Kultur als Instrument zur atmosphärischen Stadtgestaltung

26.04.2023
Kultur

Klanglicht-graz

Jede Stadt, ob groß oder klein, profitiert von einer lebendigen kulturellen Szene. Doch die Ansprüche des Publikums an die erlebbaren Kulturformate haben sich gewandelt. Kultur in der Stadtgestaltung: Dieser Text beschäftigt sich mit der Frage, wie Kultur sich heute präsentieren muss, um zum Publikumsmagneten zu werden.

 

Als Stadtmarketing-Organisation beschäftigen wir uns damit, was die Stadt lebenswert macht. Dazu zählt Vieles aus unterschiedlichen Bereichen, etwa die Verfügbarkeit von Grünflächen und Verkehrsanbindungen, die Qualität des Gesundheitswesens, konsumfreie Zonen, der Grad der Toleranz und Gesprächskultur in einer Stadt, aber auch das Bildungsangebot und -niveau sowie der sogenannte „Kulturbranchenmix“.

Es geht also immer um die Frage: Was suchen die Menschen, die in einer Stadt leben, was motiviert sie, was begeistert sie, was wollen sie erleben? Wie lässt sich die Stadt und ihre Geschichte(n) neu erzählen? Diese Formate zu finden und zu entwickeln ist Aufgabe von Stadtmarketing-Organisationen.

 

„Donnerszenen“: Maßgeschneidertes Festival für Klagenfurt

Ein Klagenfurter Beispiel dafür sind die „Donnerszenen“: Ein Sommerfestival, das stark auf die Geschichte der Stadt referenziert.

Im Rahmen der Donnerszenen werden diverse Renaissance-Innenhöfe der Stadt an 8 bis 9 Donnerstagen im Sommer bespielt – mit dem Ziel, den BesucherInnen die Schönheit der Höfe näher zu bringen, aber auch ein Bewusstsein für die große Zahl und Vielfältigkeit dieser Innenhöfe in Klagenfurt zu schaffen.

 

Kultur in der Stadtgestaltung
DonnerSzenen_Mate Bro (c) Martina Karulle

 

Darüber hinaus wird bei den Donnerszenen heimischen KünstlerInnen eine zusätzliche Auftrittsmöglichkeit geboten. Die im Rahmen des Festivals formierten Künstler-Duos (nach dem Motto: „Freunde fürs Leben“) laden heimische KünstlerInnen ein, ihre abgewanderten Künstlerfreunde für diesen gemeinsamen Abend zurück nach Hause zu holen. Damit bewährt sich Klagenfurt einmal mehr als Ort der Inspiration und Kreativität.

Ein Kernpunkt des Festivals ist der Gratis-Eintritt zu den Konzerten und Lesungen. So ist ein „barrierefreier“ Zugang zur Kultur gewährleistet, bei dem sich die BesucherInnen völlig neuen künstlerischen Eindrücken aussetzen und jederzeit kommen und gehen können.

Die zeitliche Konzeption der Veranstaltungen (3 Sets zu je 35 Minuten) stellt sicher, dass die Donnerszenen keine Konkurrenz zu den Programmen der Kultur-VeranstalterInnen sind, sondern lediglich die Neugier darauf wecken. Konzertprogramme werden nur angeteasert und können so Lust machen auf eine später stattfindende Langfassung.

Letztlich ist auch die Uhrzeit, zu der die „Donnerszenen“ stattfinden (16 bis 22 Uhr) ein Angebot für den Innenstadt-Handel, an diesen lauen Abenden mit guter Musik und netten Leuten auch ein Shopping-Erlebnis abseits der herkömmlichen Öffnungszeiten zu ermöglichen.

In Summe gelingt es mit den Donnerszenen, die Stadt Klagenfurt während der Sommermonate atmosphärisch aufzuladen, besondere Erlebnisse und Inspiration zu bieten.

 

DonnerSzenen_Fabian Mang & Dees (c) Katrin Pischounig

 

8 Punkte für Kunst MIT Publikum

Was also sind nun die allgemeinen Kriterien, die der Kunst Publikum bringen?

Acht Punkte sollten in diesem Zusammenhang genannt werden:

  1. Herausragende Qualität des Gebotenen.
    Das Programm sollte inhaltlich Außergewöhnliches, Unbekanntes, Neues in hoher Qualität bieten. Das Publikum sehnt sich nach neuem Input bzw. besonderem Kulturerleben und straft Programme à la „more of the same“ rigoros ab.
  2. Große Namen/Persönlichkeiten.
    Klingende Namen lösen automatisch hohes Interesse aus. Einen bekannten „Star“ hautnah und live zu erleben, zählt zu den außergewöhnliche Kulturerlebnissen.
  3. Neue, verborgene Kultur-Orte.
    Kunstgenuss gepaart mit dem Entdecken neuer Orte in einer vermeintlich durch und durch bekannten Stadt macht Lust, dabei zu sein. Dafür eignen sich Lost Places (zB: leerstehende Industriehallen), aber auch semi-öffentliche bis private Kleinode. Bei den Donnerszenen etwa werden auch nicht-öffentliche Renaissance-Innenhöfe in der Stadt bespielt.
  4. Eine klare, künstlerische Vision.
    Willkür und Allerwelts-Angebote in der Programmierung eines Kulturevents sind ein No-Go. Das Publikum will und muss eine größere Idee dahinter wahrnehmen können. Ein Beispiel ist das Festival WOD für zeitgenössische Musik in Salzburg, das heuer den Fokus ganz auf das Thema „Elegie“ setzte.
  5. Programmhefte in Print.
    Neben digitalen Inhalten, die heute selbstverständlich sind, werten gedruckte Programmhefte ein Kulturevent maßgeblich auf, weil sie unkomplizierte und haptische Orientierung bieten – sofern sie gut lesbar, gut übersichtlich und nicht zu hochtrabend formuliert und gestaltet sind.
  6. Neue Formate.
    Auch hier gilt: Das Gewohnte durchbrechen. Eine Möglichkeit beispielsweise, die bei den Donnerszenen gewählt wird: Auftritte von Duos aus zwei miteinander bekannten oder befreundeten MusikerInnen, die sich nur für einen Veranstaltungsabend bilden.
  7. Diskursive Inhalte.
    Nichts ist schlimmer, als wenn Kunst und Kultur angestaubt, altbacken und eingeschlafen wirken. Kunst muss aktuelle Probleme thematisieren, Diskurse anstoßen, neue Inspirationen eröffnen.
  8. Partizipation ermöglichen.
    Die Zeiten, in denen BesucherInnen mit bloßer Berieselung ihr Auslangen fanden, scheinen also vorbei. Mitdenken, mitreden, mitgestalten dürfen ist ein Anspruch, den das Publikum auch an Kunst und Kultur stellt.

 

Im Umkehrschluss heißt das, Kunst findet nur schwer ihr Publikum, wenn:

  • Die Qualität des Gebotenen nicht passt.
  • Altes, Bekanntes oder Banales gezeigt wird.
  • Die Bewerbung des Formats ausschließlich auf Social Media erfolgt.
  • Die Tradition verloren geht, dass sich KünstlerInnen gegenseitig bei Veranstaltungen besuchen.

 

Kunst minus Überforderung & Langeweile

Denn: Die Möglichkeiten, eine kulturelle Veranstaltung vor der Haustür zu umgehen oder zu „ersetzen“, sind zahlreich.

Einerseits ermöglichen Billigflüge Kulturgenuss in ganz Europa, verbunden mit einem Städtetrip. So taugt ein günstiger Flug von Wien nach Venedig für eine Oper im Teatro La Venice genauso wie für eine Gondelfahrt durch Venedigs Kanäle, der Nachtzug nach Rom beinhaltet dann nicht nur einen Stadtbesuch, sondern auch ein Konzert von Maneskin. Hier kann der Eindruck entstehen, nur noch Blockbuster im Kunst- und Kulturbereich ziehen das Publikum an.

Andererseits reicht Inspiration nicht mehr als Kernaufgabe der Kunst, sie muss offenbar zunehmend auch unterhalten. Der Trend, den kommerzielle VeranstalterInnen derzeit verfolgen, geht hin zu Kurzformaten oder Best-Of-Ausschnitten. Das hat entsprechende Auswüchse wie ein einstündiges „Best of Mozart“-Programm zur Folge. Meist sind diese Events auch gut besucht, weil vergleichbare kurze Formate in höherer Qualität fehlen.

Daraus kann man als VeranstalterIn seine eigenen Schlüsse ziehen. Es gilt, künstlerische Kurzformate zu entwickeln, ohne bei der Qualität große Abstriche zu machen. Eine Gratwanderung zugegeben, die aber gelingen kann. Um beim Beispiel zu bleiben: Mozart schrieb tatsächlich auch kurze Opern wie „Bastien & Bastienne“, die sich für die neuen Publikumsansprüche eignen.

 

Beispiele gelungener Kunst- und Kulturformate

Wenn Kunst sich mit der Stadt verbindet, können daraus echte Publikumsmagnete entstehen. Als Beispiele aus Österreich bzw. ganz Europa seien hier genannt:

  • Klanglicht Graz
    Gemeinsam mit international renommierten KünstlerInnen verwandelt das Kunstfestival der Bühnen Graz drei Herbstabende lang öffentliche Räume, Plätze und Gebäude zu außergewöhnlichen Licht- und Kunstinstallationen. 2015 gegründet, begeistert die Inszenierung der Stadt mit den Mitteln von Licht und Klang immer Ende Oktober die StadtbesucherInnen. Die Kriterien wie neues Format, ungewöhnlicher Ort oder die klare künstlerische Vision sind hier daher voll erfüllt.
  • Lichtinstallationen Salzburg 2005/2006
    Zum Jahreswechsel 2005/2006 und als Start ins offizielle Mozartjahr 2006 wurden an 6 Positionen in der Altstadt Salzburgs historische Fassaden mit überdimensionalen Lichtinstallationen und Projektionen bespielt – als Teil des Silvesterprogramms der Stadt. Auch hier finden sich die Punkte „Neue Orte“, „Neues Format“ erfüllt.

 

Kultur in der Stadtgestaltung
Lichtblick in der Dietrichsruh zu Silvester in Salzburg

 

Weitere Beispiele:

  • „Poolbar Festival“ in Vorarlberg
    Bereits seit 30 Jahren wird bei diesem Festival Design, Kunst, Livemusik und Lebensfreude in den Fokus gerückt – und zwar in einem leerstehenden Hallenbad und auf den umliegenden Wiesen. Ein Lost Place wie aus dem Bilderbuch.
    Gezeigt werden künstlerische Nischen genauso wie Gängiges aus Pop und Rock, der Anspruch eines genreübergreifenden Programms wird fokussiert verfolgt. Das Sommer-Festival zieht jährlich rund 25.000 BesucherInnen an.
  • „Einfach leben“ in Obertrum, Salzburg
    Dieses neue Festival für Bier & Kultur findet zeitgleich mit der GAST in Salzburg statt. Der interdisziplinäre Ansatz von Kultur & Kulinarik bietet daher frische Zugänge zu beiden Themenbereichen und ermöglicht einem lebendigen Diskurs, der Teilhabe der BesucherInnen voraussetzt.
  • „Rendezvous de L’Erdre“, Nantes, Frankreich
    Dieses dezentral organisierte Festival – es bespielt 12 Orte zwischen Nantes und Brest – zieht jährlich über 150.000 BesucherInnen an. Der besondere Ort ist hier die runde Bühne am Fluss, die den Dreh- und Angelpunkt des Festivals darstellt. In Kombination mit dem historischen Bootscorso entsteht ein neues Festival-Format, das europaweit einzigartig ist.

 

Festival Les Rendez-Vous de l’Erdre

Weitere Beispiele:

  • „Jazz Festival“ Ljubljana
    Es gehört zu den ältesten Festivals in Europa und wird 2023 zum 64. Mal über die Bühne gehen. Von Beginn an war die Wandlungsfähigkeit und Vielseitigkeit des Programms eine große Stärke dieser Veranstaltung, hier gibt es Jazz-Erlebnis im Mix mit Contemporary Dance, Poetry, Video und anderen Kunstformen. Und das an immer neuen und ungewöhnlichen Orten der Stadt. In Parks, leer stehenden Einkaufszentren, Ruinen, etc.
  • „Sommer.Frische.Kunst“, Bad Gastein
    Überraschende kulturelle Begegnungen werden hier geboten, indem Leerstände im Ort mit Ausstellungen, Lesungen, Konzerten u.ä. belebt werden. Entlang eines Art-Trails wandern Kulturinteressierte von einer außergewöhnlichen Kunst-Location zur nächsten und erfahren dabei ein spannendes Zusammenspiel zwischen Kreativität und Natur.
  • Umbria Jazz, Perugia/Orvieto
    Das 1973 gegründete Jazzfestival gehört zu den wichtigsten europäischen Jazz-Festivals. Neben dem Hauptfestival im Juli findet zwischen Weihnachten und Neujahr in Orvieto immer eine Winterausgabe statt, was angesichts der klimatischen Bedingungen dieser Region ein für das Publikum attraktiver Termin ist. Umbria Jazz zieht große Namen der Jazzszene an und zeichnet sich durch einen progressiven Zugang aus.
  • „Ars Electronica“, Linz
    Die vielfältigen Wechselwirkungen zwischen Kunst, Technologie und Gesellschaft prägen dieses Festival in Linz. Es war weltweit eine der ersten Veranstaltungsreihe, die sich mit digitaler Kunst, digitaler Technik und deren gesellschaftlichen Auswirkungen auseinandersetzte. Der interdisziplinäre Ansatz schließt daher Kreativ- und Kunstszene mit Wirtschaft und Wissenschaft zusammen.

 

Kultur in der Stadgestaltung
Ars Electronica Linz

Fazit

Wie müssen also Kulturformate gestaltet sein, um genügend Publikum anzuziehen? Mit dieser Frage beschäftigt sich dieser Text. Aus den gelisteten Qualitätskriterien und der Darstellung verschiedener gelungener Veranstaltungs-Modelle lässt sich daher schließen: Es braucht viel mehr künstlerische Kurzformate, ohne bei der Qualität große Abstriche zu machen. Diese Gratwanderung zu beschreiten und bedacht umzusetzen, macht sich bei der Publikumsfrequenz bezahlt.

Titelbild: Klanglicht Graz @ Steirerwerk Fotografie

 

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Inga Horny

Präsidentin Dachverband Stadtmarketing Austria | Geschäftsführerin Klagenfurt Marketing GmbH

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