Die Übertourismus-Plage: Ursachen und Gegenstrategien

24.04.2024
Gesellschaft, Wirtschaft

Übertourismus_Titel
(c) Gerhard Mair, Büro SKGT24

Venedig, Barcelona, Dubrovnik, Salzburg, Hallstatt – das sind jene Orte, die oft in Verbindung mit dem sogenannten Übertourismus genannt werden. Was sind die Hintergründe für diesen Massentourismus und welche Maßnahmen können Tourismus-Hotspots treffen, um die negativen Auswirkungen zu mildern und die Lebensqualität sowohl für Besucher als auch für Einheimische zu erhalten?

Steigende Besucherzahlen in den Tourismus-Hotspots sind eine Plage

Die Reisebranche konzentriert sich wie viele andere fast ausschließlich auf das Wachstum, wobei die Auswirkungen kaum oder gar nicht berücksichtigt werden. Hinter dieser Praxis stehen meist große Reiseveranstalter, die öffentliche Güter, für die sie weder Besitzrechte haben noch Entgelte entrichten, zu einem Produkt umfunktionieren und kommerziell verwerten.

Nach Jahrzehnten praktisch unkontrollierten Wachstums hat es eine Schwelle überschritten. Die Grenze der Belastbarkeit ist erreicht, vor allem, wenn Touristen nur für einen kurzen Zwischenstopp halt machen und zunehmend Drohnen einsetzen, die dann auch vor den Fenstern der Wohnhäuser schweben.

In vielen Destinationen verursacht der Tourismus nachweislich mehr Probleme als Vorteile. Aus Sicht der Einheimischen werden ‚zu viele‘ Touristen zu einem Störfaktor, der das tägliche Leben vor Ort belastet. Auch die Touristen selbst können andere Touristen als störend empfinden.

Bürgerinitiativen, Märsche auf den Straßen und Graffitis mit Aufschriften, wie „Tourist go home“ zählen noch zu den milderen Antworten der zunehmend verärgerten Bevölkerung. Schlimmer ist es, wenn Fremdenführer attackiert oder Autobusreifen von Reiseveranstaltern aufgestochen werden.

In einigen Fällen reagierten die lokalen Behörden mit einer Erhöhung von Gebühren und der Verweigerung der Erteilung von Genehmigungen für stärker auf Touristen ausgerichtete Unternehmen in den Innenstädten. In manchen Ländern werden sogar ganze Stadtteile für Besucher geschlossen.

Die Wurzeln des Übertourismus

Seit 2016 hat das Phänomen der Überfüllung von stark besuchten touristischen Destinationen offiziell einen Namen: Overtourism – auf Deutsch pragmatisch mit Übertourismus übersetzt. Das Wort entsteht aus einer Steigerung des Massentourismus hin zu einer Entwicklung, die das Entstehen von Konflikten zwischen Einheimischen und Besuchern an stark besuchten Zielen zum Gegenstand hat. Betroffen sind vorwiegend Städte , aber auch Nischendestinationen wie Nationalparks oder einzigartige Orte.

1. Verändertes Reiseverhalten

Mit dem Wort Tourismus verband man bis vor einigen Jahren Freizeit, Entspannung, Abenteuer, Unterhaltung und Genuss. Es hat vergessenen ländlichen Gemeinden Wohlstand gebracht, zerfallende historische Städte wiederhergestellt und sogar vom Aussterben bedrohte Tierarten konserviert.

Das Verhaltensmuster des Reisens hat sich jedoch über die Jahrzehnte verändert. Die günstigen Tarife der Billigfluggesellschaften ermöglichen Menschen reisefreudiger Nationen, kurze und zahlreiche Besuche pro Jahr zu tätigen. Reisen führen häufiger ins Ausland, sind kürzer, und besonders bei Fernreisen wollen Touristen so viele Destinationen wie möglich sehen.

Billig_reisen_Übertourismus
Abbildung 1: Billig reisen – schnell online gebucht. Quelle: Canva.com

Auch das Reiseverhalten der Österreicher hat sich seit den siebziger Jahren stark verändert. Herr und Frau Österreicher reisen viel öfter, dafür kürzer und häufiger mit dem Flugzeug.

 

Übertourismus: Entwicklung der Haupturlaubsreisen der Österreicher seit1969
Abbildung 2: Reiseverhalten der Österreicher seit 1969. © Statistik Austria

Der Kreuzfahrttourismus wächst ebenfalls stark. Schiffsgrößen mit 2.000 und mehr Passagieren sind weit verbreitet und es kann vorkommen, dass mehrere dieser Schiffe gleichzeitig im selben Hafen liegen. Hafenstädte sind bei den Landausflügen angesichts der großen Zahl an plötzlich auftretenden Touristen oft überfordert.

Durch das Internetportal Airbnb werden Kapazitäten, die ursprünglich dem Wohnungsmarkt der Einheimischen dienten, für Zwecke des Tourismus (zweck-) entfremdet. Die Folge ist ein Anstieg der Mieten durch die höhere Nachfrage an Wohnraum, wodurch eine Verknappung entsteht.

Venedig ist eine der Städte Europas, die am meisten vom Übertourismus betroffen sind.
Abbildung 3: Städte wie Venedig verwandeln sich zunehmend in einen Vergnügungspark für Tagesgäste, während  junge Einheimische durch die Probleme mit Airbnb Opfer einer Wohnraumverknappung werden. Kreuzfahrtschiffe in Venedig – canva.com

2. Instagrammability

In der heutigen Zeit sind soziale Medien, insbesondere Instagram, zu einem signifikanten Faktor in der Tourismusindustrie geworden. Die Plattform wird gezielt genutzt, um „instagrammable moments“ zu bewerben. Daraus hat sich ein neuer Massentourismus entwickelt. Teilweise werden Reiseziele sogar nach ihrer „Instagrammability“ – also ihrer Eignung für attraktive Fotos – ausgewählt.

Neben Hotspots wie Wien, Salzburg oder Hallstatt sind vor allem Naturschauplätze bei Instagram-Fotografen beliebt – mit teilweise schwerwiegenden Folgen für die Natur. Denn anders als traditionelle Besucher, die kommen, um zu wandern, sich zu erholen und die Natur zu genießen, sind Instagram-Touristen oft nur auf das perfekte Foto aus, für das sie lange Anfahrts- und Wartezeiten in Kauf nehmen.

Instagram Touristen sind oft nur an einem Foto interessiert und bedenken dabei nicht die Folgen ihres Tuns für den Ort.
Abbildung 4: Instagram-Touristen kommen oft nur für ein Foto. © Gerhard Mair, Büro SKGT24

Touristenorte wie der Pragser Wildsee in Südtirol, der Krka Nationalpark in Kroatien, oder der Dachstein in Österreich sind Beispiele für solche Orte. Obwohl die betroffenen Orte von außergewöhnlicher natürlicher Schönheit sind, verlieren sie durch den Massentourismus an Reiz. Dennoch bleibt die Anziehungskraft dieser „idyllischen“ Schauplätze bestehen, getrieben von der Vorstellung, dass man einmal „da gewesen“ sein muss.

Allerdings gefährden viele Instagrammer auch sich selbst. Wanderausrüstung scheint für viele ein Fremdwort zu sein. Stattdessen schleppen sie – ausgestattet mit Sandalen und lockerer Sommerkleidung – Schminkkoffer, Hochzeitskleider und andere modische Accessoires mit sich. So ausgerüstet sind sie auf steilen Wander- und Waldwegen unterwegs oder klettern auf Felsen herum.

Unfälle sind damit vorprogrammiert. So gab es etwa am Königssee Wasserfall-Pool im Nationalpark Berchtesgaden bereits mehrere Unfälle. Im Jahr 2021 wurde der als „Natural Infinity Pool“ bekannte Foto-Hotspot schließlich komplett gesperrt.

3. Filmbasierter Übertourismus

Markante Gebäude, Dörfer, Städte oder Landschaften können plötzlich zu einem Touristen-Hotspot werden, wenn sie als Drehort für einen Film oder eine Fernsehserie genutzt wurden. Die Beispiele sind bekannt: In der Küstenstadt Dubrovnik wurde „Game of Thrones“ gedreht, seither wird die historische Altstadt überrannt.

Das unfassbarste Beispiel bietet die HBO-Serie „Chernobyl“, die auf dem Reaktorunglück von Tschernobyl im Jahr 1986 basiert. Seither reisen Zuseher an den Ort der nuklearen Katastrophe. Hunderte von Menschen unternehmen Tagestrips in die Sperrzone.

Dabei müssen Touristen nicht immer dorthin gehen, wo sowieso schon alle hinreisen. Tolle Filmschauplätze gibt es nämlich auch in Österreich:

  • In Salzburg, wo der Kultfilm „The Sound of Music“ entstand, der die Mozartstadt schlagartig in der ganzen Welt berühmt machte.
  • In Lienz/Osttirol, wo der Film „Sieben Jahre in Tibet“ mit Brad Pitt gedreht wurde.
  • Im Naturpark Seewaldsee im Tennengau, den Nicolas Cage im Zuge der Dreharbeiten für „Der letzte Tempelritter“ als Märchenlandschaft bezeichnete.
  • In Feldkirch und Bregenz, die James Bond in „Ein Quantum Trost“ beherbergten.
  • In Tirol am Fuß des Wilden Kaisers, wo in den Orten Ellmau, Going, Scheffau und Söll „Der Bergdoktor“ gedreht wird.

Die 750 Einwohner des österreichischen Ortes Hallstatt hat diese Form des Tourismus allerdings besonders hart getroffen. Bis zu 10.000 Besucher täglich und rund eine Million Besucher jährlich muss der kleine Ort verkraften. Das Verhältnis von Tourist zu Einwohner ist fast dreimal so hoch wie in Dubrovnik und mehr als sechsmal so hoch wie in Venedig.

Einer der Hauptgründe für diesen Zustrom ist die südkoreanische Netflix-Serie „Spring Waltz“ aus dem Jahr 2006, die zum Teil in Hallstatt gedreht wurde. Seither wollen viele Asiaten den Ort sehen. Für einen zusätzlichen Hype sorgte der Nachbau des Dorfes in China samt See und Marktplatz.

Und mittlerweile verstärken Tausende #hallstatt UNESCO Weltkulturerbe und Instagram Hotspot-Selfies den Hype. Damit potenziert sich das Problem in Hallstatt, da viele Besucher nur für ein paar Fotos kommen, also im Ort selbst kein Geld ausgeben.

Hallstatt ist ein Hotspot für Instagram-Touristen, die oft nur für ein Foto kommen.
Abbildung 5: In Hallstatt ist das Alltagsleben durch den Massentourismus stark beeinträchtigt. Einwohner haben mit Tunnelblockaden und Holzwänden reagiert, um die Sicht auf die beliebtesten Fotospots zu versperren. Für Touristenbusse wurde bereits ein Slot-System eingeführt, ähnliche Maßnahmen werden nun auch für PKWs erwogen. © Gerhard Mair, Büro SKGT24

Die Folgen von Übertourismus

Wenn Tourismus die Grenzen der Nachhaltigkeit überschreitet, manifestieren sich die Folgen deutlich gravierender als nur in langen Warteschlangen vor lokalen Sehenswürdigkeiten. Die Auswirkungen von Übertourismus sind tiefgreifender als allgemein angenommen und belasten Lebensweise, Kultur, Flora und Fauna, Infrastruktur und vieles mehr vor Ort:

  1. Umweltbelastung: Deutliche Schäden an natürlichen Ressourcen, Überlastung der Infrastruktur, Verschmutzung und allgemeine Degradation der Landschaft und Ökosysteme durch zu viele Besucher, z.B. Flächenversiegelung durch Parkplätze, Trampelpfade, Drohnen und Lärm, die die Tier- und Pflanzenwelt belasten.
  2. Soziale Belastung: Beeinträchtigung der Lebensqualität der lokalen Bevölkerung durch Lärmbelästigung, Vermüllung, Sicherheitsprobleme, überfüllte öffentliche Räume und Verkehrsstaus.
  3. Wohnungsprobleme: Wenn durch Übertourismus immer mehr Wohnungen für Ferienvermietungen freigemacht werden, steigen die Mietpreise durch das verknappte Angebot an Wohnraum. Einheimische werden aus den Städten gedrängt, da Ferienwohnungen für Vermieter sehr viel lukrativer sind.
  4. Verlust alltäglicher Infrastruktur: Souvenirshops und teure Restaurants verdrängen Lebensmittelgeschäfte und Geschäfte des alltäglichen Bedarfs.
  5. Wirtschaftliche Nachteile: Zwar profitiert eine Region wirtschaftlich vom Tourismus, jedoch kann Übertourismus zu einer Abhängigkeit von dieser einzigen Einkommensquelle führen, was wiederum zu einer Vernachlässigung anderer Sektoren führen kann. Weiters kann die Inflation lokaler Preise, insbesondere im Wohnungsmarkt und bei Dienstleistungen, die Einheimischen verdrängen.
  6. Kulturelle Erosion: Die Präsenz und das Verhalten von Touristen stören das lokale kulturelle Gefüge, untergraben traditionelle Lebensweisen oder missachten „heilige“ und historische Stätten.
  7. Kapazitätsprobleme: Ein Mangel an angemessener Infrastruktur, um die große Anzahl von Besuchern zu managen, wie z.B. unzureichende sanitäre Anlagen, Müll- und Abwasserentsorgung und Transportmittel.
  8. Reaktion der Einheimischen: Wachsender Widerstand gegen Touristen, insbesondere Tagestouristen, wenn die negativen Aspekte des Tourismus die wahrgenommenen Vorteile überwiegen.
  9. Saisonalität und räumliche Konzentration: Probleme entstehen oft in sehr beliebten Destinationen während der Spitzenzeiten, wenn die Besucherzahlen die Kapazität des Ortes übersteigen.
Menschenmassen in Stadtzentren führen in vielen Städten Europas zu Overtourism
Abbildung 6: Das Management von Übertourismus erfordert ein Gleichgewicht zwischen der Förderung des Tourismus zur Unterstützung der lokalen Wirtschaft und dem Schutz der Lebensqualität der Einwohner sowie der natürlichen und kulturellen Ressourcen.

Tourismusstrategie – gesucht!

Übertourismus betrifft Destinationen auf unterschiedliche Weise. Es gibt viele Lösungsansätze, aber kein Patentrezept, das überall funktioniert. Hinzu kommt, dass Interessenkonflikte zwischen Tourismuswirtschaft und Einheimischen oft nicht so einfach überbrückt werden können.

1. Differenzierte Betrachtung der Besucher

Die Problematik des Übertourismus lässt sich nicht mit einem Einheitsansatz lösen. Bei der Bewältigung von Herausforderungen muss eine differenzierte Betrachtung der verschiedenen Gästesegmente vorgenommen werden. Ein undifferenzierter Umgang könnte die lokale Wertschöpfung beeinträchtigen, insbesondere wenn es um Tagestouristen geht, die von naheliegenden Urlaubsorten für einen Ausflug in die Städte kommen. Diese Gruppe trägt erheblich zur lokalen Wertschöpfung bei und sollte nicht durch restriktive Maßnahmen abgeschreckt werden.

Ein kritischeres Segment sind hingegen Touristen, die zum Beispiel im Rahmen von „Europa in 10 Tagen“-Touren mehrere Destinationen an einem einzigen Tag abklappern und meist nur eine Stadtrundfahrt buchen. Um die negativen Auswirkungen dieser Kurzbesuche zu minimieren, könnten hohe Einfahrts- und Parkgebühren eingeführt werden.

Eine mögliche Strategie wäre die Erhebung einer Gebühr von beispielsweise 500 Euro, die dann in Form von Gutscheinen für lokale Geschäfte zurückgegeben wird. Eine solche Maßnahme wurde bisher noch nicht erprobt, könnte aber eine innovative Lösung darstellen, um die ökonomische Wertschöpfung zu steigern und gleichzeitig die touristische Belastung zu regulieren.

2. Zeitliche Umverteilung

Um die Aufenthaltsdauer von Touristen in Stoßzeiten effizienter zu gestalten und Warteschlangen zu vermeiden, setzen einige touristische Hotspots auf digitale Buchungssysteme. Besucher können über Online-Plattformen oder spezielle Apps verfügbare Zeitslots reservieren, um Sehenswürdigkeiten zu besichtigen.

Dieses Verfahren optimiert den Besucherfluss, reduziert Überfüllung an Points of Interest (POIs) und steigert somit die Besuchsqualität. Beispielhaft für diese Praxis sind die Kultur-Ticket-Systeme in Graz und Linz, die es ermöglichen, Eintrittskarten für Museen und andere kulturelle Einrichtungen online zu buchen und gleichzeitig die Besucherzahlen zu überwachen und zu steuern.

Apps als wirkungsvolle Strategie zur zeitlichen und räumlichen Umverteilung von Touristenstömen.
Abbildung 8:Echtzeitinformationen über Apps erleichtern die Besucherlenkung.

3. Räumliche Umverteilung

Um die Besucherströme in touristischen Hotspots geographisch besser aufzuteilen, setzen viele Destinationen auf digitale und infrastrukturelle Lösungen sowie die Dezentralisierung von Attraktionen.

  • Digitale Steuerung der Besucherströme: Städte wie Venedig nutzen ihre Webseiten zur Veröffentlichung von Echtzeitdaten über Wartezeiten an Sehenswürdigkeiten. Touristen können so jederzeit den aktuellen Zustand abrufen und ihre Besuche entsprechend planen. Durch den Einsatz von Apps erhalten Gäste Empfehlungen, zu welcher Zeit Attraktionen am besten besucht werden sollten. Zusätzlich werden Echtzeitinformationen für weniger überlaufene Points of Interest (POIs) übermittelt, die in der Zwischenzeit besucht werden können.
  • Infrastrukturelle Anpassungen: Einige Regionen erweitern ihre Infrastruktur, um Touristenströme besser zu verteilen. Das reicht von besseren Verkehrsanbindungen bis hin zu neuen Freizeitangeboten, die auch den Einheimischen zugute kommen. Ein Beispiel hierfür ist das Salzkammergut, das mit einem Regionen verbindenden Kulturkonzept wirbt. Durch gezielte Promotion von Reiserouten und den Ausbau öffentlicher Verkehrsmittel sollen Touristen auch in umliegende Regionen mit touristischem Potenzial gelockt werden.
  • Dezentralisierung von Attraktionen: In Prag werden touristische Attraktionen außerhalb des Stadtzentrums gefördert, um Besucherströme zu verteilen. In Amsterdam wiederum hat man einfach den 18 km entfernten Strand in „Amsterdam beach“ umbenannt und damit künstlich einen neuen Attraktionspunkt geschaffen. Im Salzkammergut verbindet das Slow-Hotelkonzept mehrere Standorte durch ein Netzwerk an Boutique-Zimmern, um Gästen zu ermöglichen, die Region auf eine neue Art und Weise zu entdecken. Jedes dieser Konzepte nimmt Druck von den üblichen Touristenmagneten und bringt den Gästen weniger bekannte Orte näher.

4. Preise, Taxen und Steuern

Europäische Städte setzen verstärkt auf finanzielle Maßnahmen zur Steuerung des Massentourismus und zur Minderung seiner negativen Auswirkungen. In Barcelona wurden die Taxen verfünffacht, wobei ein Teil der Einnahmen direkt der lokalen Bevölkerung und der Infrastruktur zugute kommt. Berlin nutzt Gebührenmodelle, wie eine Übernachtungsgebühr, und überprüft bei Airbnb-Übernachtungen verstärkt die korrekte Versteuerung.

Ähnlich verhält es sich in Paris, wo durch einen 50%igen Anstieg der Ticketpreise für den Eiffelturm umfangreiche Sanierungsarbeiten finanziert werden. In Venedig wird  seit 2024 eine Eintrittsgebühr für Tagestouristen erhoben, um die Besucherzahlen besser steuern zu können. Auch am Comer See soll jetzt eine Touristengebühr eingeführt werden, um die gehobenen Urlauber in ihren Luxus-Etablissements nicht abzuschrecken.

Darüber hinaus werden in vielen touristischen Einrichtungen dynamische Preismodelle eingesetzt. Ein bekanntes Beispiel ist der Burj Khalifa, wo aufgrund von Kapazitätsbeschränkungen Preise für Zeitslots variieren, insbesondere während der Stoßzeiten bei Sonnenauf- und -untergang. Skigebiete in Österreich setzen ebenfalls vermehrt auf dynamische Preise für Tagestickets, die sich je nach Nachfrage ändern.

5. Zugangsbeschränkungen, Kontingentierung und Limitierung

  • Vorab-Online-Reservierungen: Orte wie die Uffizien in Florenz und das Miniatur Wunderland in Hamburg nutzen Online-Reservierungssysteme, um den Besucherandrang zu regulieren. Besucher erhalten eine Mitteilung mit Datum und Uhrzeit für den Zugang, ohne die üblichen Warteschlangen in Kauf nehmen zu müssen.
  • Verbote und Regulierungen: Venedig hat große Kreuzfahrtschiffe aus der Nähe des Markusplatzes verbannt. Berlin und Dublin haben ein Verbot gegen Zweckentfremdung von Wohnraum erlassen, um Airbnb-Vermietungen einzudämmen. Amsterdam hat zur Lösung seiner „Verkehrsprobleme“ im Zentrum „Beer-Biking“ verboten und eine Online-Kampagne mit dem Titel „Stay Away“ gestartet, die insbesondere junge Briten fernhalten soll, die zum exzessiven Feiern nach Amsterdam kommen.
  • Zugangsbeschränkungen: In gehypten Touristenzielen wie dem Pragser Wildsee wurden Maßnahmen wie Zufahrtsbeschränkungen für Autos, Online-Reservierungen für Tagestouristen und die Beschränkung der Besuche auf bestimmte Wochentage umgesetzt. In Dubrovnik dürfen nur mehr ein paar tausend Besucher in das mittels Datatracking und Kameras überwachte historische Zentrum. Hallstatt hat die Parkmöglichkeiten eingeschränkt und ebenfalls ein KI-gestütztes System zur Besucherüberwachung eingeführt, um eine fundierte Grundlage für die Verkehrslenkung zu schaffen.
  • Bettenobergrenze, Bettenstopp: Beispiele findet man in Südtirol oder Salzburg. Auch Amsterdam und Barcelona versuchen die Bettenkapazitäten zu begrenzen.
Übertourismus: Amsterdam bekämpft insbesondere den Alkohol- und Drogentourismus mit Verboten und Stay away - Kampagnen.
Abbildung 9: Amsterdam geht mittlerweile mit Verboten und Kampagnen hart gegen Sauf- und Drogentourismus vor. © FaceMePLS from The Hague,Bierfiets‘ Droogbak AmsterdamCC BY 2.0

6. Stärkung der Nebensaison

Die Lösung kann nicht darin bestehen, den Tourismus in einer davon abhängigen Region zu schwächen oder abzuschaffen. Vielmehr sollte er neu konzipiert werden, insbesondere durch die Förderung der Nebensaison mit erweiterten Angeboten. Durch das Promoten weniger beliebter Reisezeiten streben einige Destinationen eine gleichmäßigere Verteilung der Touristen über das Jahr an. Am Beispiel des Königssees in Bayern zeigt sich, wie durch gezielte Veranstaltungen und Aktivitäten in der Nebensaison die Spitzenlasten der Hochsaison effektiv reduziert werden können.

7. Vernetzung der Daten

Smart Destination Management Systeme (SDMS) spielen eine zunehmend wichtige Rolle bei der Bewältigung von Übertourismus. Diese Systeme nutzen digitale Technologien, um Besucherströme zu steuern, Ressourcen effizient zu nutzen und die negativen Auswirkungen des Tourismus zu minimieren. In Österreich gibt es mehrere Beispiele, wie SDMS erfolgreich zur Bekämpfung von Übertourismus eingesetzt werden:

  • Salzburg Altstadt: Salzburg Research hat ein automatisches Monitoring-System für Bewegungsströme entwickelt, um Effekte des Overtourism zu verhindern bzw. zumindest abzumildern.
  • Pitztal: Das Pitztal hat ein „Smart Destination Management“-System implementiert, das umfassende Gäste-Informationen bereitstellt, einschließlich Öffnungszeiten von Infrastruktureinrichtungen, um die Besucher gleichmäßiger über die Region zu verteilen.

Die Probleme, die Übertourismus produziert, sind mitunter auf Fehlmanagement zurückzuführen: Denn Flugzeuge und Tourenbusse befördern unkontrolliert Besucher in die Stadt, egal, ob die Kapazitätsgrenze erreicht ist. Zukünftig könnte eine Echtzeit-Grafik die aktuelle Auslastung der Stadt anzeigen, einschließlich Hotels, Top-Attraktionen und Parkplätzen, sowie festgelegte Obergrenzen visualisieren, um eine Überfüllung zu verhindern.

Zur Bekämpfung des Übertourismus hat das Pitztal ein Smart Destination Management System eingeführt.
Abbildung 10: Das Pitztal verfügt nun über ein modernes System, wo das gesamte Angebot von Unterkünften bis zu Erlebnissen in Verbindung mit der Gästekarte über eine Plattform dargestellt und buchbar gemacht wird.

Partizipation als Schlüssel

Tourismusforscher Markus Pillmayer plädiert für eine neue Form des Tourismus, die den Einheimischen mehr Mitspracherecht gewährt und deren Lebensqualität berücksichtigt. Die Tourismusakzeptanz müsse mit bedacht werden. Denn egal, ob für Gäste oder Einheimische: Beide wollten vor Ort Lebensqualität.

Auch sollten Gäste in Übertourismus-Gebieten durch Aufklärungskampagnen auf die damit verbundenen Probleme aufmerksam gemacht werden. Der Nationalpark Berchtesgaden führt beispielsweise Bildungsprogramme durch, um das Bewusstsein für die Auswirkungen des Tourismus auf die lokale Flora und Fauna zu erhöhen.

Eine Strategie in diesem Kontext könnte darin bestehen Influencer in den sozialen Medien zu gewinnen, um auf die Risiken des Übertourismus aufmerksam zu machen und Menschen zu ermutigen, Orte abseits der touristischen Hotspots aufzusuchen oder Reisen außerhalb der Sommermonate zu unternehmen.

Vielleicht sollte auch jeder Besucher ein Manifest in die Hand gedrückt bekommen, das ihn an folgendes erinnert: Wer reist, trägt Verantwortung für sich, die Umwelt und die Menschen der Region, die er besucht. Wer diese Freiheit nutzt, sollte sie verantwortungsvoll in Anspruch nehmen.

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Inga Horny

Präsidentin Dachverband Stadtmarketing Austria | Geschäftsführerin Klagenfurt Marketing GmbH

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