Die Stadt im Wandel der Zeit – Patricia Alberth im Interview

31.10.2023
Gesellschaft, Trends

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Patricia Alberth, Geschäftsführerin der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württembergs, im Gespräch mit Edgar Eller, Vizepräsident von STAMA Austria, über die Stadt im Wandel der Zeit.

Das Interview zum Nachhören:

Das Interview zum Nachlesen:

Edgar Eller: Hallo und herzlich Willkommen beim Podcast von STAMA Austria, dem Dachverband der österreichischen Stadtmarketingorganisation. Mein heutiger Gast ist Patricia Alberth. Frau Alberth ist Geschäftsführerin der Staatlichen Schlösser und Gärten Baden-Württembergs.

Zuvor leitete sie das Zentrum Welterbe Bamberg. Sie ist eine ausgewiesene Expertin alter Bausubstanz.

Mit ihr habe ich mich über Funktionen von Städten unterhalten und darüber, warum es vermutlich kontraproduktiv ist, eine mittelalterliche Stadt autofreundlich zu gestalten.

Guten Morgen, Frau Alberth, schön, dass Sie da sind.

Patricia Alberth: Guten Morgen Herr Eller. Ich freue mich, hier zu sein.

Patricia Alberth bei der STAMA DenkwerkStadt (c) Heinz Mitteregger

Edgar Eller: Frau Alberth, ich möchte mich mit Ihnen über Funktionen von Städten unterhalten. Vor allem über die Frage, wie sich diese Funktionen im Laufe der Zeit geändert haben und was das für die Stadtplanung oder für die Nutzung von Städten heute bedeutet.

Sie sprechen von Funktionsveränderungen oder Funktionsverschiebungen. Wenn ich das richtige verstehe, bedeutet es, dass Städten, als sie gegründet wurden, gewisse Funktionen auferlegt wurden bzw. gewisse Funktionen notwendig waren, die sich dann aber im Laufe der Jahrhunderte veränderten.

Können Sie mir da ein paar Beispiele nennen, welche Funktionen das waren und welche sich davon geändert haben?

Patrica Alberth: Die ersten urbanen Ansiedlungen können wir in Mesopotamien nachweisen, im Zweistromland zwischen Euphrat und Tigris. Da gab es bereits mehrere tausend Jahre vor Christus Siedlungen, die durch Mauern befestigt waren. Die Mauern bezeugten, dass Städte früher dem Schutz dienten. Dort wohnten Menschen beieinander.

Meist in fruchtbaren Gegenden, an Flussläufen, und schützten sich gegen Tiere, gegen Angreifer vor Mauern, gegen Tiere und Angreifer mit Mauern. Auch in der mittelalterlichen Stadt spielt die Stadtmauer eine wichtige Rolle. Mit Toren, mit Türmen. Man kontrolliert, wer kommt rein, wer kommt raus.

Die Stadt ist dann natürlich auch ein wirtschaftliches Zentrum. Die Ausrichtung erfolgte auf die Machtzentren. Religiöse – also die Kirche, wirtschaftliche Macht – der Marktplatz, wo Handel getrieben wurde und auch das Rathaus.

Diese Struktur können wir heute noch in sehr vielen Städten ablesen. Wenn wir dann weiter in der Geschichte gehen, Renaissance, Barock, haben wir die Residenzstadt. Da wird das Ganze dann sehr viel repräsentativer.

Man achtet auch auf die Ästhetik der Stadt, es soll was hermachen!

Die Plätze und Straßen sind auf die Residenz des Machthabers ausgerichtet mit Alleen, wo man auch mit der Kutsche vorfahren konnte. Als nächsten Schritt, das ist ein großer Schritt, haben wir die Industrialisierung, wo neue Technologien, die Eisenbahn, die Fabriken, eine ganz wichtige Rolle spielen.

Während wir im Mittelalter noch Wohnen und Arbeiten beieinander hatten im selben Haus, -oftmals hatte ich unten auch Tiere im Erdgeschoss, vielleicht ein Handwerk und darüber die Wohnstätte-, sind im Vergleich im Industriezeitalter Wohnen und Arbeiten zwar noch nahe beieinander, aber in unterschiedlichen Gebäuden.

Es gab diese Massenunterkünfte für die Menschen unter fragwürdigen hygienischen Umständen, die dann in der Nähe der Fabrik angesiedelt wurden, um kurze Arbeitswege zu garantieren und vor allem viele Leute, viele Arbeitskräfte, unterzubringen.

Guangzhou(c)Vincent Chan auf Unsplash

Edgar Eller: Sie haben die Kutsche angesprochen und die Eisenbahn, das heißt, es geht auch um Mobilität.

Patricia Alberth: Mobilität ist seit jeher wichtig. Interessant ist, dass vor der Industrialisierung die Städte Fußgängerstädte waren. Das hatte natürlich auch eine Auswirkung auf die Größe, weil alles fußläufig erreichbar sein musste.

Städte vor der Industrialisierung waren tendenziell sehr viel kleiner als Städte danach, weil die Strecken zu Fuß zurückgelegt werden mussten und sich das alles dann so „klumpenförmig“ um ein Zentrum geballt hat. Während mit der Einführung der Eisenbahn oder auch Straßenbahn, von Pferden anfangs gezogen, konnte sich die Stadt ausdehnen.

Edgar Eller: Das heißt, die Städte waren kompakter. Das bedeutet aber auch, dass man sich wenige Gedanken machen musste, um etwa die Breite der Straßen oder der Wege. FußgängerInnen passen ja fast überall durch, ein LKW tut sich da schon schwerer.

Patricia Alberth: Ja, das ist heute und damit müssen sich viele Städte beschäftigen. Früher waren die meisten Verkehrsverbindungen natürlich auf FußgängerInnen ausgelegt. Das heißt, es waren kleine Gassen. Da komme ich heute nicht mit dem LKW durch. Die großen Verbindungen in der Stadt waren dann ein bisschen breiter, dann mussten auch Fuhrwerke drauf passen.

Aber wenn ich heute eine mittelalterliche Stadt habe, kann ich da nicht beliebig viele Spuren an Straßen hinlegen für Autos, für Busse, für Fahrräder, für E-Scooter, für FußgängerInnen. Da ist einfach der Platz begrenzt und ich kann ja auch nicht beliebig die historischen Häuser wegreißen, um Platz zu schaffen für die VerkehrsteilnehmerInnen.

Das war ein starker Trend nach dem 2. Weltkrieg, in den 60er, 70er Jahren. Da wurden wirklich brachial Schneisen durch die historischen Städte geschlagen oder hätten geschlagen werden sollen. Ist Gott sei Dank nicht überall umgesetzt worden, was aber langfristig einfach die Lebensqualität nicht gefördert hat.

Edgar Eller: Da möchte ich nachher nochmal drauf zurückkommen. Jetzt schon mal als Beobachtung, das bedeutet ja dann auch, dass sich die Städte, diese berühmte autofreundliche Stadt, dann eigentlich eher zu Transitstrecken anstatt zu Begegnungszonen verwandeln?

Patricia Alberth: Genau. Das ist ein riesen Unterschied, das ist ein Interessenkonflikt. Für diejenigen, die die Stadt nur durchqueren wollen, ist das wunderbar, wenn da eine Trasse liegt. Aber die, die dort wohnen, die dort arbeiten, einkaufen, für die ist das kein schönes Lebensgefühl.

Edgar Eller: Also wir haben auf alle Fälle, ich nenne es jetzt mal, mechanische Funktionen, sprich, sowas wie Mobilitätsbreite, die die Stadt bestimmt. Sie hatten vorhin auch den Schutz der Stadt angesprochen, also die Stadtmauer. Auch die wurde dann irgendwann obsolet, weil sich nicht nur die Stadt als Stadt verteidigen musste, sondern zum Beispiel der Staat als Staat.

Das heißt, bilden sich auch politische Realitäten in den Städten ab?

Patricia Alberth: Auf jeden Fall. Die Stadtmauer ist hinfällig geworden dadurch, dass die Verteidigungsgrenze dann die äußere Landesgrenze wurde. Gerade auch in der Industrialisierung gab es Machtkämpfe. Es gab Aufstände gegen die Lebensbedingungen dort. Da waren die Städte tatsächlich soziale und politische Brennpunkte.

Edgar Eller: Das heißt, wir haben diese gesellschaftliche Ebene. Sie haben im Vorgespräch ein Beispiel genannt, das ich sehr eindrücklich finde. Sie haben diese drei Machtpole Kirche, Wirtschaft und Staat angesprochen. Diese Ideologie oder dieses Gesellschaftsbild kann ja, „überwunden“ ist jetzt zu wertend, kann ja geändert werden. Ich denke an die Auswanderer nach Amerika, die ja genau damit brechen wollten. Das hat sich dann in den Städten widergespiegelt.

Patricia Alberth: Genau. In den USA wurde genau das Gegenteil aufgebaut. Städte ohne Machtzentrum. Da war keine Kirche im Mittelpunkt, kein Marktplatz, kein Rathaus. Das war alles dezentralisiert und entsprechend war und ist man dort natürlich extrem vom Auto abhängig.

Edgar Eller: Das sind alles Dinge, die wir heute noch an diesen Städten ablesen können. Sofern die Stadt nicht komplett zerstört wurde im Krieg oder der Autofreundlichkeit geopfert wurde, solange die Bausubstanz noch halbwegs intakt ist, können wir diese Stadt noch lesen. Wir können verstehen, wofür sie ursprünglich gedacht war.

Was bedeutet das für uns in der Nutzung der Stadt heute?

Patricia Alberth: Erstens ist es einfach unglaublich spannend zu sehen, dass die Stadt ihre eigene Geschichte in sich materiell ablagert. In vielen Bereichen haben wir auch einen Denkmalschutz, das heißt, diese Teile dürfen wir nicht anfassen. Aber es ist wichtig, dass wir sie lesen können, dass wir wirklich verstehen, warum ist denn da jetzt nur ein kleines Fenster oder eine geschlossene Wand.

Vielleicht weil eben früher Sockelzonen nicht Handel waren, sondern das Leben eine Etage darüber gespielt hat und der Handel auf dem Marktplatz war oder auch Handwerksbetriebe nicht große Schaufenster hatten.

Dass man wirklich ein Verständnis dafür bekommt, aus welcher Geschichte kommen die unterschiedlichen Elemente der Stadt und das hilft uns dann auch zu schauen, welche Nutzung können wir denn da heute reinbringen, die auch den aktuellen Anforderungen entsprechen.

Edgar Eller: Sie haben die Sockelzonen angesprochen und die interessante Beobachtung, dass dort nicht immer Handel drin war. Auch hier hat sich die Funktion verschoben. Was waren denn dann früher dort für Nutzungen vorgesehen? Wenn wir heute an Stadt denken, dann denken wir eigentlich in erster Linie an den Handel in der Fußgängerzone, sprich in der Sockelzone, also im Erdgeschoss.

Aber wenn ich die Fußgängerzone in einer Stadt habe, die aus dem Mittelalter kommt, dann bedeutet das, dass es eben nicht immer so war, dass im Erdgeschoß Einzelhandel betrieben wurde. Da waren andere Dinge.

Meine Frage, was war dann früher und seit wann ist es so stark fokussiert auf diese Handelsidee?

Patricia Alberth: Naja, ganz logisch, was haben wir heute noch ganz stark in der Sockelzone? Autos! Das heißt, da waren früher auch oftmals Stallungen untergebracht, Kutschen, Fuhrwerke. Das nicht mit großen Fenstern, sondern hinter geschlossenen Mauern.

Was ich ganz interessant finde, Spieleentwickler, die Stadtbauspiele-Gaming machen, haben sich bewusst dafür entschieden, keine Autos mit rein zu planen, weil sie gesagt haben, ansonsten machen wir nur Autos und keiner will Autoparkplätze gestalten. Sondern die Leute wollen Gebäude, die wollen Häuser gestalten.

Der Handel kam dann erst oder war natürlich immer schon, auch im Mittelalter, ein wichtiger Bestandteil. Aber heute, wo wir merken, dass der Internethandel viel Kaufkraft abzieht, müssen wir auch gucken, was können wir denn heute mit diesen Sockelzonen machen, was der Stadtgesellschaft nützt und was auch zum Gebäudebestand, der da ist, passt.

Das Bürgerlabor der Stadt Bamberg (c)Stadt Bamberg

Verschiedene Nutzungen von Erdgeschoßflächen: als Bürgerlabor, als Covid Textzentrum, Coffe to go oder zum Wohnen.

(c)Robert Linder auf Unsplash

Edgar Eller: Das heißt, wir können einerseits lernen aus dem, was wir ablesen können aus der Stadt und können dann andererseits auch verstehen, wofür dieses Gebäude ursprünglich gedacht war. Also wie könnte ich es heute nutzen? Wenn Sie einen Blick in die Zukunft werfen, hätten Sie das Gefühl oder sind Sie davon überzeugt, dass historische Bausubstanz auch in der Zukunft noch Nutzen stiften kann?

Die Stadt der Zukunft wird eine komplett andere sein wie die des Mittelalters. Sind diese Strukturen irgendwann obsolet oder können wir tatsächlich auch die historische Bausubstanz in die Zukunft führen?

Patricia Alberth: Naja, da gucken wir doch mal, welche Herausforderungen wir momentan haben. Wir haben Globalisierung, wir haben Klimawandel, wir haben Digitalisierung. Gerade die Globalisierung führt dazu, dass wir uns in unseren Identitäten teilweise unsicherer werden. Wenn wir uns da auf unsere historische Bausubstanz beziehen, dann stabilisiert uns das.

Das gibt uns Orientierung, das gibt uns Halt. Insofern macht das ganz viel Sinn, dass wir die alten Strukturen behalten. Das Gleiche gilt für den Klimawandel, alle streben hin zu einem neutralen CO2-Fußabdruck.

Es gibt nichts Nachhaltigeres, als alte Strukturen weiter zu nutzen, anstatt neue zu errichten.

Die Bauindustrie hat einen Wahnsinns CO2-Fußabdruck, insofern ja, können wir einen großen Beitrag zur Klimaneutralität leisten, wenn wir das, was da ist, in Nutzung halten. Dann, der dritte Punkt, die Digitalisierung, hier können wir auch mit Indikatoren, mit unterschiedlichen Anwendungen, schauen, was haben wir an Bedürfnissen in der Stadt, wo müssen wir handeln.

Dann aber auch, wo haben wir Räume dafür, die momentan ungenutzt sind. Da kann man ganz tolles Matching machen, was die Stadt, die Innenstadt, wiederbeleben kann.

Edgar Eller: Wenn Sie die Baugeschichte ansprechen und den CO2-Fußabdruck bzw. die Herausforderungen des Klimawandels, die modernen Gebäude halten selten 1.000 Jahre.

Was sind die Parameter der alten Städte oder der alten Bauweisen, dass sie wirklich so lange erhaltenswert waren und dass auch der Erhalt möglich war? Ist es nur die Materialisierung oder ist es auch eine gewisse Form von Ästhetik und Wertschätzung?

Patricia Alberth: Ein Faktor ist, glaube ich, dass wir damals noch keine Aktiengesellschaften hatten. Es ging nicht um irgendeine Rendite, sondern man hat für sich und für die kommenden Generationen gebaut mit den Materialien, die da waren. Das waren keine Verbundstoffe. Das war Stein, das war Lehm, das war Holz und das war immer reparabel!

Das ist heute das große Problem bei diesen Verbundstoffen, dass ich nicht mal eben was austauschen, was reparieren kann. Das heißt, wenn ich eine kaputte Stelle habe, muss ich plötzlich ganz viel austauschen und kann das dann auch nur mit dem Stoff von einem bestimmten Hersteller, was es unglaublich schwierig macht.

Wenn heute geschaut wird, bis wann muss ich Garantie geben, wann läuft die aus und teilweise mit Sollbruchstellen gearbeitet wird, ist das eine Denkweise, die früher überhaupt nicht vorhanden war.

Natürlich betrifft es auch das Raumklima! Wenn ich mit natürlichen Materialien arbeite, habe ich ein ganz anderes Raumklima. Das merken die Leute, wenn sie die Gelegenheit dazu haben, sich mal in historischen Räumen aufzuhalten.

Edgar Eller: Das heißt, die Stadt der Vergangenheit kann in mehrerlei Hinsicht Antworten auf die Zukunft geben?

Patricia Alberth: Da bin ich fest davon überzeugt.

Edgar Eller: Ja, das ist ein wunderbares Schlusswort. Vielen Dank, Frau Alberth.

Patricia Alberth: Sehr gerne.

Titelbild: Patricia Alberth im Gespräch mit Edgar Eller bei der Stadtmarketing Austria DenkwerkStadt (c)Heinz Mitteregger

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Edgar Eller

Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.

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