Silver Society – Älterwerden neu definiert

21.11.2017
Gesellschaft

Vollpension

Nahezu alle Wirtschaftsinstitute Europas warnen vor den Folgen des demografischen Wandels für die ökonomische Entwicklung. Weil es mehr PensionistInnen und weniger Erwerbstätige geben werde, habe dies dramatische Auswirkungen auf das Wirtschaftswachstum, das Einkommen und den Wohlstand der Bevölkerung.

Deshalb fordern die Wirtschaftsexperten das Pensionseintrittsalter schrittweise anzuheben. Zeitgleich müssten die Unternehmen reagieren und räumlich und zeitlich flexible Beschäftigungsmöglichkeiten anbieten.

Wir werden nämlich nicht nur älter, sondern altern auch anders. Älterwerden heißt heute, aus traditionellen Altersrollen auszubrechen. Leute mit 65, die zehn Jahre jünger aussehen, lassen sich ungern als „SeniorInnen“ bezeichnen. Sie wollen auch weiterhin in ihrer Nachbarschaft, ihrem Freundeskreis und der Gesellschaft sozial inkludiert sein.

Anstatt sich in die wohlverdiente Pension zu begeben, nehmen ältere Menschen zunehmend in Form von Ehrenämtern oder etwa einem Universitätsstudium weiterhin am Gesellschaftsleben teil; oder sie wollen in der Pension etwas dazuverdienen. Geld, das in den Wirtschaftskreislauf zurückgespült wird.

Silver Society: Alter als Chance

Der Megatrend Silver Society kommt auch hierzulande langsam an. Er hat großes Potenzial, denn er verändert die Systeme und Infrastrukturen nachhaltig. Alter wird nicht als Stigma, sondern als Chance verstanden. Da ist plötzlich Zeit, ein Buch zu schreiben, eine Fremdsprache zu erlernen oder sich den Traum einer Weltreise zu erfüllen.
Immer mehr PensionistInnen suchen sinnstiftende Tätigkeiten und üben diese meist in Form eines Ehrenamtes aus – also unentgeltlich. Erfreulicherweise steigt die Anzahl von ‚Jungunternehmen’, die von älteren Personen gegründet oder mit solchen aufgebaut werden und einer sozialen Mission folgen. Sehen wir uns einige Beispiele an:

Die Museumsausstellung Dialog mit der Zeit in Hamburg beleuchtet die positiven Seiten des Älterwerdens und macht die Lebensphase ab der Pension aktiv erlebbar. Durch die Ausstellung begleiten Guides, die mindestens 70 Jahre alt sind. Diese können durch ihre Tätigkeit ein bisschen zu ihrer Rente dazuverdienen und andere gleichaltrige Menschen in ihrer Stadt kennenlernen.

Die Ausstellung ermöglicht, dass die Erfahrung von älteren Menschen als Vermögen spürbar wird, ein Bewusstsein für die Zukunft des Alterns entsteht und so die Wichtigkeit des Dialogs zwischen den Generationen unterstrichen wird.

In der Vollpension in Wien backen alte Menschen, die liebevoll Oma genannt werden, Kuchen nach alten, bewährten Rezepten, die dann im Kaffeehaus ‚Vollpension’ verkauft werden. Durch dieses Geschäftsmodell können die Omas einer Tätigkeit nachgehen, die Freude bereitet und ihre Pension aufbessern.

Vitale Gemeinde

‚Vitale Gemeinde’ nennt sich das Modell, das mit Hilfe eines BürgerInnen-Partizipationsprozesses das Potential und Talent von Dorf- und StadtbewohnerInnen sichtbar macht. In den ersten Prozessphasen werden die Wünsche, Bedürfnisse und Fragen rund um die Vitalität der TeilnehmerInnen abgefragt.
Nach Analyse werden ArbeitsgruppenleiterInnen zu interkommunalen ProjektleiterInnen ausgebildet, die Menschen aus der Gemeinschaft zur Teilnahme an sozialen Projekten, wie Nachbarschaftshilfe, Bügel-  oder Wegbegleiter-Dienste motivieren. http://www.ez-akademie.at/

Rosa Maria Eglseer hat während mehrjähriger Erfahrung im Pflegedienst die Sorgen und Ängste von alten Menschen und ihren Familien erlebt. Das Heim hat sich für diese Menschen fast nie als neues ‚Zuhause‘ angefühlt. Eglseer berichtet: „Die größere Zahl der alten Menschen möchte daheim leben.
Aussagen der Angehörigen, wie: ‚Ich muss meine Mutter/Vater ins Heim geben’, habe ich fast täglich gehört.“ Eglseer erkannte die eingeschränkte Veränderungsmöglichkeit in ihrem Umfeld und entschloss sich Anfang 50 für ein Doktoratsstudium für öffentliches Gesundheitswesen.

Nach Abschluß des Studiums machte sie sich selbständig. Eglseer beschreibt ihre Mission so: „Meine Arbeit zeigt der Altersgruppe 50+, die vor oder in der Pensionierung steht, Chancen auf ein völlig anderes Altwerden auf. Wir haben das Interesse für ‚vitales Altern’ in über 150 Gemeinden in Österreich erforscht und in ein Modell gegossen.

Die für mich wichtigste Erkenntnis war, dass BürgerInnen, die erfahren, dass ihren Wünschen und Bedürfnissen Gehör verschafft wird, aktiver werden und das Gefühl von Einsamkeit sinkt.“

Non-Digitals

Produktentwicklungen für ‚Non-Digitals‘, also SeniorInnen, die durch die Nichtverwendung digitaler Kommunikation in die soziale Isolation rutschen, sind am Vormarsch. Das norwegische Unternehmen World of KAMA hat eine Großmutter-freundliche App entwickelt. Diese nimmt mit intuitivem, sehr reduziertem Design und auf spielerische Weise die Hemmung vor der Verwendung von digitalen Produkten, wie Tablets und Applikationen.

Lernalgorithmen werden zum digitalen Assistenten der 80+ Generation. Der Eintritt in die digitale Kommunikation verhilft nicht nur zum regelmäßigeren Kontakt mit der Familie. Das Einbinden von älteren Familienmitgliedern in den Alltag der Familie zieht sie vom sozialen Abstellgleis zurück ins Geschehen. Die Lebensfreude steigt und der Geist wird aktiv gehalten. Weil immer mehr Studien belegen, dass Gehirnjogging das Erkrankungsrisiko von Alzheimer und Demenz deutlich senkt, folgen immer mehr Start-Ups diesem Beispiel.

Demografische Revolution

Während der/die durchschnittliche FirmengründerIn im deutschsprachigen Raum Mitte Dreißig ist, verzeichnet man europaweit in den vergangenen Jahren einen Anstieg weitaus älterer GründerInnen. Die Zukunft bringt also mit der Unterstützung der Politik, der Verwaltung und engagierten BürgerInnen eine Nation im Un-Ruhestand hervor.

Aber, es muss noch viel getan werden. Noch stehen Politik und Wirtschaft ratlos vor der kommenden demografischen ‚Revolution’. Vor allem die Wirtschaft, für die jahrzehntelang der fesche und viffe Youngster Sexsymbol und Leitmotiv war, hält trotzig an der Kernzielgruppe 14-49 fest. Auch wenn diese Altersgruppe bald in der Minderheit ist. Es bedarf einer neuen Erzählung, die den Älteren mehr zubilligt als Seniorenreisen und das treue Abnehmen von Haftcreme für die dritten Zähne.

Stärken des Alters

Die Stärken des Alters sind Erfahrung, Gelassenheit und Wertebewusstsein. Diese innerhalb der Familie weiterzugeben, ist ein Gewinn für alle Angehörigen. Aber auch ökonomisch gesehen wächst der Wert dieser Attribute, insbesondere bei Betrachtung aufstrebender Geschäftsfelder rund um die Sinnhaftigkeit von Produkten und Dienstleistungen. Die Gesellschaft formt die Märkte, und das ‚Ja zum Altern!‘ wird immer lauter. Die Filmindustrie zeichnet das neue, attraktive Bild der Silver Society schon seit geraumer Zeit mit.

Cool zu sein ist keine Frage des Alters. Der New Yorker Ari Cohen ist der Begründer des Street-Style-Blogs Advanced Style. Das Konzept des Blogs unterschiedet sich dadurch von anderen Mode-Blogs, weil er ausschließlich ältere Menschen zeigt. Cohen erklärt: „Aus stilistischer Sicht finde ich ältere Menschen interessanter. Sie sind in einem Alter, in dem sie niemanden beeindrucken müssen und tragen können, was sie wollen“.

Eine zweite Karriere erlebte auch Eveline Hall. Seit der Designer Michael Michalsky die damals 65-jährige erstmals auf den Laufsteg schickte, zählt die Hamburgerin zu den ältesten und international gefragtesten Models. Derzeit ist Eveline Hall auf ATV als Jurorin bei Austrias Next Topmodel zu sehen.

Noch ist in unserer Gesellschaft, in der “Alte” oder “Alter” als Schimpfwort gilt, das Verhältnis zum Altern gestört. Noch hat das Potential, die Chancen für die Gestaltung neuer Lebenswelten für unsere ältere Gesellschaft zu fördern, Luft nach oben. Unterstützen Sie Projekte, wie das Projekt der ‚Vitalen Gemeinde’.

Begeistern Sie Ihre älteren Familienmitglieder für digitale Kommunikation. Und rufen Sie zu Ideenwettbewerben für die Mitglieder der Silver Society in Ihren Städten auf. Wäre ja gelacht, wenn wir ÖsterreicherInnen, als Botschafter einer der führenden Nationen Europas in der Freiwilligentätigkeit diese Neupositionierung des Älterwerdens nicht so gut hinkriegen, dass wir zum Vorbild für andere Nationen werden.

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Daniela Krautsack

Daniela Krautsack ist eine österreichische Trendforscherin, Mediastrategin, Autorin und Innovationsdesignerin, die sich durch ihre vielfältige Tätigkeit in der Entwicklung von Marken, der Schärfung von Unternehmensstrategien und der Erforschung von Gesellschafts-, Technologie und Kulturtrends auszeichnet. Sie ist lebenslange Weltreisende und lässt sich von Zukunftsdenkern und den verschiedenen Kulturen inspirieren. Daniela Krautsack ist Gründerin einer Agentur für interdisziplinäre Kommunikation namens ‚Cows in Jackets‘ und der Unternehmensberatung ‚Cities Next‘, die sich auf die Erforschung und Gestaltung von Zukunfts- und Innovationsdesigns im urbanen Raum und kommunikativer Prozesse konzentriert.

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