hauptursache für die hohen Nitratwerte in Deutschland gelten zu lasche Regeln für den Umgang mit Gülle und Kunstdünger in der Landwirtschaft.

2. Übersetzung in leicht verständliche Sprache, 2. Sprachlevel

Zu viel Nitrat im Grund-Wasser

Die EU-Kommission hat Deutschland verklagt. Das ist die „Regierung“ der EU. Warum? Weil in Deutschland zu viel Nitrat im Grund-Wasser, in Flüssen und in Seen ist.

Zu viel Nitrat schadet der Gesundheit und kann sogar krank machen. Deshalb darf nur eine bestimmte Menge Nitrat im Grund-Wasser sein. In Deutschland liegen die Nitrat-Werte aber oft über der erlaubten Menge. Das haben Wissenschaftler festgestellt.

Erklärung:

Nitrat: Nitrat ist ein Salz. Es ist zum Beispiel in Dünger enthalten. Gießt man Pflanzen mit einem Dünger, in dem Nitrat ist? Dann nehmen sie es auf. Und wenn man die Pflanzen später isst, dann ist man das Nitrat mit.

3. Übersetzung in Leichte Sprache, 1. Sprachlevel

Gefahr für unser Trink-Wasser:
Deutschland muss zu einer Gerichts-Verhandlung.

Die Europäische Union ist eine Länder-Gruppe.
Man sagt auch: EU
Zu dieser Gruppe gehören 28 Länder.
Auch Deutschland gehört dazu.

Die EU macht Gesetze.
An diese Gesetze müssen sich alle EU-Länder halten.
Sonst kann die EU das Land verklagen.
Das bedeutet:
Das Land muss vor ein Gericht.

Vor kurzer Zeit ist das passiert:
Die EU hat die Regierung von Deutschland verklagt.
Aus einem ganz bestimmten Grund:
Weil Deutschland sich nicht an die Gesetze hält, die es für unser Trink-Wasser gibt.

In diesen Gesetzen steht:
In unserem Trink-Wasser dürfen keine Stoffe sein, die uns krank machen.
Einer dieser Stoffe heißt: Nitrat.
Man spricht es: Nie–Trat.
Nitrat ist ein Salz.

Fazit

Durch verschiedene Dialoggruppen, komplexe Sachverhalte und die zunehmende Digitalisierung erhöht sich der Druck, Texte möglichst klar verständlich und einfach zu gestalten. Das Konzept der Leichten Sprache, ursprünglich für Menschen mit Behinderungen und Lernschwierigkeiten entworfen, erobert so immer mehr Bereiche der öffentlichen Kommunikation.

Für große wie für kleine Städte ergeben sich damit eine Reihe von sinnvollen und möglichen Einsatzgebieten. Sie reichen von leicht verständlich gestalteten Service-Informationen und touristischen Angeboten bis hin zu internen Kommunikationsstandards oder Leicht-Lesen-Angeboten auf Website und in der Stadtzeitung.

Titelbild (c) Pixabay

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