Umnutzung über viele Generationen: Warum unsere Altstädte nachhaltig sind und daher auch die kommenden Krisen meistern werden

05.10.2021
Architektur, Trends

Adventmarkt-Stimmung_Foto-Gerhard-Flatscher

Historische Altstadthäuser sind heute im Kernbereich vieler Städte restauriert. In Nebenlagen gibt es hingegen oftmals etliche Leerstände oder sanierungsbedürftige Objekte. Weitere Leerstände in der Innenstadt entstehen durch veränderte Nachfragepräferenzen oder Abwanderung der Bevölkerung aus strukturschwachen Regionen. Hinzu kommt der Wandel des Einzelhandels. Warum gerade Altstadthäuser im Sinne einer nachhaltigen Stadt- und Regionalentwicklung von Bedeutung sind, beleuchten wir in diesem Beitrag.

 

Die Altstadt als Spiegel der Veränderung

Die Innenstadt ist seit jeher der Schauplatz von Umbrüchen im Wandel der Zeit. Das Gleichgewicht zwischen der Vielfalt innerstädtischer Funktionen und der Vorherrschaft einzelner Bereiche wird dabei immer wieder neu ausverhandelt. Diese Herausforderung wird besonders an der bislang unangefochtenen Dominanz des klassischen Einzelhandels deutlich, dessen Funktion als Besuchermagnet in den Zentren vielerorts ins Wanken gerät.

 

Einiges weist darauf hin, dass viele Innenstädte zukünftig keine reinen Einkaufsmeilen mehr sein werden. Ladenkonzepte überholen sich im Laufe der Jahre, Shopping-Center vor der Stadt sind eine mächtige Konkurrenz und der Weg zum bequemen Onlineshopping hat sich im Zuge der Corona-Pandemie massiv beschleunigt. Standortkonzepte basieren zudem vielfach auf inhabergeführten Fachgeschäften, die angesichts des hohen Filialisierungsgrades in Innenstädten teilweise stark unter Druck geraten.

 

Für die Innenstadtentwicklung stellt sich damit die Frage, wieviel Verkaufsfläche in Zukunft für den Einzelhandel eigentlich (noch) gebraucht wird. Den Handel als alleinige Zugkraft für die Belebung der Innenstädte zu sehen, sollte daher einer realistischen Einschätzung unterzogen werden.

 

Warenhaus mit Frischluftcharakter – quo vadis?

Die Innenstadt als „Warenhaus mit Frischluftcharakter“ ist im Grunde genommen ein recht junges Phänomen. In Europa wurden die ersten autofreien Flanier- und Einkaufsmeilen in den 50er und 60er Jahren als neuartige Innenstadtkonzepte geschaffen, die jedoch nur zögerlich auf österreichische Städte überschwappten.

Davor gab es in Städten über Jahrhunderte keinen Handel und Massenkonsum wie wir ihn heute kennen. Der Schwerpunkt lag früher auf Werkstätten. Handwerksfamilien haben in ihrem Stadthaus gewohnt und gearbeitet. Manchmal war in der Werkstatt auch ein Verkaufsladen integriert. Handel hat es also im Prinzip immer gegeben, nicht aber in der Dichte wie heute.

 

In welche Richtung werden sich unsere Innenstädte nun entwickeln, was werden die Anziehungspunkte der Zukunft sein?

Ziel der Überlegungen im Standortmarketing könnte sein, die Stadt im Sinne eines Erlebnisortes mit hoher Aufenthaltsqualität attraktiver zu gestalten. Umnutzungen in Richtung Kultur, Nahversorgung, Ansiedelung neuer Branchen und Geschäftskonzepte, Handwerksbetriebe oder innovative Gastronomie sind denkbar. Einige Umsetzungen in diese Richtung gibt es bereits, etwa in Form urbaner Produktion oder Urban Farming. Vielerorts müssen Innenstädte auch wieder eine stärkere Rolle als Wohnort einnehmen.

 

Nutzung von Altbauten als Instrument für nachhaltiges Bauen

Für die Stärkung der Innenstädte und eine nachhaltige Stadtentwicklung sind leerstehende oder sanierungsbedürftige Altstadthäuser von besonderer Bedeutung. Altstadthäuser zählen zu den nachhaltigsten Gebäuden, da sie immer wieder saniert werden können und müssen. Das ist insgesamt nicht nur ressourcenschonender, sondern bietet auch die Möglichkeit, den Flächenverbrauch zu reduzieren.

Die Erhaltung dieser Bausubstanz und ihre weitere Nutzung stellen eine wertvolle Alternative zum schnelllebigen Wohnbau auf der grünen Wiese dar. Als verdichteter Wohnbau und Gegenpol zu Einfamilienhäusern sind damit viele Vorteile verbunden.

Gerade in Regionen mit engen Raumverhältnissen, wo Gemeinden immer mehr zusammenwachsen und sich im Großraum von Städten kleine Ballungszentren bilden, kann die Reaktivierung von Altbauten ein wichtiger Baustein überregionaler und interkommunaler Raumplanung sein. Vor allem in Regionen mit einem begrenzten Flächenangebot wird die Zukunft eher im Verdichten als im Versiegeln liegen. Die Zeit der neuen Einfamilienhäuser dürfte in solchen Regionen aufgrund der Topografie mittelfristig ohnedies eher ein Auslaufmodell sein.

 

Altstadthäuser: Sanierung ist ein Denkmalschutzthema

Bei der Altbausanierung geht es nicht nur um die Schaffung neuer Flächen oder besserer Dämmwerte. Oftmals muss im Zuge der Neugestaltung die Optik alter Gebäude erhalten oder wiederhergestellt werden. Der Denkmalschutz setzt hier gewisse Grenzen, zeigt jedoch auch neue Möglichkeiten auf. Für eine erfolgreiche Neuadaptierung ist daher die Akzeptanz dieser Rahmenbedingungen seitens der Eigentümer eine wichtige Voraussetzung.

 

Aus historischer Bausubstanz lässt sich eine ganz besondere Wohnqualität gewinnen, die von Menschen sehr geschätzt wird. Historische Gebäude besitzen einfach Flair und eine mit Winkeln und Ecken ausgestattete Architektur, die sich auch in einer Neugestaltung sehr schön eingliedern lässt. Viele private Hausbesitzer sind sehr stolz auf ihr Altstadthaus und integrieren dessen Besonderheiten ganz bewusst. Das ist letztlich auch die Kunst in der Althaussanierung, die wir in Hall über viele Jahre gelernt haben, schätzen und weiterhin pflegen.

Mag. Dr. Alexander Zanesco, Stadthistoriker Hall in Tirol

 

Altstadthäuser bieten also ganz besondere Möglichkeiten. Auf der anderen Seite verlangt die Neugestaltung historischer Bausubstanz natürlich auch einen gewissen Aufwand, der aber erfahrungsgemäß deutlich geringer ausfällt als von Eigentümern befürchtet. Eine bewährte Vorgangsweise bei Althaussanierungen in Hall in Tirol ist die Durchführung einer Bauuntersuchung vor jedem Umbau. Die Kosten dafür machen lediglich einen geringen Anteil der Baukosten aus und schaffen gleichzeitig eine fundierte Basis für weitere Planungen.

 

Die Bauuntersuchung dient dazu, ein umfassendes Verständnis für das jeweilige Objekt zu erhalten – wie es sich entwickelt hat und was es für Besonderheiten hat. Jedes dieser Altstadthäuser hat seine eigene Geschichte und spiegelt die Persönlichkeit ihrer ehemaligen Besitzer wieder. Oft befinden sich die Häuser über mehrere Generationen hinweg im Eigentum derselben Familie. Das ist spürbar und macht die hohe Lebens- und Wohnqualität historischer Gebäude aus.

 

Exkurs: Nutzungsänderung im Laufe der Zeit – am Beispiel Stubenhaus in Hall in Tirol

Hall in Tirol gehört zu den wenigen Städten in Österreich, deren historische Bausubstanz als Ganzes noch sehr gut erhalten ist. Viele Gebäude sind 700 Jahre alt und gehen im Kern bis in die Stadtgründungszeit zurück. Im Laufe der Jahrhunderte haben die Häuser zahlreiche Nutzungsänderungen erfahren. Sie wurden erweitert, aufgestockt und den Bedürfnissen ihrer Besitzer entsprechend neu adaptiert. Die Frage, wie man mit alter Bausubstanz umgeht, stellt sich also nicht erst heute.

Das „Stubenhaus“ am Oberen Stadtplatz in Hall ist eines jener Stadthäuser in Hall, welches im Laufe seines Bestehens eine Vielzahl von Nutzungsänderungen erlebte.

 

Das Stubenhaus

(vgl. „Hall in Tirol – Entwicklung und Erneuerung der Altstadt“, Text und Gestaltung Heinz Moser)

Erste Erwähnung findet das Altstadthaus im Zusammenhang mit dem großen Stadtbrand im Jahr 1447. Es fiel der Brandkatastrophe zum Opfer, wurde aber von seinen damaligen Eigentümern in seiner heutigen Form wieder aufgebaut. In den Schilderungen über den Brand fand bereits die „Bürgertrinkstube“ Erwähnung – jenes Lokal, welches ab 1508 der Vereinssitz der von Ritter Florian von Waldauf gegründeten traditionsreichen Stubengesellschaft werden sollte.

Nach 1500 wechselte das Haus durch Heirat zweimal den Eigentümer und kam schließlich 1552 in den Besitz der Stadt Hall. Bis zum Jahr 1830 diente die „Behausung und Hofstatt, darin der Herren Trinkstube ist“ als Versammlungslokal der Haller Stubengesellschaft. Außerdem waren darin insgesamt acht Kaufmannsgewölbe und eine Wohnung, die von der Stadt vermietet werden konnte, untergebracht. In einem der ebenerdigen Gewölbe des Hauses befand sich vom 17. Jahrhundert bis 1895 die Haller Stadtapotheke.

Das Stubenhaus in Hall in Tirol
Das Stubenhaus am Oberen Stadtplatz, Fotoaufnahme 1902 Fotonachweis: Fotoarchiv der Stadt Hall in Tirol

 

Im Jahre 1834 verkaufte die Stadt Hall das Stubenhaus an den Kürschnermeister Alois Stürmlinger und den Bäckermeister Anton Albrechtt. Vier Jahre später erwarb es der Stadtbräumeister Ignaz Seidner, dessen Familie das Stubenhaus mehr als 130 Jahre besaß.

Die Stubengesellschaft wurde zu Beginn des 19. Jahrhunderts dem damaligen Modetrend folgend in eine „Casinogesellschaft“ umgewandelt. Die Trinkstube wich einer Art Lesezirkel und trug bis zu Beginn des 20. Jahrhunderts den Namen „Casinohaus“.

Im Jahr 1975 erfolgten umfassende Renovierungsarbeiten nach dem Übergang des Stubenhauses an neue Privatbesitzer.

 

Altstadthäuser

Das Stubenhaus heute seit seiner Renovierung in den 70er Jahren. Foto: Tourismusverband Region Hall-Wattens

 

Die Erneuerung der Fassade im ursprünglichen Farbton gab dem Altstadthaus wieder sein traditionelles Erscheinungsbild. Die Kastenfenster ersetzte man durch zweiflügelige Holzverbundfenster mit Metallsprossenteilung. Den ostseitigen Kamin an der Außenfront hat man renoviert, ebenso der Stiegenaufgang an der Ostfassade. An der Nordseite mussten die Zinnenprofile und die Steinkonsolen der Erker saniert werden. Außerdem musste ein flaches Dachgesims entsprechend der Giebelform aufgebracht werden.

 

Die heutige Nutzung ist vielfältig und passt in das zeitgemäße Bild eines multifunktionalen Stadthauses.

 

Die bereits beschriebene Stubengesellschaft besteht heute noch als der älteste und traditionsreichste Kulturverein der Stadt Hall bzw. des Landes Tirol und nutzt genauso wie eine politische Partei Teile des Obergeschosses. Die heutige Nutzung des Stubenhauses als Veranstaltungsort und Sitz von Vereinen folgt damit der langen Tradition des Hauses als Ort der Geselligkeit und des Zusammenkommens. Im darüberliegenden Stock befinden sich Wohnungen mit Blick auf den Oberen Stadtplatz.

 

In der Erdgeschosszone des Stubenhauses und im erweiterten Ensemble um den Langen und Kurzen Graben befinden sich eine Trafik mit einem umfassenden Zeitungssortiment, Textilhandel, ein Laden für Geschenkartikel und Kunsthandwerk, ein schickes Café, das Atelier eines Designers, ein Architekturbüro, ein Eisenwarenhandel und das Haller Bergbaumuseum.

 

Das Haus prägt die Ansicht des Oberen Stadtplatzes schließlich in markanter Weise, die Fassade ist Schauplatz eines Pop-up-Kunstprojektes von Heinz Weiler und umrahmt jeden Samstag den traditionsreichen Haller Bauernmarkt. Das Stubenhaus ist auch Teil der Weihnachtsdekoration mit den auf die Fassaden projizierten Zahlen des Adventkalenders.

 

Fazit: Altstadthäuser als nachhaltigste Form des Bauens

Altstadthäuser haben also im Laufe ihrer Geschichte vielen Besitzern gedient. Sie lassen sich auf heutige Bedürfnisse umnutzen und werden auch die kommenden Krisen überstehen. Durch Sanierungsmaßnahmen kann historische Bausubstanz nicht nur bewahrt, sondern als eine der nachhaltigsten Formen des Bauens einer neuen Nutzung zugeführt werden. Die Sanierung oder Umnutzung von Altstadthäusern bietet somit im Sinne einer nachhaltigen Stadtentwicklung die Möglichkeit, soziale, kulturelle und ökonomische Ansprüche an den Raum mit dem Schutz der Umwelt in Einklang zu bringen.

 

Titelbild: Stubenhaus am Oberen Stadtplatz Hall in Tirol in der Adventzeit. Fotonachweis: Gerhard Flatscher

Gsaller

Michael Gsaller

Michael Gsaller ist seit 25 Jahren Geschäftsführer vom Stadtmarketing Hall in Tirol und seit vielen Jahren im Vorstand des Dachverbandes „Stadtmarketing Austria“. Ein ausgewiesener Experte für belebte und attraktive Orte.
Gsaller war Referent bei der zweiten Ausgabe der Südtiroler Akademie für Orts- und Stadtentwicklung.

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