Beschwerdemanagement im Wandel

13.10.2021
Gesellschaft

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Technische Trends und innovative Ansätze für Bürgeranliegen und Beschwerdemanagement: Wenn die Stadtbürger zur Crowd und Verwaltungsakte dialogisch werden.

 

Ein kaputtes Gerät am Spielplatz, ein wilder Müllplatz, eine defekte Straßenbeleuchtung. Wenn solche Dinge im Stadtgebiet auffallen, sind die Bürger gefragt. Denn nur, wenn die zuständigen Stellen über einen Mangel Bescheid wissen, kann er behoben werden.

Derlei Fälle wurden früher ausschließlich telefonisch oder über ein Bürgerbüro abgehandelt, was mit einem gewissen Aufwand in der Kontaktaufnahme – sich zum Zuständigen durchfragen im Rathaus oder extra einen Behördengang einplanen – verbunden war. Mit dem Internet kam eine weitere Möglichkeit hinzu. Online-Formulare zu Beschwerden und Anliegen, die viele Städte und Gemeinden auf ihrer Website zur Verfügung stellen.


Trendtool Beschwerde-App

Seit sich das Smartphone durchgesetzt hat, passieren Mangelmeldungen meist über eine App. Ganz nach dem Prinzip des Crowdsourcing. Wie aus einer im Jahr 2019 durchgeführten Studie des Österreichischen Gemeindebund und der Donau-Uni Krems hervorgeht, sind solche Mangelmeldungs-Apps mittlerweile die wichtigsten Online-Bürgerbeteiligungsinstrumente in österreichischen Gemeinden. Weit vor Umfragen oder Bürgersprechstunden, die online angeboten werden.

Der Gemeindebund-Präsident deutet dies als verbesserte Chance für Bürger, sich einzubringen. „Die Gemeindeämter sind ja seit jeher Servicedrehscheiben und erste Anlaufstellen für die Bevölkerung. Mit den digitalen Möglichkeiten wurde die Interaktion mit den Bürgern verbessert und die Partizipation gestärkt“.

 

Foto: Balkendiagramm Digitalisierungsumfrage


Einfaches Handling, dialogischer Ansatz

Tatsächlich haben sich die Möglichkeiten, Beschwerden oder Anliegen vorzubringen, dadurch sehr vereinfacht. Nach einer Registrierung können sie einfach am Handy oder am PC kurz beschrieben, bei Bedarf mit einem Foto dokumentiert oder über GPS-Daten lokalisiert werden. Abschicken, fertig. Über eine Kategorien-Zuordnung wird die Meldung direkt in die zuständige Stelle weitergeleitet.

In Dornbirn beispielsweise, wo bereits seit 2013 die App Schau auf Dornbirn im Einsatz ist, langen laut Eva Thurnher vom Bürgermeisterin-Büro im Schnitt 250 Einträge im Monat ein. „Unser Ziel ist, nach spätestens drei Tagen eine Rückmeldung zu geben. Dies gelingt in der Regel recht gut, mit Ausnahme von sehr komplexen Inhalten oder in Krankheitsfällen.“

Beschwerdemanagement wurde so auch dialogischer und transparenter. Markus Gwiggner, der Mastermind hinter der mit dem E-Government ausgezeichneten App buergermeldungen sieht darin einen ganz wesentlichen Punkt. „Die Empfänger, also die Stadtverwaltung, sowie alle registrierten Benutzer der App, haben die Möglichkeit, die Bürgermeldung zu sehen und zu kommentieren. So entsteht ein echter Dialog.“ Und zugleich wohl auch ein gewisser Zugzwang für die Adressierten, weil der aktuelle Erledigungsstatus für alle sichtbar ist.

 

BeschwerdemanagementFoto (c) Sam Kanner on Unsplash


Klare Zuständigkeiten schaffen

Soweit, so transparent. Das bringt allerdings auch To-Do’s mit sich. Etwa, die Zuständigkeiten für die diversen Bürgeranliegen verwaltungsintern punktgenau zu regeln. „Da geht es nicht ohne entsprechende Kommunikation“, meint Laura Stoppok, Expertin für die deutsche Mängelmelder-App und Autorin am Beteiligungsblog werbeteiligtwie.de.

Ihrer Meinung nach ist die klare Verteilung der Zuständigkeiten die zentrale Herausforderung im Einsatz dieser Apps. „Innerhalb der Verwaltung muss definiert werden, welcher Fachbereich und welcher Mitarbeiter für welche Fälle zuständig ist. Manche Kommunen setzen dafür einen eigenen Projektkoordinator ein.

Die Erfahrung zeigt jedoch, dass es in den meisten Fällen besser ist, Vertreter beteiligter Bereiche an einen Tisch zu holen und die Zuständigkeiten und Arbeitsprozesse einzeln zu besprechen. Nicht selten entstehen dabei auch neue Ideen für Verbesserungen und Vereinfachungen der Abläufe. Das hilft dann allen Beteiligten.“

 

Apps in Österreichs Städten

Dass Projekte zur Digitalisierung nicht immer reibungslos über die Bühne gehen, dafür nannte der Linzer Bürgermeister Klaus Luger im Rahmen dieser Diskussion zwei Gründe. Zum einen kosten sie Geld, zum anderen stoßen sie nicht bei allen Mitarbeitern auf Gegenliebe.

So verhielt es sich seinerzeit offenbar auch bei der Einführung der App „Schau auf Linz“. „Ich denke, der Anteil jener, die resistent gegen Innovationen sind, ist in der Verwaltung höher als in anderen Unternehmen.“ Mittlerweile würden die Mitarbeiter diese Online-Plattform und App, die man in Linz selbst entwickelt hat, aber nicht mehr missen wollen.

Und der Erfolg gibt dem Projekt Recht. Das Tool wurde zum Beispiel auch in Klagenfurt unter dem Titel „Augen auf Klagenfurt“ übernommen. Bis Stand heute zählt man dort knapp 7.700 Bürgermeldungen, von denen man knapp 7.000 bereits vollständig abgearbeitet hat.

In der Bundeshauptstadt wurde mit „Sag’s Wien“ im Jahr 2017 eine Beschwerde-App als Ergänzung zu den herkömmlichen Kanälen für Bürgeranliegen eingeführt. Ende 2020 feierte man 100.000 gelöste Fälle – wohl auch, dank der beachtlichen Personalausstattung. Abgesetzte Meldungen gelangen an die rund 25-köpfige Sag`s Wien-Redaktion, wo jeder Fall unverzüglich von den Mitarbeitern der Gruppe Sofortmaßnahmen und Stadtservice Wien bearbeitet und an die zuständige Abteilung weitergeleitet wird.

 

BeschwerdemanagementFoto: Verwaltungsakten (c) Wesley Tingey on Unsplash


Analoger Kanal muss offen bleiben

Eine andere wichtige Frage: Was ist mit nicht-technikaffinen Bevölkerungsgruppen, die keine Apps verwenden und trotzdem ihre Teilhabe am Stadtgeschehen leben möchten? Wie in vielen anderen Städten sind da beispielsweise in Dornbirn die Prioritäten klar gesetzt. Eva Thurnher: „Wir sehen das Tool als digitale Ergänzung zu den klassischen Kommunikationsmöglichkeiten.

Es gibt nach wie vor die Möglichkeit, das Anliegen persönlich, telefonisch oder per Brief und Mail an die Fachabteilungen, Bürgermeisterin und Stadträte heranzutragen. Alle Stadträte bieten natürlich auch Sprechstunden an.“

 

Innovative Wege für Bürgeranliegen

Eine Stadt, die zuhört, ist einfach lebenswerter. Aber nicht immer äußern sich ihre Bewohner von sich aus auf den genannten Wegen. Neben Bürgerbüro, App und Sprechstunden haben sich viele Städte deshalb noch ganz andere Möglichkeiten einfallen lassen, um mit ihren Bürgern, ihren Anliegen, Wünschen und Ideen in direkten Kontakt zu treten.

Hier als Inspiration ein paar internationale und nationale Beispiele für gelungene Austausch-Prozesse zwischen Stadt und Bürgern.

  • Kneipengespräche. Analog first war der Leitspruch der Beteiligungsinitiative „Hamburg besser machen“ in 2019, die durch die Zusammenarbeit der Körber Stiftung mit der Zeitung „Die Zeit“ auf große Resonanz stieß. Binnen 10 Wochen führte man über 40 „Kneipengespräche“ mit Teilnehmern, darunter auch special-interest Groups wie Kinder und Jugendliche oder anderssprachige Einwohner. Über 4.000 Wünsche und Vorschläge kamen zur Diskussion, als Kernpunkte kristallisierten sich eine fahrradfreundliche Stadt und autofreie Quartiere heraus.
  • Mitgestaltungs-Hub. Auf die digitale Beteiligungsplattform „Civocracy“ setzt beispielsweise Hatten im deutschen Niedersachsen. Mit so großem Erfolg, das zuletzt der TV-Sender Arte die 14.000-Einwohner-Stadt in einer Doku über Mitbestimmung und Mitgestaltung als Best Practice-Beispiel nannte (online hier abrufbar). Über die Plattform werden Bürger direkt bei der Ortsgestaltung mit einbezogen. Zuletzt hat man so die Notwendigkeit eines neuen, größeren Sportplatzes erkannt und gemeinsam mit Sportlern und Vereinen geplant und umgesetzt.
  • Kleiner im Aufwand, nicht-digital, aber ebenso offen für die Bürgersichtweise: Die Weihnachts-Wunschbox in Wels, die im Advent vor dem Rathaus installiert wird. Damit lädt man die Stadtbürger ein, Anliegen, Wünsche, Sorgen, aber auch Ideen und Anregungen schriftlich direkt mitzuteilen. Jeder Wunsch wird auf seine Umsetzbarkeit hin überprüft, egal ob er in den Bereich Soziales, Verwaltung oder Wünsche von Kindern fällt. Bürgermeister Andreas Rabl sieht darin eine Gelegenheit, mit den Welsern im Gespräch zu bleiben.

 

Weitere Beispiele

  • Ein Generalärgernis in Städten, nämlich das der Baustellen, wird in Klagenfurt per Social-Media transparent und für die Bürger nachvollziehbar dargestellt. Das Baustellentagebuch auf Facebook informiert laufend über längerfristige Verkehrsbehinderungen in der Stadt bzw. größere Bauvorhaben und den aktuellen Baufortschritt. In der Kommentarfunktion bzw. im Messenger können Bürger ihre Fragen und Anliegen äußern, ständiges Community-Management ist gewährleistet.
  • Bürgeranträge. Freie Bürgeranliegen schaffen oft nicht einmal, im Gemeinderat diskutiert zu werden. Dazu startete die unabhängige Liste LinzPlus in der oberösterreichischen Hauptstadt jüngst die Initiative „Bürgeranträge“. Seit Oktober 2021 können Linzer Bürger mittels einem Formular ihr Anliegen an LinzPlus richten – sofern es im Vorfeld von mindestens 50 Linzern unterstützt wird. Die Mandatare machen aus diesem Bürgerantrag dann einen offiziellen Gemeinderatsantrag, der in der nächsten Gemeinderatssitzung auf der Tagesordnung stehen muss.
  • Das Amt auf Hausbesuch. Mobile Bürgerservices ermöglichen es Bürgern unter gewissen Umständen, sich die nötigen Wege zum Amt zu ersparen. So geschehen beispielsweise im oberösterreichischen Freistadt, wo ein „mobiles Rathaus“ eingerichtet wurde. Neue Mieter oder Wohnungseigentümer etwa können schon bei der Schlüsselübergabe ihren neuen Wohnsitz melden, werden über Angebote der Stadt informiert und erledigen so quasi zuhause ihre Behördengänge.

 

Fazit

Die zunehmende Digitalisierung erleichtert den Austausch zwischen Bürgern und Stadtverwaltung, wenn es um Anliegen, Beschwerden oder Ideen geht. Beschwerde- bzw. Mängel-Apps sind in dem Zusammenhang ein einfaches, zielgerichtetes und transparentes Tool, um die relevanten Informationen von A nach B zu bringen.

Allerdings entstehen damit auch neue Notwendigkeiten, etwa erhöhter Kommunikationsbedarf, bessere Serviceorientierung, klarere Verteilung der Zuständigkeiten und schnellere Abwicklung. Zugleich kann – mit Blick auf ältere und technisch wenig versierte Bürger – die App eine Bürgerservicestelle nicht ersetzen, sondern höchstens ergänzen.

Darüber hinaus gibt es viele andere, teils unkonventionelle Wege für Städte, die Anliegen und Ideen ihrer Bürger abzufragen, etwa über Wunschboxen, Plattformen, Kneipengespräche oder Social-Media Kanäle.

Titelbild (c) Maxim Potkin on Unsplash

 

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