Der demografische Wandel ist unaufhaltsam, und das wirkt sich auch auf die Anforderungen an das Wohnen aus. Auch die Covid-19-Krise hat die Bedürfnisse und Prioritäten in Zusammenhang mit Wohntrends verändert.
Der demografische Wandel ist unaufhaltsam, und das wirkt sich auch auf die Anforderungen an das Wohnen aus. Auch die Covid-19-Krise hat die Bedürfnisse und Prioritäten in Zusammenhang mit Wohntrends verändert.
1. Die Städte expandieren
Seit dem Lockdown hat das Wohnen im Grünen noch mehr an Wert gewonnen. „Es hat sich bereits nach den ersten Wochen des Lockdowns gezeigt, dass Menschen nun zunehmend auch im weiteren Umland von Graz nach Wohnungen und Häusern suchen“, sagt der Grazer Immobilienmakler Andreas Neussl, Geschäftsführer von Steindorff Immobilien, „Dieser Trend hat sich bis heute noch deutlich verstärkt.“
Von Beginn an war klar, dass uns das Home-Office noch längere Zeit begleiten wird. Viele gehen davon aus, dass es auch nach Corona aus dem Joballtag nicht mehr wegzudenken sein wird.
„30 bis 40 Prozent unserer Kunden würden es bevorzugen, im Home-Office zu arbeiten“, sagt Neussl weiter. „Es kommt ihnen entgegen, langen Anfahrtszeiten und Staus zu entgehen.“
Auch Georg Spiegelfeld, Geschäftsführer von Spiegelfeld Immobilien in Wien bestätigt dies. „Der Lockdown war wie ein Wink mit dem Zaunpfahl. Was passiert, wenn es einen Breakdown gibt und niemand kann mehr seine Wohnung verlassen? Szenarien dieser Art könnten in Zukunft immer wieder entstehen.“
Georg Spiegelfeld beobachtet ebenso, dass Menschen durchaus zunehmend bereit sind, längere Anfahrtszeiten mit den Öffentlichen Verkehrsmitteln in Kauf zu nehmen, sofern sie sich fernab der Großstadt im Grünen ansiedeln können.
„Wer nur zweimal pro Woche ins Büro fahren muss und ansonsten im Home-Office arbeitet, hat kaum mehr Gründe, in der Stadt zu bleiben. Vor allem bei Familien mit Kindern beobachten wir diesen Trend stark“, so Spiegelfeld. Voraussetzung sei, dass die Lage des Zuhauses verkehrstechnisch günstig angebunden ist.
2. Das Home-Office wird bleiben
Die Coronakrise hat einige Trends, die sich schon seit langem abzeichnen, wie zum Beispiel die Digitalisierung im Allgemeinen und das Online-Shopping im Speziellen rasant beschleunigt. So auch das zeit- und ortsunabhängige Arbeiten im Home-Office.
„Wer es sich leisten kann, nimmt heute eine Wohnung mit einem eigenen Arbeitszimmer mit dazu“, sagt Georg Spiegelfeld. Zum einen besteht also mehr Bedarf an Wohnfläche.
Zum anderen können sich viele seit den Auswirkungen des Lockdowns durch Kurzarbeit, Arbeitslosigkeit oder Insolvenzen den bisherigen Lebensstandard unverschuldet nicht mehr leisten. „Viele Menschen satteln deshalb nun notgedrungen auch auf kleinere Wohnungen um“, so Spiegelfeld.
3. Coworking im Wohnbau
Bernd Rießland, Obmann der gemeinnützigen Bauvereinigungen und Vorstand der Sozialbau AG, ortet darüber hinaus einen Trend zu Coworking-Bereichen in Stadtquartieren und in einzelnen Wohnprojekten. „Wir loten gerade aus, ob Gemeinschaftsbüros von Bewohnern auch genützt werden oder ob man sich doch am liebsten ins Home-Office in den eigenen Vier Wänden zurück zieht.“ Derzeit sei ein Projekt im 22. Bezirk im Bau, das Wohnen und Arbeiten umfassend vereint.
In dem Projekt „Lebendige Erdgeschossflächen an der Schanze“, bietet der Raumteiler Hub „sChanze“ leistbare und flexible Raumangebote, die zum Beispiel von Selbstständigen und Kleinunternehmern sinnvoll genützt werden und auch den Bewohnern des Hauses zugute kommen können.
„Die Macher werden in einer Gruppe verbunden. Weg vom Einzelkämpfertum hin zu Gemeinschaft und gegenseitiger Unterstützung„, so Rießland.
Durch das Raumteiler-Prinzip kommen auf 570 Quadratmeter auch diejenigen Anbieter zu Raum, die normalerweise von diesem Teil des Immobilienmarktes ausgeschlossen sind.
„Zum Einen, weil sie es sich finanziell nicht leisten können, alleine eine Fläche anzumieten oder weil sie die Fläche nicht rund um die Uhr benötigen und dafür keine passenden Raumangebote vorfinden“, sagt Rießland.
„Den Bewohnen wird zugleich ein vielfältiges Angebot präsentiert, die Flächen werden dicht bespielt und wirklich genutzt. Was wesentlich zur Lebendigkeit des Quartiers beiträgt“, sagt Rießland.
Einmieten können sich Selbstständige etwa aus den Bereichen Yoga, Pilates, Fitness, Kinderturnen, Coaching, Shiatsu, Ernährungsberatung, Nachhilfe, Gedächtnistraining, Beratung für Alleinerziehende uvm.
Im Raumteiler Hub „Creativespace“ stehen außerdem auf etwa 800 Quadratmetern Ateliers, Werkstätten und Probreäume zur Verfügung.
4. Freiflächen sind ein Muss
Unabhängig von der Lage und Größe der Wohnung ist seit dem Lockdown auch die Bedeutung der Freiflächen auf der Prioritätenliste der Wohnungssuchenden weit nach oben gerückt.
Immobilienexperten sind sich einig, dass ohne Balkon, Terrasse oder Garten fast gar nichts mehr geht. „Zumindest ein Balkon ist seit Corona zum Muss geworden“, sagt Andreas Neussl.
5. Zielgruppengerechtes Wohnen
Da sich die Gesellschaftsstruktur mehr und mehr diversifiziert – wir finden heute sowohl traditionelle Familien als auch Singles mit Kindern und Alleinstehende ohne Nachwuchs quer durch alle Altersklassen sowohl in Städten und Gemeinden – rücken auch die unterschiedlichen Bedürfnisse der einzelnen Gruppen in Bezug auf das Wohnen in den Fokus.
So können wir vermehrt damit rechnen, dass mehr zielgruppengerechte Wohnformen entstehen werden. Wie zum Beispiel Wohnprojekte für Alleinerziehende, Wohnbauten, die auf leistbares Wohnen für Familien mit Kindern ausgerichtet sind sowie Betreutes und Betreubares Wohnen für Senioren.
6. Anteil am Betreuten Wohnen steigt
Letztgenanntes ist stark im Vormarsch. Mit 48 Prozent möchte rund die Hälfte der Österreicher laut einer RE/MAX-Studie aus dem Jahr 2019 im Alter zu Hause wohnen. Ein Viertel präferiert Betreutes Wohnen in barrierefreien, speziell für ältere Menschen adaptierten Wohnhäusern.
Wesentlich geringen Anklang finden Alters-/Senioren- oder Pflegeheime mit zehn Prozent und lediglich fünf Prozent wollen sich Seniorenresidenzen leisten. Am wenigsten können sich die Österreicher vorstellen, im Alter im Haus oder in der Wohnung der Kinder und Enkel zu wohnen (sieben Prozent), bei den über 50-jährigen sind es sogar nur mehr zwei Prozent.
„Derzeit ist es bemerkbar, dass Menschen sich zu spät darum kümmern, wo sie im Alter wohnen wollen“, sagt Markus Schwarz, Geschäftsführer von der SeneCura Kliniken- und HeimebetriebsgmbH. Der Pensionsantritt sei der richtige Zeitpunkt, um Entscheidungen für die Zukunft zu treffen.
Individualisierte Wohnformen
„Wohnformen müssen sich zunehmend individualisieren, weil Menschen das auch tun“, so Schwarz. Wir werden zunehmend älter, bleiben länger gesund und fit und wollen so lange wie möglich selbstbestimmt und frei leben.
Während viele Menschen auch gut damit leben könnten, bis zum Schluss zuhause zu leben, wünschen sich andere vermehrte Sozialkontakte im Wohnumfeld.
Betreutes und Betreubares Wohnen geht individuell auf den Bedarf an Serviceleistungen beim altersgerechten Wohnen ein und ermöglicht zum Beispiel gemeinsame Aktivitäten in der Gruppe des Wohnverbandes.
„Der wesentlichste Aspekt ist jedoch das barrierefreie Wohnen“, erklärt Schwarz die Ergebnisse der SeneCura-Wohnstudie. Während früher so gut wie jeder ein Altenheim besiedeln konnte, braucht man heute mindestens die Pflegestufe drei oder vier, um einen Platz in einem Heim zu bekommen.
„Das führt unweigerlich dazu, dass das Betreute und Betreubare Wohnen immer mehr an Relevanz gewinnen wird“, so Markus Schwarz. „In den letzten Jahren hat sich hier eine große Lücke aufgetan, weil der Bedarf so groß ist.“
7. Smart Living im Betreuten Wohnen?
Während zahlreiche Initiativen wie das Projekt WAALter Senioren gezielt an Technologie zur Unterstützung im Alltag heranführen sollen, sieht Markus Schwarz den Smart Living-Trend in Senioren-Wohnungen derzeit noch kritisch.
„Oft zählt das Öffnen und Schließen des Vorhanges oder das Betätigen der Lichtschalter zu den wenigen Gelegenheiten, in denen sich SeniorInnen im Alltag bewegen. Es ist aus meiner Sicht nicht vorteilhaft, diese Handlungsschritte durch Technologie zu ersetzen.“
Anders sieht er den Bedarf an Smart Living für die heutige junge Generation im Alter. „Wer ein Leben lang mit der Technologie gelebt hat, wird sie auch in späteren Jahren nicht missen wollen.“
8. Weniger Autos, mehr Mobilität
Bernd Rießland, Obmann der gemeinnützigen Bauvereinigungen, verweist auch den Rückgang der Autostellplätze in den Wohnbauten. „Das Auto als Statussymbol ist bei den jungen Menschen passé“, so Rießland.
„Es dient vor allem als Fortbewegungsmittel und darum gehen immer mehr Junge dazu über, Carsharing zu nützen anstatt ein eigenes Auto anzuschaffen.“
Die Garagenflächen in den Wohnbauten werden also kleiner. In neuen Objekten werden sogar schon eigene Autos für Sharing-Zwecke von der Bauvereinigung bereitgestellt. Oder es werden entsprechende Verträge mit Carsharing-Anbietern geschlossen.
„Dieser Trend wird sich in den kommenden zehn bis 20 Jahren noch verstärken“, sagt Rießland.
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