Edgar Eller im Interview mit dem hds: Mehr Erlebnis, weniger Bedarfseinkauf

10.01.2023
Gesellschaft, Wirtschaft

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Welche Rolle spielen Städte in Zukunft? STAMA-Austria Vizepräsident Edgar Eller wurde dazu von Mauro Stoffella, dem Leiter des Bereichs Kommunikation im Wirtschaftsverband hds/Südtirol, interviewt.

 

Mauro Stoffella: Herr Eller, die Pandemie hat auch Folgen auf unsere Orte: Welche?

Edgar Eller: Wir müssen die Folgen, die während der Pandemie unsere Orte getroffen haben, von jenen unterscheiden, die eine grundsätzlich veränderte Gesellschaft betreffen. Während der Pandemie, vor allem in den ersten Lockdowns, wurden Städte und Dörfer als Orte der Gefahr gebrandmarkt.

Jeder der mir entgegenkam, war eine potentielle Virenquelle, Treffen mehrerer Personen waren per Strafe verboten, die Plätze der Öffentlichkeit verwaist. Mittlerweile wurde der Pandemie weitestgehend der Schrecken genommen. Der Alltag ist wieder eingekehrt in unseren Städten und Orten.

Und doch hat die Pandemie unsere Art des Lebens dauerhaft beeinflusst und verändert. Die Grenze von Arbeitsort und Wohnort verschwimmt dank breit eingeführtem Homeoffice, der Onlinehandel hat massiv zugenommen.

 

Innenstädte und Ortzentren waren die „Hochburgen“ des Handels: Sind sie es noch? Und welche Rolle spielen heute noch ortsrelevante Tätigkeiten wie eben der stationäre Einzelhandel (neben Gastronomie oder Dienstleistungen) in der Entwicklung unserer Ortszentren, Städte und Dörfer?

Edgar Eller: Städte sind seit ihrer Erfindung Orte des Handels, das stimmt. Allerdings nicht immer in der Form, wie wir ihn in den letzten 150 Jahren erlebten. Stationärer Handel ist eine Erfindung der Neuzeit. Bis ins 19te Jahrhundert war die Sockelzone der Häuser geprägt von Manufakturen, Lagern und Fuhrparks. Handel wurde auf dem Markt getrieben.

Die monothematische Bespielung der Erdgeschosszone wird vermutlich einem Ende entgegen gehen. Was nicht heißt, dass Handel nicht weiterhin eine Rolle spielt für lebendige Städte. Aber in hybriden Formen. Mehr Erlebnis und Überraschung, weniger Bedarfseinkauf.

 

St. Johann in Tirol (c) Ortsmarketing St. Johann in Tirol

 

Was braucht es, um lebendige und attraktive Innenstädte und Ortszentren zu erhalten und vor allem weiterzuentwickeln?

Edgar Eller: Diversität! Seit Max Weber wissen wir: Es ist die Durchmischung, die einen Lebensraum ausmacht. Nicht die Größe. Auch nicht primär die Dichte. Natürlich braucht es eine gewisse Frequenz, damit eine Stadt als lebendig wahrgenommen wird. Aber wenn diese Dichte nur von wenigen Gruppen dominiert wird, entsteht keine lebendige Urbanität.

Der öffentliche Raum definiert sich über zwei Sphären. Den materiellen, also dem Gebauten, und dem immateriellen. Das ist das Atmosphärische, das zwischen den Häusern entsteht. Das sind die Menschen, die sich dort aufhalten und gewisse Dinge tun oder auch nicht tun.

 

After Work Markt in Klagenfurt (c)Ed Wohlfahrt

Welche Rolle spielt dabei das digitale Zeitalter…?

Edgar Eller: Eine mehr und mehr prägende. Einerseits gilt zwar weiterhin die Weisheit „Die Realität ist das, was übrigbleibt, wenn der Strom ausfällt“. Sprich: Der Mensch als leibliches Wesen braucht das Gegenüber, um sich seiner selbst gewiss zu werden. Der tatsächliche Austausch wird also nie ganz verschwinden. Und Städte und Dörfer sind hier ein wunderbarer Nährboden.

Nicht nur sind sie der Ort der Öffentlichkeit, wo Menschen sich begegnen. Sie sind auch die Orte, an denen Serendipität, also so etwas wie glückliche Zufälle, passiert. Ein Treffen, das mich überrascht, eine Situation, die meinen Tag erfreut.

Andererseits löst die Digitalisierung die Notwendigkeit des Örtlichen mehr und mehr auf. Früher musste ich ins Büro gehen, weil dort physisch all das vorhanden war, das ich zum Arbeiten benötige.

Heute habe ich 100 Prozent meiner Unterlagen und Werkzeuge immer und überall dabei. Zumindest, wenn ich einen Bürojob habe. Und diese Büros bevölkern ja noch immer unsere Orte ab dem 1. Stock aufwärts.

 

…und der Onlinehandel?

Edgar Eller: Hier ist es ähnlich. Früher musste ich zum Einkaufen gehen. Und dies passierte in der Regel im Orts- oder Stadtzentrum. Heute kann ich das online von der Couch aus erledigen.

Eine Entwicklung, die neue Antworten braucht, die ich aber nicht nur negativ sehe. Ehrlich gesagt, habe ich es noch nie als das Ende der menschlichen Entwicklung betrachtet, Lebenszeit mit dem Einkauf von Waschmittel oder Zahnpasta verbringen zu müssen. Wir müssen nur lernen, mit den neuen Freiheiten sinnvoll umzugehen.

 

Lendmarkt Klagenfurt (c) Bernhard Schindler

Welche Zukunft hat in diesem Zusammenhang der ländliche Raum?

Edgar Eller: Natürlich steht der ländliche Raum derzeit massiv unter Druck. Abwanderung ist ein Problem für viele Täler und Orte. Vermutlich liegt aber genau in der Entkopplung von Ort und Tätigkeit eine wichtige Ressource. Während der Pandemie pendelte nahezu niemand aus den Tälern in die Stadt. Sondern erledigte seine Arbeit von zu Hause aus.

Wenn wir mit intelligenten Modellen neue Orte der Begegnung schaffen, an denen ich im Tal mit anderen in Kontakt komme und dort meinem Tagwerk nachgehen kann, wird dies positive Auswirkungen auf die Ökonomie des ländlichen Raums haben können. Größere Firmen können in den Tälern, dort wo ihre MitarbeiterInnen wohnen, Büros errichten.

Gegessen wird im Wirtshaus vor Ort, dazwischen wird man die eine oder andere Erledigung im Ort erledigen. Grundsätzlich verschwimmen die Unterschiede von Stadt und Land immer mehr. Städte werden ländlicher, Orte urban.

 

Könnten Merkmale wie Regionalität, lokale Produkte, Vertrauen, persönliche Beratung, persönlicher Kontakt und Service in einer Welt der Anonymisierung bestimmende Faktoren für einen physischen Ort – wie es eine Stadt oder ein Dorf sein kann – werden?

Edgar Eller: Das zeichnet sich ab, ja. Standardprozesse und -produkte werden automatisiert. Waschmittel- und Druckerpatronen-Abos sind erst der Anfang. Neues entdecken, durch eine Expertin oder einen Experten ausgewählte Produkte empfohlen zu bekommen macht nicht nur Spaß, sondern bestätigen mich auch darin, dass ich bin, wer ich bin.

Ein für den Menschen sehr beruhigendes Gefühl. Garniert mit der einen oder anderen Überraschung, die mir dadurch begegnen kann.

Was würden Sie Gemeinden in Südtirol raten, um den Charakter eines Ortes zu erhalten?

Edgar Eller: Versuchen Sie nicht den Status-Quo zu zementieren, sondern öffnen Sie sich den Möglichkeiten, die sich eröffnen. Hier muss man aber sehr zwischen der materiellen und der immateriellen Ebene unterscheiden. Bewahren Sie die alte Substanz Ihrer Orte, wo immer es sinnvoll geht.

Sie sind Träger der Geschichte und für Ihre BewohnerInnen identitätsstiftend. Und investieren Sie in die Gemeinschaft eines Ortes. Sorgen Sie für echte Durchmischung und nutzen Sie die Möglichkeiten, die die Technik Ihnen bereithält. Eine lebendige Gemeinschaft in schönen Orten. Eine gute Basis, um Zukunft zu gestalten.

 

Das Interview wurde im Wochenmagazin „Wirtschaftskurier WIKU“, einer Beilage der Südtiroler Tageszeitung „Dolomiten“ und im Verbandsmagazin des hds veröffentlicht. Der hds ist der Verband der Unternehmer im Handel, in der Dienstleistung und in der Gastronomie in Südtirol.

Link zum hds: hds-bz.it

Link zum hds-Team und Mauro Stoffella: https://www.hds-bz.it/de/menschen-im-hds/mitarbeiter/425-0.html

Titelbild (c) Ben Duchac on Unsplash

 

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Edgar Eller

Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.

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