
Das stetig zunehmende Verkehrsaufkommen stellt die städtische Planung vor große Herausforderungen. Neue verkehrstechnische Entscheidungen sind gefragt, um Mobilität, Wohlstand und ein positives Lebensgefühl in Städten sicher zu stellen. Der Ruf nach autofreien Städten wird lauter und mancherorts schon umgesetzt.
Verkehr lässt sich aber nicht vollständig aus den Innenstädten verbannen, sondern erfordert neue Lösungen. Der Ausbau von Öffis, Radwege, Sharing-Modelle für Autos und Bikes, Begegnungszonen mit Geschwindigkeitsbeschränkungen – wir haben uns viele Ansätze angeschaut, um der Frage nachzugehen: Ist eine autofreie Stadt möglich, oder nur Utopie?
Mobilitätsverhalten in Österreich
Die jahrzehntelange Ausrichtung des Verkehrs auf das Auto hat zu vielen negativen Auswirkungen geführt. Alle Fortbewegungsformen abseits des PKWs werden systematisch benachteiligt. Lärm, Luftbelastung und Staus gehören zu den Begleiterscheinungen einer Stadt. Die Zahlen in Österreich sprechen leider für sich:
- 98 Millionen Kilometer pro Tag, um in die Arbeit und wieder nach Hause zu kommen.
- 70 Millionen Personenkilometer davon mit dem Pkw – fahrend oder mitfahrend.
- 57 Prozent der Arbeitswege sind kürzer als 10 Kilometer.
- 39 Prozent der an Werktagen gefahrenen Pkw-Kilometer entfallen auf den Arbeitsweg.
- 14 Prozent werden durch Dienstfahrten verursacht.
- Der große Rest sind Pendel- und Privatverkehr.
Allein die Arbeits-Autofahrten verursachen jährlich mehr als drei Millionen Tonnen CO2. Der Verkehr ist das größte Problem beim Klimaschutz. Statt zu sinken sind die CO2-Emissionen im Vorjahr zum fünften Mal in Folge gestiegen.

Foto: Grafik VCÖ
Experten fordern daher drei Ansätze in der Transformation des Verkehrs: Vermeiden – Verlagern-Verbessern.
- Vermeiden: Sind Wege überhaupt notwendig oder können sie durch moderne Medien zumindest teilweise ersetzt werden? Wie kann man den Besetzungsgrad im Auto erhöhen? Wie kann man mittelfristig Siedlungsstrukturen mit kürzeren Wegen schaffen?
- Verlagern: Gefragt ist der Umstieg auf umweltfreundliche Alternativen – zu Fuß, per Rad, mit Öffis und Sharing-Systeme, einer pragmatischen Multimodalität folgend.
- Verbessern: Jene Wege, die weiterhin nur mit dem motorisierten Individualverkehr bewältigbar sind, sollten durch technologische Verbesserungen umweltfreundlicher werden. Der Weg führt vom Verbrennungsmotor zum Elektro- oder zum Wasserstoffauto, ein weiteres aktuelles Thema ist das „Automatisierte Fahren“.
Pragmatische Multimodalität
Die „pragmatische Mulitmodalität“ ist ein Generationenthema, das neue Lösungen ermöglicht. Gerade im urbanen Bereich und bei jungen Menschen wird eine zunehmende Gleichgültigkeit gegenüber dem eigenen Auto festgestellt. Man will ein Auto nutzen, muss es aber nicht besitzen. Mit Smartphones und Apps hat man leichten Zugang zu Sharing-Systemen und damit wird der optimale Modus festgelegt: Zu Fuß, per Rad oder Öffis, mit Carsharing oder dem eigenen Auto.
Ältere Generationen tun sich schwerer auf das Auto zu verzichten. Sie sehen ein Auto als Erleichterung des Lebens, Prestigeobjekt oder Errungenschaft der modernen Technik. Außerdem ist ihnen der Zugang zu den modernen Kommunikationstechnologien nicht so selbstverständlich wie jüngeren Menschen.
- Autofreier Sonntag in Paris© OTCP
- die Stadt wird zur Fußgängerzone erklärt©-DR
Diese Metropolen weisen die Zukunft
Die Innenbezirke der Millionenstadt Paris sollen 2022 zu einer Fahrverbotszone gemacht werden. Spritztouren mit dem Auto durch den Arc de Triomphe oder am Eiffelturm vorbei werden nicht mehr möglich sein. Nur Fußgänger, Radfahrer, Busse, Taxis, Handwerker und der Lieferverkehr dürfen Straßen nutzen. Die Zone umfasst sieben Prozent der gesamten Stadtfläche. Bereits jetzt wird am ersten Sonntag des Monats die Champs-Elysee zur autofreien Zone.
In anderen Metropolen wie Madrid, Mailand und Rom bestehen diese Regelungen schon länger, der öffentliche Raum mitsamt dem Verkehr wird entsprechend angepasst. Die Bürgermeisterin von Barcelona hat sich bis 2030 das Ziel gesetzt, die Stadt autofrei und zu einer einzigen großen Fußgängerzone zu machen.
Ansätze in Österreich
Oberlech in Vorarlberg und Serfaus in Tirol sind in der Wintersaison bereits autofrei. In diesen Ortschaften dürfen fast keine privaten Kraftfahrzeuge mehr verkehren. Unterschieden wird zwischen Autos mit Verbrennungsmotoren und Elektrofahrzeugen. Blaulichtorganisationen, Schneepflüge, Bussen des öffentlichen Verkehrs sind Verbrenner noch erlaubt, ansonsten wird nur elektrisch gefahren.
Hier finden Sie weltweite Beispiele von Städten, die sich bewusst als autofrei deklarieren – nicht selten befinden sie sich auf Inseln oder im Gebirge.
7 Ideen für eine Innenstadt ohne Autos
„Taktische Urbanisierung“ bedeutet öffentliche Räume der Stadt wieder zu Treffpunkten des gemeinschaftlichen Lebens zu machen und die Aufenthaltsqualität zu steigern. Weniger Verkehr ist essentiell zur Beruhigung dieser Zonen. Neben der Nutzung von Öffis gibt es neue, zündende Ideen zur Umsetzung.
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Mitfahrbank
An vielbefahrenen Straßen sind Sitzbänke mit einer Schilderauswahl ausgestattet, um den gewünschten Zielort anzeigen zu können. Für kurze Strecken und in kleinen Gemeinden, wo jeder jeden kennt, funktioniert diese Einrichtung gut. Das Forschungsprojekt „Digitale Dörfer“ setzt zusätzlich auf eine App zur Vernetzung.
- Fotos: Mitfahrbank – www.BobenOp.de_files
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Bürgerbusse
Wie beim klassischen öffentlichen Nahverkehr werden festgelegte Haltestellen nach regulärem Fahrplan angesteuert. Die Organisation übernehmen engagierte Bürger, die Fahrer arbeiten ehrenamtlich. Per Telefon oder App gerufen, sind diese kommunalen Sammeltaxis bereits vielerorts im Einsatz und ermöglichen frei wählbare Abfahrtsorte.
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Garagen ohne Autos
In dicht besiedelten Bereichen sind Parkplätze von heute Raumreserven von morgen. Hochgaragen sind in der Errichtung günstiger und ermöglichen durch eine ausreichende Geschoßhöhe Mischnutzung, als Sportflächen mit Dach, als Lagerräume oder Rechenzentren.
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Temporär autofrei
In Wien wurden im Sommer 2019 drei Straßen mit Halte- und Parkverbot durch Sprühnebelduschen, Pflanzen und zusätzlichen Außenmöbeln aufgewertet. Projektideen wie „Coole Straßen“ in Wien oder „Ottensee macht Platz“ in Hamburg sind Ansätze mit positivem Echo und zu Dauereinrichtungen ausgebaut.
Rund um den Attersee gibt es jährlich einen autofreien Tag im Sommer. In St. Valentin werden Bürger aus 15 umliegenden Gemeinden zum „Mitradeln“ am 18. September eingeladen. Hier wird unter dem Motto “Gemeinschaft und Freude an Bewegung” der gemeinsame Verzicht aufs Auto vorgelebt.

Mitradeln St. Valentin
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Begegnungszonen
Begegnungszonen, in denen Autos, Fahrräder und Fußgänger gleichberechtigte Verkehrsteilnehmer sind, werden hervorragend bewertet und angenommen. Im Blogbeitrag von Daniela Krautsack mehr dazu: https://www.stadtmarketing.eu/was-koennen-begegnungszonen/
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Cycle-Ways
Radfahren ist schnell, gesund, umweltfreundlich, nachhaltig und wirtschaftlich. Darüber hinaus benötigt der Radverkehr weniger Verkehrsfläche als der Kraftfahrzeugverkehr. Er ist deshalb ein wichtiger Faktor für die Belebung der Städte und die zukünftige Verkehrspolitik. Letztendlich spielt das Fahrrad auch für die Förderung der Gesundheit und zur Erholung der Bürgerinnen und Bürger eine wichtige Rolle. Lesen Sie zu diesem Thema den Beitrag zum Radverkehr in Städten.
Fahrrad-Highways und verbreiterte Fahrradstreifen stehen für Pedalritter vor allem in den skandinavischen Ländern zur Verfügung. Fast die Hälfte der Einwohner Kopenhagens ist mit dem Fahrrad unterwegs. Die Infrastruktur, Brücken, Abstellplätze und gesicherten Wege wurden in den 1990er Jahre konsequent ausgebaut.
Doch auch in Österreichs Städten setzen sich alternative Transportmittel durch. Wer braucht in der Stadt schon ein Auto, wenn er ein Elektro-Lastenrad hat!“, lautet etwa in St. Valentin die Devise. Damit können unkompliziert kleinere Transportaufgaben erledigt werden.
Auch bei der Bürgermeisterin selbst war das Gefährt bereits im Einsatz. So drehte sie anlässlich des Valentinstags eine Runde in der Stadt, um Blumengrüße an BewohnerInnen, Vereine, Schulen, Geschäfte, Gastronomen und Ärzte zu verteilen.
Video E-Lastenrad St. Valentin zum Ausborgen: https://www.youtube.com/watch?v=pzhER6fKb34&t=78s
Zudem hat St. Valentin einen „Radlpickerlpass“ kreiert, der Einkaufsgutscheine den Umstieg vom Auto aufs Rad erleichtern soll.
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„Shared Mobility“ für Auto und Rad
Die Sharing Economy beeinflusst unser tägliches Leben nach dem Motto „teilen statt besitzen“ immer stärker. Digitale Vernetzung und Verfügbarkeit durch Smartphones, Registrierung und Abrechnung funktionieren mittels QR-Codes und Mobile-Payment-Apps. Die „last mile“ von Bus- oder U-Bahnhaltestelle zur Arbeits- oder Wohnstätte ist von entscheidender Bedeutung. Hier muss man attraktive Angebot erstellen und Bürgerwünsche erfüllen.

Foto: Bikesharing-Station Linz, @medienfrau Doris Schulz
Carsharing freut sich häufiger Beliebtheit dort, wo hohes Verkehrsaufkommen existiert und wenig Parkflächen zur Verfügung stehen. Profitabel kombiniert man die Vermietung durch eine Mindestbenutzerzahl mit hoher Dichte. In vielen Randgebieten oder kleinen Orten sind diese Bedingungen nicht gegeben.
Hier entstehen schließlich „Peer-to-peer Modelle“, wo man Fahrzeuge als gemeinsame „Nachbarschafts-Leistung“ kauft und nutzt. Hier der Link zu einem regionalen Vorzeigeprojekte einer Wohnanlage mit Carsharing: www.carsharing.link. Klar ist, dass durch solche Modelle die Zukunft verkehrsberuhigt und Abgas- und Lärmfreier ablaufen würde.

Foto: Carsharing Link
Fazit:
Städte völlig autofrei zu machen ist eine schöne Illusion, denn wir alle benötigen Waren, Dienstleistungen und Hilfe in Notsituationen. Im privaten Bereich ist aber vieles möglich und für ein gedeihliches Zusammenleben in Zukunft unabdingbar. Nur gemeinsam sind Fortschritte zu erzielen und jeder einzelne ist gefragt, daran mitzuwirken. Niemand will in einer lauten und übelriechenden Verkehrshölle leben, also ist der sukzessive Umstieg auf andere Verkehrsmittel ohne Alternative.
Für Kommunen sind die Leitlinien Vermeiden – Verlagern -Verbessern schließlich der beste Ansatz um ihr individuelles Mobilitätskonzept zu erarbeiten. Die „autofreie Stadt“ entsteht also durch einen dynamischen Prozess mit Planern, Politikern und Bewohnern. Sie kann nicht verordnet werden, sondern muss mit den Menschen, ihren Bedürfnissen und Wünschen wachsen. Dann nähert sich die Realität der Utopie.
Titelbild (c) Paris en commun