Europäische Einzelhandelsunternehmen stehen hinsichtlich der Bereitstellung digitaler Technologie noch weitgehend am Anfang. Die Trendforschung hatte der Geschäftswelt zu Beginn der Jahrhundertwende – das ist rund zwanzig Jahre her – doch viele radikale digitale Technologien vorausgesagt.
Europäische Einzelhandelsunternehmen stehen hinsichtlich der Bereitstellung digitaler Technologie noch weitgehend am Anfang. Die Trendforschung hatte der Geschäftswelt zu Beginn der Jahrhundertwende – das ist rund zwanzig Jahre her – doch viele radikale digitale Technologien vorausgesagt.
Der Hollywood Blockbuster ‚Minority Report‘ zeigte im öffentlichen Raum und im Handel überall Kameras, Stadtbewohner mit eingepflanzten Chips und elektronische Identifizierungen durch charakteristische Merkmale der Augeniris. Diese sollten den Bürgern nicht nur die Kontrolle im Sinne eines Überwachungsstaats garantieren, sondern Konsumenten auch personifizierte Shoppingvorteile bieten.
Wann werden diese Science Fiction Visionen wahr?
Sprechende Plakatwände werden nie kommen, sagte der aWs Out of Home Media Group Geschäftsführer Andreas Allerstorfer im Interview mit dem Fachmagazin Horizont. Das läge daran, dass Audio-Installationen nur für wenige Werbesujets reizvoll wären. Außenwerbung sei ein visuelles und kein audiogetriebenes Medium.
Andere Experten sagen, dass es lediglich an Geschäftsmodellen mangelt, flächendeckend personifizierte digitale Botschaften über Instore-Plakate in den Handel zu bringen. Gäbe es ähnlich wie bei der Entwicklung vom Stromzähler zum Smart Meter einen Investitionsschub, könne man auf viele spannende Inszenierungen gespannt sein.
Diskrete 1-2-1 Kommunikation
Fakt ist, dass das Mobiltelefon mittlerweile die sprechende Plakatstelle aus Science Fiction-Filmen abgelöst hat. One to One-Kommunikation kann diskreter über das mobile Telefon erfolgen, wie z.B. durch die Nutzung von Beacon Technologien und durch Sprachassistenten, wie Alexa und Siri.
Stationäre Händler müssen in den Store 4.0 investieren, um zu überleben und im verschärften Konkurrenzkampf zu bestehen. Aber in welche Bereiche, in welche Richtung soll der stationäre Handel digitalisieren? Wie sieht sie aus, die digitale Zukunft des stationären Handels?
Vorbild Japan
Wenn ich an digitale Innovationen im Handel denke, muss ich spontan an Japan denken. Japan ist per se bunt, schrill und anders als der Rest der Welt. Es gibt immens viel zu lernen, wenn man durch die Türen japanischer Geschäfte geht. Technologie, Merchandising, Designtrends, Erlebnismarketing und großartiges Storytelling.
Digitale Technologien verändern die Art und Weise, wie Geschäfte in Zukunft getätigt werden. Unabhängig von Branche und Zielgruppe. Sie tun das, indem sie dazu beitragen, die Effizienz zu steigern, Geld zu sparen und bessere Produkte und Dienstleistungen bereitzustellen. Auch der Handel setzt die Technologie zu seinem Vorteil ein. Wir berichten heute über Top-Tech-Trends, die das Einkaufen verändern werden.
Predictive Analytics (Big Data)
Einzelhandelsunternehmen hatten noch nie Probleme, viele Daten zu sammeln. Die Analyse und Verwendung dieser Daten zur Lösung von Problemen oder zur Schaffung neuer Einnahmequellen ist bisher jedoch ressourcen-intensiv und komplex gewesen.
Mit ‚Predictive Analytics‘ können Einzelhändler das Verbraucherverhalten und die Trends aus der Vergangenheit analysieren. Sie können Informationen zum Kaufverhalten der Verbraucher verstehen, das Einkaufserlebnis personalisieren, auf die Bedürfnisse der Verbraucher besser eingehen als bisher. Sie können die Kosten der Lieferketten senken und vieles mehr.
Bezahlen mittels Gesichtserkennung
Kommt dieser Trend auch zu uns? Die Gesichtserkennungstechnologie hilft Einzelhändlern in Asien, die Ladendiebstahl- und Einzelhandels-kriminalität proaktiv zu bekämpfen.
Jährlich bezahlen über 600 Millionen Chinesen beim Einkaufen direkt mit dem Smartphone. Immer öfter lächeln sie beim Bezahlvorgang daher einfach in eine Kamera. Dieser ist mit einem Fingerschnipp mittels biometrischer Identitätsverifizierung abgeschlossen. Sogar immer mehr Bankomaten funktionieren per Gesichtserkennung, um Bargeld auszuspucken.
Wenn ein Kunde durch Gesichtserkennungstechnologie identifiziert wird, kann das Angebot auf seine Persönlichkeit im stationären Handel persönlich angepasst werden. Natürlich sind rechtliche und datenschutzrechtliche Bedenken zu klären.
Kommt dieser Trend irgendwann in Ö an?
Bargeld ist in Europa immer noch sehr präsent. Bezahlen per Gesichtserkennung wirkt in unserem Land völlig befremdlich. Doch Plastikkarten lösen Münzen und Papier immer öfter ab und die Schnellkassen nehmen zu. Auch österreichische Start-ups wie Bluecode, das schon jetzt mittels Strichcodes und Scans Zahlungen abwickelt, könnten dazu beitragen, den asiatischen Status quo in Österreich zu etablieren.
Es ist die Frage, wer als Erster in Österreich Kameras neben den Kassen montiert. Die Filialen internationaler Marken, Duty-Free-Shops am Flughafen Wien-Schwechat oder die heimischen Banken? Vielleicht nur, um chinesische Touristen zu anzulocken, die sich damit auch in Wien heimisch fühlen sollen. Wahrscheinlich findet vor allem die junge österreichische Bevölkerung ein „Bezahlen mit dem Gesicht“ attraktiv.
Schöne virtuelle Welt
Von einer ganz bestimmten technologiegetriebenen Veränderung im stationären Handel wird man noch viel lesen: Augmented Reality. AR bedeutet die Integration virtueller Objekte in die reale Welt. Im stationären Einzelhandel kann diese Technologie dazu verwendet werden, zusätzliche Informationen zu Produkten im Geschäft bereitzustellen.
Mit dem Einsatz von AR-Spiegeln kann die virtuelle Repräsentation von Produkten selbst dargestellt werden. Was beispielsweise für die Modebranche interessante Möglichkeiten eröffnet. Kunden können mittels virtueller Umkleidespiegel die Farbe eines gerade anprobierten Kleidungsstückes auf andere verfügbare Farben ändern, ohne dieses real anprobieren zu müssen.
Veränderte Kundenloyalität
Die Kundenloyalität hat sich gewandelt. Heute wechseln Konsumenten zur Konkurrenz, um Preisvorteile zu erzielen und den neuesten Trends zu folgen. Umso wichtiger ist es für den stationären Einzelhandel, sich durch innovative Maßnahmen von seinen Mitbewerbern – online und offline – abzuheben. Und seinen Kunden einen nicht einfach imitierbaren Mehrwert zu bieten.
Neue Kommunikationsformen, die aktive Präsenz in sozialen Medien und Netzwerken sowie innovative Formen der Kundenansprache sind heute unerlässlich.
Indoor-Navigation und virtuelle Einkaufsberater, die Kunden zusätzliche Produktinformationen bereitstellen, funktionieren bislang vor allem im Zusammenspiel mit den mobilen Endgeräten der Kunden. Elektronische Preisschilder, die beim Betrieb mehrerer Filialen eine Effizienzsteigerung und gesteigerte Aktualität bringen, zählen zu dieser Technologiekategorie.
Der kluge Store
Der Weg zum tatsächlich klug vernetzten Laden, in dem Kunden personalisiert über intelligente digitale Services angesprochen und operative Prozesse digitalisiert und automatisiert werden, ist noch immer sehr weit.
Das smarte Geschäft will dem Kunden eines Tages individualisierte Kundenkommunikation bieten. Das Geschäft weiß dann, was der Kunde sucht, zeigt ihm das Angebot. Es unterbreitet ihm Sonderangebote oder weist ihn auf Artikel hin.
Technologien, die hier zum Einsatz kommen, unterstützen location-based Marketing, wie zum Beispiel WiFi/WLAN und Beacons.
Über intelligente Regale, sog. Smart Shelves, die mit Bildschirmen ausgestattet sind, lassen sich Produktinformationen mit RFID-versehenen Produkten einfach anzeigen. Hier können ebenso weitere Produkte und komplementäre Artikel angezeigt und vorgeschlagen werden.
Conversational Commerce
Eine weitere immer stärkere Bedeutung bekommt der Conversational Commerce. Kunden und Käufer treten mit Sprachassistenten, wie zum Beispiel Amazon Alexa, bereits vor dem Kauf in Kontakt mit dem Geschäft. Sie können Fragen zu Öffnungszeiten, Services oder Produkten stellen.
Digitale Technologien: The Oak Mirror
Die Zukunft des Einzelhandels ist die Neugestaltung des physischen Geschäfts nach dem idealen Einkaufserlebnis für den Kunden. Durch die Interaktion mit dem Oak Mirror können Sie feststellen, ob Ihre Kleidungsgröße im Geschäft und die gewünschte Farbe verfügbar ist, wo das Produkt hergestellt wurde, wie Sie es geliefert haben möchten, etc.
High-Tech Gadgets locken Gen Z nur bedingt
Mit technologischen Innovationen kann man die Generation Z nur bedingt begeistern, analysiert das Zukunftsinstitut. Die heute 10-25-jährigen haben einen ausgeprägten Gemeinschaftssinn und legen ein starkes Verantwortungsbewusstsein an den Tag.
Sie leben ihre Werte und fordern auch von Unternehmen ein nachhaltiges und verantwortungsvolles Handeln. Das Echte und Authentische ist diesen jungen Menschen besonders wichtig. Sie konsumieren lieber Erlebnisse als Produkte.
Die 5 wichtigsten Trends im Handel 2020 (laut Zukunftsinstitut):
Instant Shopping – Die Ära der ungeduldigen Konsumenten
Das schnelle und hektische Leben der Konsumenten macht dem stationären Handel zu schaffen. Innovative Konzepte zeigen, wie Händler dem ungeduldigen Kunden gerecht werden können.
Playful Stores – Experience pro Quadratmeter
Während das Ende stationärer Läden heraufbeschworen wird, feiern innovative Retailer und Brands große Experiences auf großer Fläche. Künftig zählt das Erlebnis pro Quadratmeter – nicht mehr die Flächenproduktivität.
Event-Shopping – Boom der Schnäppchentage
Black Friday, Cyber Monday, Singles’ Day – der Handel scheint also keine Möglichkeit auszulassen, Kunden mit Rabattaktionen an selbst kreierten Shopping-Tagen zu locken. Und die Konsumenten sind begeistert – noch.
ImmoTail – Vom Händler zum Immobilienentwickler
Vor allem in Städten gewinnen Mischnutzungskonzepte an Bedeutung. Händlern kommt künftig eine wichtige Rolle bei der Schaffung von neuem urbanem Wohnraum zu.
Cashfree Retail – Bezahlen im Vorbeigehen
Spätestens mit Apple Pay und Amazon Go ist das Bezahlen ohne Bargeld oder Karte zum Trend geworden. Ob per App, Fingerabdruck oder Wearable: Innovative Konzepte zeigen, wie in Zukunft bezahlt werden kann.
Das Einkaufserlebnis bei Livestream-Shopping ist ein Trend, der in China längst im Mainstream angekommen ist. Die Produkte werden inzwischen durch Influencer in Echtzeit vorgeführt und können direkt gekauft werden.
Nun kommt der Trend auch langsam zu uns. Amazon experimentiert seit einigen Jahren mit verschiedenen Formaten. Z.B. mit Amazon Live, wo Nutzer über kuratierte Themen-Streams aus Bereichen wie Mode, Beauty oder Lifestyle live einkaufen können. Der Schwerpunkt liegt dabei vor allem auf „Social Selling“ über Blogger und Influencer.
Walmart Test Lab (New York)
Walmarts neues „Intelligent Retail Lab“ (IRL) in New York ist ein faszinierender und experimenteller Einzelhandelsbereich mit futuristischer Technologie. Es verfügt sogar über KI-fähige Kameras, interaktive Displays und ein riesiges Rechenzentrum, in dem gezeigt wird, was KI zum Einkaufserlebnis beitragen kann. Sensoren und Kameras überwachen die Produktbestände in Echtzeit. Sie teilen den Mitarbeitern mit, was genau und wann auf Lager gehalten werden soll.
Experiential Retail
Samsung hat zuletzt Galaxy Harajuku, den bislang größten Galaxy-Showcase-Store im beliebten Einkaufsviertel Harajuku in Tokio eröffnet. Das Konzept des Einzelhandels ist auf Unterhaltung und Erholung ausgerichtet, inklusive eines ausgeklügelten technischen Konzeptes.
Experiential Retail verlangt nicht unbedingt Spitzentechnologie. Viele Marken machen den Fehler, ausgefallene Digitaltechnik in ihren Concept Stores einzusetzen. Sie wollen oftmals den Kunden von ungünstigen Hintergrundelementen wie beengten Platzverhältnissen oder schlechten Lichtverhältnissen ablenken. Technologie kann sehr gut genutzt werden, solange sie richtig implementiert wird.
Das Ziel des experimentellen Einzelhandels ist nicht, Produkte zu verkaufen oder von einer Dienstleistung zu profitieren, sondern die Wahrnehmung der Marke in der Öffentlichkeit zu fördern.
–> Wir empfehlen Ihnen zum Thema Experiential Retail das Buch von Christian Mikunda ‚Hypnoästhetik‘.
Kundenerwartungen, die nicht befriedigt werden
Immer wieder belegen Studien die Präferenz der hiesigen Konsumenten für hybride Shopping-Modelle. Dort werden die Vorteile stationärer Geschäftslokale mit mehrwertschaffenden digitalen Dienstleistungen kombiniert (z. B. Cross- und Omnichannel Shopping).
Zusätzlich erwarten die Verbraucher das Abdecken aller Vertriebskanäle. Wo ein Jugendlicher einkauft, ist ihm egal. Das Produkt muss verfügbar sein, das zählt.
Obwohl immer wieder Traditionsbetriebe von unseren Einkaufsstraßen verschwinden, will es der Einzelhandel nicht wahr haben. Es gibt noch immer zu viele Unternehmen, die weder einen Online-Auftritt haben, noch ihre Schaufenster zur Visitenkarte machen. Von digitalen Innovationen gar nicht gesprochen.
Trenderkennung
Je schneller Trends kommen und gehen, desto wichtiger ist es, neue Entwicklungen frühzeitig zu erkennen, zu evaluieren und zu entscheiden, ob sie weiterverfolgt werden sollten. Die Kontrolle über Trends wandert kurzum zunehmend mehr von den Anbietern zu den Konsumenten, die immer häufiger Trends schaffen und verbreiten.
Ein wesentlicher Erfolgsfaktor für die Händler liegt in der aufmerksamen Beobachtung der Reaktion auf Aktivitäten, die im öffentlichen Raum (z.B. durch Graffitis, Street Art und Sticker ‚lesen‘) und in sozialen Netzwerken stattfinden.
Fazit
Die Digitalisierung stellt den stationären Einzelhandel also stärker als viele andere Branchen vor neue Herausforderungen. Die Umsatzverschiebung in Richtung E‑Commerce macht ein Aufbrechen veralteter Strukturen und Denkweisen im stationären Einzelhandel dementsprechend überlebensnotwendig.
Die Handelsbranche war schon immer von Umbrüchen und Veränderungen geprägt. Neu ist dieses Mal in erster Linie die Geschwindigkeit, mit der diese Veränderungen passieren. Für Entscheidungsträger bleibt somit weniger Zeit als bisher, strategische Entscheidungen zu treffen und Maßnahmen zu planen und umzusetzen.
Unternehmen müssen folglich die technologischen Voraussetzungen konsumentenseitig, am Point of Sale und im Backend schaffen.
Ein weiterer Bereich des intelligenten Geschäftes ist die Transparenz über die Bestände. Identifikationstechnologien wie z.B. die Radiofrequenz-Technologie (RFID) helfen dem Händler, das Bestandsmanagement des Geschäfts zu verbessern. Diese Informationen können sowohl vom Kunden genutzt und eingesehen werden, wie auch von den Mitarbeitern im Geschäft. Sie sind schließlich eine Voraussetzung für Click and Collect-Services oder Online-Vorreservierungen durch den Kunden.
Ist Ihr Laden ‚instagram-cool‘?
Wenn ein experimenteller Einzelhandels-Concept-Store oder ein Pop-up „Instagram-cool“ ist, macht sich das digitale Marketing von selbst.
Durch die Schaffung einzigartiger Erfahrungen werden sowohl die Beziehungen zwischen Unternehmen und Verbrauchern gestärkt als auch die Bindung der Kunden an die Marke in Zukunft gestärkt.
Wie Sie sehen, gibt es inzwischen unzählige Ideen, wie Technologie das Einkaufserlebnis verändern kann. Das Potenzial für Innovationen ist unbegrenzt. Halten Sie Ihr Wissen zu technischen Neuerungen am Laufenden. Reisen Sie in asiatische Metropolen und lassen Sie sich inspirieren.
Daniela Krautsack
DanielaKrautsackist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren.DanielaKrautsackist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.
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