Herstory – Frauengeschichte schafft neue Identitäten für Städte

20.04.2021
Gesellschaft

Immer mehr Städte entwickeln Frauenspaziergänge, Gedenktafeln, Reiseführer und pfiffige Ideen von und für Frauen. An ihrer Darstellung im öffentlichen Raum wird Selbstbild und Identität von Gemeinden immer stärker gemessen.

Solange-Salzburg

Immer mehr Städte entwickeln Frauenspaziergänge, Gedenktafeln, Reiseführer und pfiffige Ideen von und für Frauen. Die Vielfalt wächst, wird geschätzt und vielfach als besonderer Anknüpfungspunkt gesucht. Frauen sind heute in allen Berufen und höchsten Positionen präsent. An ihrer Darstellung im öffentlichen Raum wird Selbstbild und Identität von Gemeinden immer stärker gemessen.

In Österreich sind nur 3% aller Straßen- und Platznamen nach Frauen benannt. Denkmäler gibt es außer Maria Theresia und Kaiserin Elisabeth kaum – auf dem „Way to Equality“ ein trauriger Befund. Gesellschaftliche Gleichstellung kann nur erreicht werden, wenn Frauen vor den Vorhang und ihre Leistungen ins Bewusstsein der Gesellschaft geholt werden.

Straßennamen schaffen Sichtbarkeit

Straßennamen werden erst nach dem Ableben einer Person vergeben und nehmen meist Bezug auf den Stadtteil oder die unmittelbare Umgebung und können bei der Gemeinde beantragt werden. Das Phänomen der fehlenden Frauen ist historisch begründet, da in der Zeit zwischen 1945 und 1955, als die meisten Straßen benannt wurden, Frauen in der öffentlichen Wahrnehmung nicht wirklich präsent waren.

Heute bemühen sich zahlreiche Initiativen, den Frauenanteil bei der Namensgebung zu erhöhen. Die Stadt Wels geht mit gutem Beispiel voran und hat einen einstimmigen Gemeinderatsbeschluss gefasst, jede zweite neue Straße nach einer Frau zu benennen.

Die Nachahmung wird empfohlen, denn Straßenumbenennungen sind für die Kommune teuer, kompliziert und deshalb als probates Mittel zur Sichtbarmachung von Frauen eher Schneckentempo.  

Frauenthemen erwandern

Das Projekt „Fraustadt Freistadt“ hat zum „Frauentor“ die Brigitte Schweiger Gasse und andere Aktivitäten seit vergangenem Jahr gesetzt.

Aktionsgruppe Fraustadt Freistadt. Foto (c) Alexandra Gill

In Braunau startet ein Großprojekt unter Historiker Florian Kotanko, mit einem Stadtplan, auf dem alle 36 Stationen von Braunau bis Ranshofen und Haselbach einen besonderen Bezug zu Frauen zeigt. „Man kommt auf Dinge, die man kaum kennt. Man sieht nur, was man weiß“, erklärt der Obmann der Braunauer Zeitgeschichtetage Kotanko die Intention.

In Salzburg wurde für den Internationalen Frauentag 2008 die Linzer Gasse weiblich. Rund um die Linzer(innen) Gasse haben 29 innovative und frauenfreundliche Geschäftsleute ihre Schaufenster zu Frauen-Themen umgestaltet. Und auch die Straßennamen temporär in weibliche Formen umbenannt.

In einstündigen Achtungs-Spaziergängen sollte zum Nachdenken angeregt, ein wenig provoziert und sensibilisiert werden. Ein Projekt von Stadt und Land – zumindest für kurze Zeit den Frauen vermehrt Aufmerksamkeit zu zeigen – die Linzer Gasse wurde offiziell aber nicht umbenannt. 

Facetten der Seestadt

Die Seestadt Aspern in Wien ist eines der größten aktuellen Stadtentwicklungsprojekte Europas. Über einen Zeitraum von zwanzig Jahren wird ein neuer Stadtteil entstehen, in dem 20.000 Menschen wohnen und arbeiten sollen.

Hier werden Straßen, Plätze und Parks fast ausschließlich nach Frauen benannt. Seit 2019 gibt es 54 Namenspatroninnen, von Janis Joplin über Barbara Prammer, Ilse Buck oder Astrid Lindgren. Die Auswahl ist vielschichtig und spiegelt den Facettenreichtum fraulichen Lebens wider.

Eine der Seestadt-Karte beigefügte Broschüre gibt schließlich Einblick in Leben und Werk der Namensgeberinne – gratis hier zum Download.  

Die Spuren starker Frauen ergründen

In vielen Städten hat sich beispielsweise mit Themenführungen auf den Spuren berühmter Töchter ein Tourismussegment geöffnet. Unter dem Motto „Lerne deine Stadt kennen“ werden dann Spaziergänge organisiert, die die Stadt aus einer anderen Perspektive zeigen. Oft durch persönliches Engagement von Tour Guides und mit steigender Beliebtheit.

In Villach bietet Gerlinde Klammer-Minichberger mit ihrem Büro „Reiseschätze“ Frauengeschichte unter dem Titel „Drautöchter“.  Sie basiert auf den Recherchen der Buchautorin und Historikerin Mag. Alexandra Schmidt und wird von der Frühen Neuzeit bis in die 1970iger Jahre nachgezeichnet. „Ich zeige verschiedene Facetten weiblichen Lebens quer durch die Jahrhunderte auf.

An den Originalschauplätzen wird im Rahmen der Stadtführung dann die Lebensgeschichte starker Frauen sichtbar und vor allem erlebbar“, erklärt Klammer-Minichberger den Erfolg der Touren.

Foto: Sigmund-Haffner-Gasse 6 – Salome Alt (c) STADTBEKANNT Zohmann

Bei einem Altstadtspaziergang in Salzburg trifft man ebenfalls auf berühmte Frauen aus der Vergangenheit. Insgesamt 17 Bronzetafeln mit dem historischen „Frauenschuh“ sind in der Stadt verteilt und werden mit dem heutigen Tag nach zwanzig Jahren erneuert und um sechs weitere ergänzt. Um 11 Uhr findet der offizielle Medien- und Fototermin in der Griesgasse 4 statt.

Das Frauenbüro der Stadt Salzburg, die Künstlerin Sanja Serbin und die Historikerin Sabine Veits-Falk heben mit dem Projekt „Frauenspuren“ schließlich die Bedeutung wichtiger Salzburgerinnen hervor, die oft im Schatten der Männer standen. Der Schuh steht für Bewegung und Freiheit und zugleich für die lange Unterdrückung der Frau.

Als Leitsymbol bietet dann der Schuh einen Anhaltspunkt, sich auf Spuren zu begeben, die in die Frauengeschichte führen. Der Blick nach oben ist stets lohnenswert: Stadtbekannt“. Zum Muttertag bietet man ein Themenspaziergang über „Berühmte Mütter“ an.

Reach for the Stars

In Linz gab es beispielsweise 2008 eine temporären „walk of fem“, um historische Frauenpersönlichkeiten stärker im allgemeinen Bewusstsein zu verankern. Zehn Jahre später hat dann das Frauenbüro der Stadt Linz die beiden Linzer Künstlerinnen Margit Greinöcker und Betty Wimmer mit der Entwicklung einer permanenten Gestaltungsvariante der „walk of fem-Sterne“ an der stark frequentierten Donaulände beauftragt.

In einem ersten Umsetzungsschritt werden bis zu 80 Sterne mit berühmten Frauennamen installiert. Folienschablonen und Straßenmarkierungsfarben sorgen für Haltbarkeit und Rutschfestigkeit. Sterne samt Homepage werden bis Ende 2021 fertig sein. Die Vergabe von Straßennamen auf Basis der historischen Faktenlage wird vom Archiv der Stadt Linz weiterverfolgt.

Foto: WALK OF FEM // Entwurfsvorschlag 2020 *Goldene Sterne auf Asphalt (Sprayplastik / 2 Komponenten aufgetragen, Reflexperle

Die Frau aus dem Weltall

Bereits 1988 haben die Künstlerinnen Veronika Dreier und Eva Ursprung die „Intergalaktische Superfrau“ als fliegende Skulptur erschaffen. Die Superfrau war schließlich Leitbild der Grazer Frauenszene und zierte das Logo von „WOMENT!“. Dieses zehn Produktionen umfassende Frauennetzprojekt war dann Programmteil von Graz als Kulturhauptstadt Europas 2003.

Seit heuer hat „Super Woman“ eine dauerhafte Bleibe gefunden. Als Symbol für weibliche Stärke und Kompetenz schmückt sie eine Fassade im Innenhof des Grazer Rathauses. Kuratorin Veronika Dreier hat in vielen Projekten die öffentliche Repräsentation von Frauen thematisiert.

Frauen schaffen Stadtidentität
Foto: Figur, Postkartenedition, Kugelschreiber, Copyright: KIÖR

War Gott doch eine Göttin?

Eine künstlerische Intervention hat Tirol weit über die Grenzen hinaus bekannt gemacht. 2008 konzipierte die Künstlerin Ursula Beiler im Rahmen der Aktion „Kunst im öffentlichen Raum“ ein Schild mit den Worten „Grüß Göttin“, das von 2009 bis 2016 an der Autobahn bei Kufstein und seit 2019 bei der Autobahn Innsbruck Mitte zu sehen war – inklusive heftiger öffentlicher Diskussion um männerdominierte Sprache.

(c) Ursula Beiler

Heute steht das Kunstwerk im TIROL PANORAMA am historischen Schlachtort Bergisel. Hier trifft männlich konnotiertes Heldentum auf die Irritation der Verweiblichung Gottes. Ziel ist es folglich, im Museum eine Plattform für aktuelle Diskussionen zu bieten, die den öffentlichen Umgang mit diesem umstrittenen Werk thematisieren.

Frauen schaffen Stadtidentität
Foto: Das Kunstwerk „Grüß Göttin“ von Ursula Beiler am TIROL PANORAMA mit Kaiserjägermuseum. © Wolfgang Lackner

Trau di! Der Traunstein spricht

Eine feministische Projektionsguerilla-Tour über den Traunsee wurde im Februar 2019 auf der MS Poseidon am abendlichen Traunsee bei Ebensee initiiert. Feministische Textinterventionen an die Felswände des Traunsteins projiziert ließen die Texte über das raue Wasser des Sees gleiten. Sie tauchten auf, unter und verschwanden wieder, sie störten und konstruierten die umgebende Landschaft.

In diesem Zusammenspiel entstanden folglich Interferenzen zwischen Landschaft und Projektion, Schlaglichter, flüchtige bewegte Lichtgedichte von Selbstbestimmung, Widerstand und Vision. Dieses Projekt wurde vom Verein Fiftitu und dem Frauenforum Salzkammergut initiiert und von der Künstlerin Julia Zdarsky mit ihrem Lichtprojektionsunternehmen Starsky umgesetzt.

Im Netz der Frauen

Überdimensionale Frauenzitate auf Baustellen lassen sich im Projekt SOLANGE jederzeit von Unternehmen und Gemeinden buchen. Sie werden beispielsweise auf großen Baustellen als Staubschutzplanen angebracht. Man nutzt die großflächigen Textilien, um Slogans mit feministischen Forderungen zu verdeutlichen. Durch die Optik des Bestickens der Baunetze wird eine Männerdomäne buchstäblich durchdrungen und neu besetzt.

Frauen schaffen Stadtidentität
Projekt Solange Künstlerhaus Wien
Projekt Solange

Radikal und gleichzeitig subtil werden inhaltlich relevante gesellschaftliche Aussagen transportiert. Künstlerin Katharina Cibulka entwirft zum jeweiligen Bauobjekt die Leinwandbilder: Solange.

Frauen schaffen Stadtidentität
Rektor W.Fleischhacker, Herr Wohlfarter, Medizinerin M. Hochleitner, Katharina Cibulka (c) Foto:WEST.Fotostudio

Wehende Fahnen

Wöchentlich wechselnde Fahnen und Flugblätter waren 2018 Schauplatz der Aktion von Tatiana Lecomte „Frauen und Mädchen!“ als aufrüttelnde Kunstintervention beim Palais Niederösterreich in Wien. Man hat zwei Zitate sowie fünfzig weitere Textstellen aus Zeitschriften, Vorträgen und Petitionen ausgewählt, um an eine Periode von 70 Jahren (1848–1918) im Kampf für Frauenrechte in Österreich zu erinnern.

Die meist anonymen Zitate wurden knapp zwei Monate lang als Flugblätter vor dem Palais Niederösterreich verteilt. Zusätzlich erinnerten wöchentlich wechselnde Fahnen an Vertreterinnen der österreichischen Frauenbewegung. Die Künstlerin griff mit dieser Aktion in die offizielle Erinnerungspolitik im öffentlichen Raum ein. Sie machte Frauen und deren Kampf für Gleichberechtigung sichtbar, ohne diesen Frauen ein herkömmliches Denkmal zu setzen.

Statt das Gedenken an einem einzelnen Punkt in der Stadt zu bündeln, streute Lecomte Texte aus der Vergangenheit in alle Richtungen. Und anstatt an eine große Frau zu erinnern, verweist sie auf die Bestrebungen von unzähligen Frauen. Darunter auch viele, von denen wir nicht einmal den Namen kennen. Hier ist die Dokumentation mit den Zitaten nachzulesen.

Herstory

Seit 1998 setzt sich FIFTITU%, die Vernetzungsstelle für Frauen, Kunst und Kultur kontinuierlich für bessere Bedingungen der Frauen im Kunst- und Kulturbereich ein. Sie ist die einzige derartige Plattform bundesweit, mit Sitz in Linz.

Die Aktivitäten umfassen neben kultur- und frauenpolitischer Arbeit, regionaler, nationaler und internationaler Vernetzung in diesem Feld und mannigfachen künstlerischen Projekten in und zu diesen Themen auch eine konkrete Beratung und Unterstützung zur Professionalisierung von Frauen in Kunst und Kultur.

Großer Schritt nach vorne

„Steter Tropfen höhlt den Stein“, heißt es so schön, doch mehr Geschwindigkeit würde der Gleichberechtigung guttun. Es ist im Sinne aller, dass Frauen und deren Geschichte im öffentlichen Raum sichtbarer werden und visuelle Parität keine Zukunftsmusik ist, sondern zur gelebten Realität wird.

Die angeführten Beispiele sollten nicht Teil einer Avantgarde sein, sondern Türöffner des Mainstreams. Wir alle können Bewusstsein schaffen für ein gedeihliches Miteinander. Kluge Planung und Politik in den Städten sind Voraussetzung für diese Entwicklung und wären ein Yeti-Schritt vorwärts zur…ja eigentlich zur Normalität. 

In einem Miteinander von Stadtplanern, politischen Entscheidungsträgern und engagierten Bürgern lassen sich die Versäumnisse der Vergangenheit in Bezug auf Frauen aufholen. 

Titelbild: Projekt Solange Salzburg

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