Städte, die sich nie ändern, sind auf Veränderungen von außen nicht vorbereitet. Derzeit stehen unsere Innenstädte vor massiven Handelsflächenverlusten. Mehr denn je braucht es innovative Flächenkonzepte, die kreative Nutzungen erlauben. Ein Umdenken ist gefragt.
Leben ist Veränderung. Ein viel zitierter Satz, der auch auf die Vitalität von Städten anwendbar ist. Städte, die sich nie ändern, sind auf Veränderungen von außen nicht vorbereitet. Derzeit stehen unsere Innenstädte vor massiven Handelsflächenverlusten. Mehr denn je braucht es innovative Flächenkonzepte, die kreative Nutzungen erlauben. Ein Umdenken ist gefragt.
Auch wenn es aufgrund komplizierter Eigentums- und Nutzungskonstellationen keine umfassende Analyse aller Leerstände in Österreich gibt, ist der Trend der letzten Jahre klar: Die Handelsflächen in den Städten nehmen kontinuierlich ab.
Schließlich hat sich die Rolle der Städte in den letzten Jahr(zehnt)en massiv geändert. War die Stadt in den 80ern noch so ziemlich der einzige Ort für die Deckung des Bedarfseinkaufs, mischen Einkaufs- und Fachmarktzentren und der Online-Handel heute kräftig mit.
Und als wären die letzten Jahre nicht schon schwer genug gewesen, funktioniert Corona mit den verhängten Lockdowns wie ein Brandbeschleuniger für diese Entwicklung.
Lockdown Nummer 2 bringt Geschäftesterben
Die letzten Monate waren für viele Innenstadthändler eine große, kaum zu meisternde Herausforderung. Das statistische Bundesamt Deutschland (die Zahlen gelten ähnlich auch für Österreich) hat berechnet, dass zwar der Gesamtumsatz im Handel im Sommer 2020 höher ist als im Vergleichszeitraum des Vorjahres.
Doch profitieren nicht alle Händler gleichermaßen. So verzeichnete der Internet- und Versandhandel gegenüber dem Vorjahresmonat ein Plus von 28,7 Prozent.
Der Einzelhandel mit Lebensmitteln, Getränken und Tabakwaren schaffte real ein Plus von knapp fünf Prozent. Hingegen musste der gerade für die Innenstädte relevante Handel mit Textilien, Schuhen und Lederwaren starke Einbußen hinnehmen.
Die Sparte verzeichnete im Mai 2020 einen um 22,6 Prozent verringerten Real-Umsatz. In den ersten fünf Monaten dieses Jahres fehlen diesen Händlern 32,6 Prozent der Erlöse.
Eine Entwicklung, die auch auf die Verkaufsflächen der Innenstädte Auswirkungen hat.
Die Gesamtheit der City-Shopflächen war schon vor der Corona-Krise heuer zum zweiten Mal in Folge seit 2013 nicht mehr gewachsen, sondern hat sich gegenüber dem Vorjahresbestand um 0,1 Prozent reduziert. Dieser Wert zeigte schon damals die Trendwende, die das Ende der Expansion markierte.
Der Modehandel war vor Corona schon unter Druck geraten, während die Gastronomie noch zulegen und ihre Position als Frequenzbringer stärken konnte. Und dann kam die Corona-Pandemie, die die bestehenden Entwicklungen rasant beschleunigte und alles auf den Kopf stellte.
Mit dem ersten Lockdown verschärfte sich die Situation auch für die Gastronomie. Der Onlinehandel hingegen zog durch alle Branchen nochmals an und erreichte nun schlussendlich auch jene Altersgruppen, die bislang noch nicht internetaffin beim Einkaufen waren.
Mit dem zweiten Lockdown ausgerechnet im November vor Weihnachten ist nun zu befürchten, dass ein Großteil des Weihnachtsgeschäfts noch mehr an die internationalen Online-Handelsriesen gehen wird.
Wenn Handel also nicht mehr die einzige Option der Erdgeschoßlagen in Städten sein wird, braucht es neue Nutzungskonzepte.
Neue Flächenkonzepte durch Corona
Nun stellt sich die Frage: Welche neuen Flächenkonzepte können das sein? Eines zeigten die Lockdowns klar: Menschen besuchen vor allem wegen des Gesamtgefüges unsere Städte.
Ohne Gastronomie und Kultur macht auch das Einkaufen keinen Spaß. Die Stadt soll ein Ort zum Wohlfühlen und Verweilen sein, und da ist ein guter Mix aus Handel und Gastronomie für die Frequenzen nach wie vor nicht wegzudenken.
Klar ist aber auch, dass alle Betriebe flexibler werden müssen. Es macht also aus Mietersicht Sinn, Handels- und Gastronomiekonzepte zu verwirklichen, die ihre Angebote auch nachhause liefern können.
Das allein wird allerdings nicht reichen, denn tendenziell wächst der Leerstand weiter an. Die Zeiten, in denen wir ausschließlich mit Handel und Gastronomie darauf reagieren können, sind jetzt vorbei.
Flächen an Menschen zurückgeben
Eine viel versprechende, innovative Flächennutzung kann sein, dass die Stadt ihre Flächen in einer Form wieder an ihre Bewohner zurückgibt. Doris Haider vom Stadtmarketing St. Valentin schlägt hier zum Beispiel flexibel nutzbare Flächen vor, die eine freie Entfaltung verschiedener Tätigkeiten ermöglichen – zum Beispiel Yogaklassen, Eltern-Kind-Treffs, Töpfer- oder Nähkurse oder Beratungsleistungen.
„Räumlichkeiten sind immer ein begehrtes Produkt“, sagt Doris Haider. „So kann die Stadt selbst diese Flächen anmieten und den vormals leeren Erdgeschoßzonen damit auf sinnvolle Weise bürgernahe neues Leben einzuhauchen.“
Gerade durch Corona würden viele Vereine mit ihren eigenen Mieten jetzt neuen Bedarf für flexible Räumlichkeiten sehen. Die Fixanmietung rentiert sich oft einfach schlicht nicht mehr. „Ich bekomme immer wieder Anfragen von Vereinen, die derartige Anliegen haben“.
24-Stundenläden mit kontaktlosem Bezahlen
Auch die Förderungregionaler Künstler könne an dieser Stelle zum Einsatz kommen, bringt Doris Haider ein: „In St. Valentin haben wir bereits begonnen, Künstlern die Möglichkeit zu geben, ihre Werke in leerstehenden Geschäften und Schaufenstern zu zeigen“.
Ebenfalls ist in St. Valentin, wie auch bereits in anderen Städten umgesetzt, ein Abhof-Laden mit kontaktlosem Bezahlen geplant. Rund um die Uhr geöffnet, setzt man in dem videoüberwachten Geschäftskonzept auf Selbstbedienung. Gekauft werden können Waren unterschiedlicher Landwirte der Region.
Den Eintritt ermöglicht ein eigenes Zutrittssystem, mit dem die Kunden mittels Karte registriert werden können. „Dieses Shopkonzept kann mit verschiedenen Waren auch von verschiedenen Unternehmen umgesetzt werden“, sagt Haider.
Kooperationen werden generell vermehrt ein Thema sein: Shop-in-Shop Konzepte und gemeinsame Nutzung der Flächen schaffen Synergien und machen Flächenmieten effizient. Entscheidend ist hier die Art der Kombination.
C-Lagen für Geschäfte „zum Ausprobieren“
Vor allem C-Lagen sind für Pop Up-Stores und kreative Ideen eine bereichernde Option. Durch die niedrigen Mieten ist es hier eher möglich, ein Geschäftsmodell auszuprobieren. Für Menschen, die ihr Hobby zum Beruf machen wollen, aus finanziellen Gründen das Gewerbe vorerst aber nur nebenbei ausüben können.
So ist zum Beispiel eine kleine Chocolaterie oder ein Laden mit Handwerkskunst gerade für die weniger frequentierten Standorte eine enorme Bereicherung für das Gesamterlebnis Innenstadt.
In speziellen Fällen können auch Büros eine sinnvolle Nutzung von leeren Erdgeschoßflächen sein. Hier ist allerdings wichtig, dass man von der Straße tatsächlich hineinschauen und die Menschen beim Arbeiten sehen kann.
Wird an dieser Stelle Milchglas angebracht, ist der Effekt vertan. Gut geeignet sind hier Dienstleistungen, die einen gewissen Publikumsverkehr mit sich bringen wie zum Beispiel Architekten, Notare oder Werbeagenturen.
Vom Home-Office ins Hotel-Office
Auch sogenannte Grätzelhotels können auf leeren Flächen entstehen. Aufgelassene Handwerks- oder Gewerbebetriebe werden über die Stadt oder ein Grätzel verteilt einfach in einzelnen Hotelzimmern unter einer Dachmarke vereint. So zum Beispiel in Linz mit dem Pixelhotel und in Wien mit dem Wiener Grätzlhotel.
Spannend: Seit Corona bieten immer mehr Hotels leerstehende Hotelzimmer als Home-Office an – zum Beispiel das 25 Hours-Hotel oder das Hotel Donauwalzer in Wien.
Fazit:
Während die Leerstandsquoten in den letzten Jahren österreichweit in den Städten gestiegen sind, haben die beiden Lockdowns diese Entwicklung weiter beschleunigt. Die Lösung für die leeren Flächen kann allerdings nicht mehr ausschließlich in traditionellen Handelskonzepten gesehen werden.
Gut aufeinander abgestimmte Shop in Shop-Modelle aber auch Flächen, die den Bürgern für unterschiedliche Nutzungen zurückgegeben werden, können nun dazu beitragen, dass die leer stehende Flächen sinnvoll belebt werden und die Stadt dadurch gewinnt.
Titelbild: Die kreative Bespielung des Außenraums vor dem Geschäft schafft Atmosphäre. (c) Nadine Jochum
Edgar Eller
Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.
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