Kreislaufwirtschaft: Aus Alt mach Neu als neue Planungsideologie

27.07.2021
Wirtschaft

Kreislaufwirtschaft ist ein entscheidender Bauteil des Klimaschutzes: Anstatt immer mehr zu produzieren und das Erschaffene nach einiger Zeit zu entsorgen, setzt die Kreislaufwirtschaft auf detaillierte Wiederverwertbarkeit und Nachhaltigkeit.

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Kreislaufwirtschaft ist ein entscheidender Bauteil des Klimaschutzes. Anstatt immer mehr zu produzieren und das Erschaffene nach einiger Zeit zu entsorgen, setzt die Kreislaufwirtschaft auf detaillierte Wiederverwertbarkeit und Nachhaltigkeit.

Verheerende Unwetter in allen Teilen der Welt sind nur ein kleiner Teil der Botschaft, mit denen Planet Erde die Menschheit warnt. Lange genug haben wir in vielen Bereichen über das Maß hinaus gelebt und ein Zuviel produziert. Zu viel Müll, zu viel CO2, zu viel Asphalt, zu viel Gift, das auf unterschiedliche Wege in die Umwelt fließt.

Die äußeren Umstände rütteln uns wach, dass das „Schneller, höher, weiter“-Zeitalter schon die längste Zeit vorbei ist. Und dass es nun an den Menschen selbst liegt, spät aber doch die Verantwortung für ihren Planeten zu übernehmen. Klimaschutz ist kein Blümchenthema mehr und hat seinen festen Platz in der Mainstream-Politik gefunden.

Wie erreichen wir die Klimaziele?

Das Übereinkommen von Paris gibt einen globalen Rahmen zur Bekämpfung des Klimawandels vor. Die Erderwärmung soll deutlich unter 2°C gehalten werden. der Temperaturanstieg soll durch weitere Maßnahmen auf 1,5°C begrenzt werden. Außerdem sollen die Länder bei der Anpassung an die Folgen des Klimawandels unterstützt werden.

Bis 2040 soll Österreich klimaneutral sein. Dafür braucht es neben der Energiewende – also dem vollständigen Ausstieg aus Öl und Gas – weitere revolutionäre Maßnahmen, die in sich ineinander greifen und aufeinander abgestimmt sein müssen, um im wahrsten Sinne des Wortes „nachhaltige“ Erfolge zu erzielen.

Das Ende der Wegwerf-Gesellschaft muss kommen: Reparieren bzw. Teilen und Weitergeben statt immer neu kaufen. (c) BauKarussell

Eine unverzichtbare Maßnahme dabei ist die Kreislaufwirtschaft. Sie ist ein Modell sowohl für die Produktion als auch den Verbrauch, bei dem bestehende Materialien und Produkte so lange wie möglich geteilt, geleast, wiederverwendet, repariert, aufgearbeitet und recycelt werden.

Kreislaufwirtschaft ist allerdings viel mehr als Recycling. Sie ist ein regeneratives System, in dem Ressourceneinsatz und Abfallproduktion, Emissionen und Energieverschwendung durch das Verlangsamen, Verringern und Schließen von Energie- und Materialkreisläufen minimiert werden.

Dies kann durch langlebige Konstruktion, Instandhaltung, Reparatur, Wiederverwendung, Remanufacturing, Refurbishing und Recycling erzielt werden. Recycling ist dabei das Mittel letzter Wahl.

Ressourcen werden weltweit knapp

Grundlage der Kreislaufwirtschaft ist die Erkenntnis, dass nur Produktionsverfahren mit einem stofflichen Kreisschluss unbeschränkt fortgeführt werden können, da Ressourcen der Welt endlich sind. In einigen Jahrzehnten oder Jahrhunderten werden die nichterneuerbaren Rohstoffe, die wir heute noch als selbstverständlich erachten, verbraucht sein.

Kreislaufwirtschaft nimmt daher den Stoffkreislauf der Natur zum Vorbild. Sie versucht also, kaskadische Nutzungen ohne Abfälle nach dem Zero Waste-Prinzip und ohne Emissionen zu erreichen.

In der Praxis erfordert Kreislaufwirtschaft ein radikales Umdenken – und das in unterschiedlichen Bereichen. „Es gibt keinen Bereich, den Kreislaufwirtschaft nicht betrifft“, sagt Matthias Neitsch. Er ist Geschäftsführer des Re-Use- und Reparaturnetzwerkes Österreich RepaNet und des BauKarussells sowie Präsident des Internationalen Netzwerkes RReuse. „Im Wesentlichen aber sind es Wirtschaftsbranchen, die hohe Materialumsätze haben.“

Bausektor verursacht am meisten Emissionen

BauKarussell-Chef Matthias Neitsch

Der Bau- und Gebäudesektor liegt laut einem Ende 2020 vorgelegten UN-Bericht beim Treibhausgasausstoß weltweit auf Rekordniveau. Er droht damit, die im Pariser Klimaschutzabkommen festgelegte Grenze zu überschreiten.

Rechnet man die Emissionen der Bauindustrie zu den betrieblichen Emissionen hinzu, sind 38 Prozent der gesamten globalen energiebezogenen CO2-Emissionen aktuell auf den Bausektor zu verbuchen.

Um die Kreislaufwirtschaft am Bau mit konkreten Konzepten und Umsetzungsschritten zu forcieren, wurde in Österreich das Netzwerk Baukarussell gegründet. BauKarussell ist der erste Anbieter am österreichischen Markt für Social Urban Mining. Es tritt im Rahmen des verwertungsorientierten Rückbaus – unter Einbeziehung sozialwirtschaftlicher Partner wie dem AMS – als Unternehmen in Planung und Umsetzung von verwertungsorientierten Rückbauten durch Social Urban Mining auf.

Social Urban Mining mit dem BauKarussell

Das BauKarussell-Team setzt sich aus Partnern von pulswerk GmbH, Romm ZT und RepaNet – Re-Use- und Reparaturnetzwerk Österreich und zusammen. „Wir wenden uns an Gebäudeeigentümer und an Einrichtungen, die mit der Planung und Abwicklung derartiger Bauvorhaben befasst sind“, sagt Geschäftsführer Matthias Neitsch.

Seit 2016 setzt BauKarussell Social Urban Mining – den verwertungsorientierten Rückbau mit sozialem Mehrwert – in die Praxis um. In den ersten fünf Jahren hat BauKarussell in Summe mit seinen lokalen sozialwirtschaftlichen Partnerbetrieben seit den ersten Rückbauprojekten über 21.000 Stunden sozialwirtschaftliche Arbeit geleistet. Und über 100 Zielgruppenpersonen des AMS beschäftigt.

Die Aufgabe ist, aus Abrissobjekten von nachhaltigen Fassadenelementen über die Kupferkabel bis zu den Türklinken, dem Bodenbelag und dem Luster alles im Gebäude zu sichern, was rückbaubar und wiederverwertbar ist. „Diese aufwendige Arbeit erfordert, beizeiten ein Konzept zu erstellen, wie der Rückbau vonstatten gehen kann“, sagt Neitsch.

Das Konzept findet Anklang. So zählen Branchenriesen wie BIG, ARE, Sozialbau AG, Energie Oberösterreich und ÖBB bereits zum Stammklientel des BauKarussells.

Baumaterialien durch Rückbau neu verwertet

Wie sieht die Kreislaufwirtschaft bei BauKarussell in der Praxis aus? Hier zwei Beispiele der letzten Zeit. Im dritten Wiener Gemeindebezirk gelangten bei dem Projekt „Village im Dritten“ vor der Errichtung eines 11 ha großen Wohnquartiers zwischen September und Dezember rund 50.000 kg Material aus den Gebäuden in die Neuverwertung des Projektes.

In Wien-Leopoldstadt errichtet die Stadt Wien bis Ende 2023 das Ferry Dusika-Stadion als neue Sport-Arena mit mehreren multifunktionalen Hallen und Bereichen.

Zentrales Element ist eine große Ballsporthalle mit fixen und flexiblen Tribünen für bis zu 3.000 Besuchern. Das bestehende, 1977 eröffnete Ferry-Dusika-Stadion wird dem Neubau weichen und ab Herbst dieses Jahres abgerissen.

Dabei setzt die Stadt Wien mit dem Team von BauKarussell auf Social Urban Mining. Die Inneneinrichtung und große Teile der Ausstattung des Ferry-Dusika-Stadions sollen bewahrt werden und ihren Charme in neuen Umgebungen entfalten.

Um diese Aufgabe zu bewerkstelligen, schraubt das BauKarussell-Team Juni an den Rückbauten. Aktuell macht man sich an den Tribünenstühlen zu schaffen. 5.500 Stück will man vor dem Abriss aus dem Gebäude entfernen und über die Webplattform des BauKarussells vermitteln.

Wie lassen sich Materialströme reduzieren?

Die zentrale Frage der Kreislaufwirtschaft lautet also: Wie lassen sich Materialströme reduzieren? „Hier gibt es die Möglichkeit, Produkte durch andere zu ersetzen oder sie durch immaterielle Werte zu tauschen“, sagt Neitsch. Im Alltagsleben würde das bedeuten: „Anstatt Frust durch Konsum zu kompensieren, könnte man Kultur genießen. Oder man könnte Qualitätszeit mit anderen Menschen verbringen“, so Neitsch.

In der Industrie sei zurzeit das oberste Gebot, Material einzusparen. Die Frage, ob ich das Auto beispielsweise überhaupt benötige, stellt man sich dabei nicht sehr oft. Durch die Veränderung der Arbeitswelt vor allem seit Corona – Stichwort Homeoffice – aber auch durch die neuen Konzepte, wie wir Beziehungen leben, gelte es in vielen Bereichen, komplexere Debatten zu führen.

„Das Wohnmodell von heute stammt immer noch aus den 20-er und 30-er Jahren“, sagt Neitsch. Es basiert darauf, dass jede Familie ihre eigene Wohnung hat. Zugleich schwappt der Minimalismus als Trend immer mehr auf die moderne Gesellschaft nieder.

Und in Zeiten steigender Mietpreise kann man sich durchaus die Frage stellen, wie viel Wohnung man als einzelner überhaupt noch braucht. „Wenn ich meine Küche etwa nur dreimal pro Woche selbst benütze, weil ich die restliche Zeit in der Wohnung meiner Partnerin verbringe, dann könnte ich sie doch auch als Allgemeinfläche – ähnlich wie die Waschküche – mit anderen teilen“, so Neitsch.

Spannend ist auch die Überlegung, inwieweit „kollektive Homeoffices“ in Form von gemeinschaftlichen „Coworkingspaces“ künftig Wohngebäude bereichern werden. Experten sind sich einig, dass ein Hybridmodell aus Home-Office und Vor Ort-Arbeiten in den meisten Branchen – auch nach Corona – bleiben wird.

Baustoffe für die Kreislaufwirtschaft: Zurück zur Erde

Nachhaltiges Bauen schließt im Sinne der Kreislaufwirtschaft ökologische Baumaterialien ein. Vor allem Holz und auch Lehm zählen dabei zu den Favoriten.

Das Projekt „ErdenbürgerIn“ hat sich zum Ziel gesetzt, gemeinsam mit Jugendlichen ein Produkt zu entwickeln, das die Vorteile von Erde/Lehm als lokaler und ökologischer Baustoff sichtbar macht und im öffentlichen Raum kommuniziert. In diesem Rahmen will man „coole Plätze“ in der Region schaffen.

Zu Beginn soll ein Konzept als Roadmap erstellt werden, das Projekt-Portfolio, Ideenfindung, Konzeptentwicklung, Marketing, Haltung, Philosophie, räumlichen Ausdruck, Materialsammlung, Atmosphäre, Referenzen, Projektrichtung umfasst. In mehreren Workshops soll man sowohl mit Jugendlichen als auch mit Stakeholdern der Region das Projekt erarbeiten.

Kreislaufwirtschaft

„Lehm, ein Naturbaustoff, der sich aus Sand, Schluff und Ton zusammensetzt, kommt in verschiedenen Zusammensetzungen unter der oberen Humusschicht in allen Teilen der Welt vor. Mehr als ein Drittel der Weltbevölkerung lebt in Häusern, die ganz oder teilweise mit Lehm gebaut sind.

Bis zu 40 verschiedene Lehmbautechniken kommen dabei zur Anwendung“, sagt der Architekt DI Martin Mackowitz, der das Projekt leitet. „Im Projekt ErdenbürgerIn beschäftigen wir uns mit Architektur und Gesellschaft und mit nachhaltigen Materialien und eigenen Ressourcen.

Martin Mackowitz bei der Stadtmarketing Austria DenkwerkStadt in St. Gerold
(c) Magdalena Türtscher

Wir sind der Meinung, dass es für unsere Gesellschaft neue Räume und Raumtypologien braucht. Vor allem im öffentlichen Raum, um im Zusammentreffen die gegenseitige Toleranz zu stärken und um für das Thema bewusstes Bauen zu sensibilisieren. Wir brauchen auch Orte, die den klimatischen Bedingungen angepasst sind, wie zum Beispiel schattige und kühle Plätze. Von diesem Ausgangspunkt haben wir das Projekt ErdenbürgerIn initiiert.“

Stadtmöbel aus Lehm für öffentliche Plätze

Im Rahmen des Projektes werden verschiedene Orte im öffentlichen Raum – wie Bushaltestellen oder öffentliche Plätze mit Stadtmöbeln aus Lehm ausgestattet, die zum Verweilen einladen. In der Ausstellung „Boden für alle“ in Wien wurden die Prototypen der Designobjekte vorgestellt.

„Lehm ist eine Ressource, die vorhanden ist und die mit dem richtigen Know-how als wiederverwertbares Baumaterial eingesetzt werden kann“, so Mackowitz. „Das Spannende an diesem Baustoff ist, dass wenn ein Haus aus Lehm abgerissen wird, es aus dem gleichen Material wieder aufgebaut werden kann.“ Dabei wird der verwendete Lehm zerbröselt und mit Wasser wieder erdfeucht gemacht, womit die neue Schalung entstehen kann.

„Mit einem guten Dach und einem soliden Fundament kann ein Lehmgebäude auch mehrere hundert Jahre bestehen bleiben“, so Mackowitz. In ganz Europa gibt es derartige historische Lehmbauten zu bewundern.

Titelbild: Rückbau im Ferry Dusika-Stadion (c) BauKarussell

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