Baustellenmarketing erfolgreich kommunizieren

16.05.2023
Gesellschaft, Wirtschaft

Baustelle-Amstetten-2

Baustellen sind bei BewohnerInnen und AnrainerInnen unbeliebt – sie sind laut, staubig, versperren Durchgänge und dauern zu lange. Baustellenkommunikation und kreatives Baustellenmarketing fordert Städte und Stadtmarketingorganisationen ständig aufs Neue.

Längerfristige Baumaßnahmen beeinflussen konsumorientierte Betriebe im Einzelhandel, in der Gastronomie und im Dienstleistungssektor. Ärger und Konflikte sind vorprogrammiert, diese gut zu lösen liegt häufig im Aufgabenbereich des Stadtmarketings.

Die Aufmerksamkeit großer Baustellen kann man aber erfolgreich nutzen: Offene Kommunikation zwischen allen beteiligten Akteuren sowie kreative Ideen für das Baustellenmarketing sind notwendig – dazu ein paar Beispiele.

Neugestaltung des Amstettener Hauptplatzes

In Amstetten wird die Innenstadt in mehreren Etappen umgestaltet. Die erste Phase der Grabungsarbeiten startete diesen Mai am Hauptplatz. Mit einer intensiven Bevölkerungsbeteiligung wurde aber bereits im Sommer 2020 begonnen, also fast drei Jahre vor Baustart. Der breit angelegte Partizipationsprozess soll zu einer möglichst großen Zufriedenheit mit den Umgestaltungsmaßnahmen beitragen. Außerdem wird dadurch eine breitere Akzeptanz der Bauarbeiten am Weg zum neuen Stadtzentrum erwartet.

Die Wünsche und Anregungen wurden von der Bevölkerung über eine Hauptumfrage mit 1.112 retournierten Fragebögen, über Workshops, Stadtsafaris und zahlreiche Einzelgespräche kommuniziert. Inklusive Auftaktveranstaltung (coronabedingt via Live-Stream) waren über 8.000 Personen messbar aktiv beteiligt. Zusätzlich flossen vorangegangene Studien und Erhebungen mit ein, die von der Stadt Amstetten in Auftrag gegeben wurden. Begleitet wurden Prozess und Erhebung unter anderem von der Expertise von NÖ.Regional, Yewo Landscapes und der CIMA Management GmbH. Daraus ergaben sich folgende Hauptanliegen der Bevölkerung:

  • Die Innenstadt und der Hauptplatz sollen grüner und schattiger werden
  • Das Verkehrskonzept soll überarbeitet und der Verkehr beruhigt werden
  • Es soll weniger versiegelte Flächen und mehr Wasserelemente geben

Die Ergebnisse des Beteiligungsprozesses waren Rahmengebend für den Planungswettbewerb und wichtige Grundlage für die Auswahl des Siegerprojektes. Die Inputs der Bevölkerung sind somit klar nachvollziehbare Grundlage für die Gestaltung der Amstettner Innenstadt. Eine wichtige Basis für die erfolgreiche Kommunikation in der herausfordernden Bauphase.

Zum Projekt:

Mit dem ambitionierten Bauvorhaben soll Amstetten zu Niederösterreichs größter Schwammstadt werden. 100 hochstämmige Bäume und Grünoasen werden den Hauptplatz zu einer attraktiven Verweil- und Erholungszone machen und Frequenz in die Stadtmitte bringen. Die Durchfahrtsstraße wird zur großen Begegnungszone, wodurch der Charakter der Stadt zukünftig weniger durch den Autoverkehr und mehr durch Aufenthalts- und Lebensqualität bestimmt werden soll. Alle Infos zum Projekt unter sam.amstetten.at

Der Amstettener Hauptplatz heute und in Zukunft (c) SAM Amtstetten

Baustellenmarketing

Baustellenmarketing

(c) SAM Amtstetten

Vom Beteiligungsprozess in Amstetten konnten u.a. folgende Learnings mitgenommen werden:

Individuelle Interessen brauchen individuelle Ansprache. Von den Eigentümern bis zu verschiedenen Gewerbearten und Unternehmen brauchen HändlerInnen spezielle Informationen, denn sie haben unterschiedliche Interessen. Große Gruppendiskussionen führen daher eher zu kollektiver Ablehnung.

  • Informieren in der Großgruppe – ja!
  • Auf einzelne Problemstellungen nur individuell eingehen.

Professionelles Baustellenmarketing hat einen hohen Kommunikationsbedarf in Quantität und Qualität. Wenn man vier Wochen lang keine neuen Informationen weitergibt, regt sich Widerstand und das Informationsvakuum füllt sich mit Gerüchten/Fehlinformationen.

  • Kontinuierliche Kommunikation
  • Nur gesicherte Informationen weitergeben

Bauen als Generationenthema – U-Bahnbau in Wien

Infrastrukturbauten sind langlebig und werden von den Betroffenen nur dann mitgetragen, wenn über die Bauschritte offensiv informiert wird. Kontinuierliche Begleitung, Beratung und Unterstützung sorgt in Wien für Verständnis bei den seit über zwei Jahren von der U-Bahn-Baustelle betroffenen Betrieben.

Die Bezirksobleute der Wirtschaftskammer Wien spielen dabei eine entscheidende Rolle. Sie können jederzeit zu Rate gezogen werden und schaffen Kontakte zu den Fachabteilungen in der WK Wien.

Weiters besuchen sie die Unternehmen vor Ort, organisieren Vernetzungstreffen und informieren über aktuelle Entwicklungen, um die Interessen der Gewerbetreibenden aufzunehmen.

Von Infotagen, wöchentlichen Gesprächsrunden bis zu Verteilaktionen an Kinder, PassantInnen und Geschäftstreibende bietet man eine Menge an Marketing-Aktivitäten. Hohe Bauzäune, Container und Graffitis können erklärt und damit der Ärger verringert werden – Ideen dazu hier.

Neben der U-Bahn-Bau-Soforthilfe von der Wirtschaftsagentur Wien und dem U-Bahn-Baustellenmarketing der Wirtschaftskammer Wien engagieren sich ebenso die Bauleiter vor Ort für den Standort. Das zeigt die Idee eines transparenten Bauzaunes. „Vorher galt die Devise: Was unattraktiv ist, muss man hinter einem möglichst blickdichten Zaun verstecken.“

Baustelle als Schaustelle – transparente Bauzäune

In der Kirchen- und Lindengasse sieht das anders aus. Ein transparenter, also durchsichtiger Bauzaun macht die Baustelle nicht nur sichtbar, sondern auch spürbar. Riesige Baugeräte in Action, endlich weiß man, was welchen Lärm macht – sehen ist verstehen. „Die KundInnen haben wieder die Übersicht, welche Angebote es auf der anderen Seite des Bauzaunes gibt“, so einer der Vertreter der WKO.

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transparente Bauzäune (c) WKWien/Croy

Langzeitprojekte: 4.344 Tage Baustellenmarketing Karlsruhe

Die Karlsruher Innenstadt befindet sich seit 2009 in einem kontinuierlichen Baustellenmodus, der bis etwa 2030 dauern wird.

Verkehrsgroßprojekte wie Tunnel unter der Innenstadt und der Komplettumbau der Fußgängerzone Kaiserstraße auf rund 1,5 km Länge sowie große zentral gelegene Bauprojekte privater und öffentlicher Träger, bescheren der Stadt eine langjährige Dauerbaustelle.

Am Praxistag des Dachverbandes Stadtmarketing Austria in Amstetten gab Dennis Fischer, Bereichsleiter Citymarketing der KME Karlsruhe Marketing und Event GmbH, Einblicke in diverse Maßnahmen. Er setzt darauf, Baustellen als Bühnen zu nutzen, zu bespielen und damit mehr Akzeptanz in der Bevölkerung zu erreichen.

„Der Umgang mit Baustellen bedeutet für uns grundsätzlich die Einbeziehung in alle denkbaren Aktivitäten. Sei es die Sperrung einer Straße und die dadurch mögliche Flächennutzung oder der besondere Blickwinkel auf die Stadt, der sich so nur sehr selten wiederholen lässt.“

Fischer weiß, dass es gilt, Baustellen als interessante Orte (POI) mitzudenken – als spezielle Kulisse für ein kuratiertes Programm, künstlerische Formate oder Ausgangpunkt für einmalige Erlebnisse wie das Fahrradfahren im Tunnel.

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ARTIS-Uli Deck// 17.06.2018 Mobilitaetsfestival Karlsruhe 2018, KASIG, Tunnelbesichtigung mit dem Fahrrad www.artis-foto.de

In Karlsruhe hat das Maskottchen „Kombi Karle“ – ein kleiner Maulwurf in Bauarbeiter-Kluft – für große Sympathie bei Groß und Klein gesorgt. Dennis Fischer weiß, dass Stadtmarketing in der Kommunikation viel bewirken kann und als Übersetzer dient, damit man ein Thema versteht.

„Durch die inszenierte Öffnung von Baustellen für die Bevölkerung wird also eine haptische und emotionale Verbindung erzeugt, die erheblich zum Verständnis für die Dimensionen von Bauvorhaben und damit zur Akzeptanz der Maßnahmen und deren Dauer beiträgt.“

Darüber hinaus empfiehlt er:

  • Termine realistisch zu kommunizieren.
  • Kosten „all inclusive“ auf den Tisch zu legen.
  • Baustellenkommunikation ist ein Fulltime-Job.
  • Baustellenmarketing endet nicht hinterm Bauzaun.
  • Baustellen begreifbar und begehbar zu machen – als Schaustelle mit Events, Kunst, Kultur und Emotionen.
  • Weg von Bauzäunen – Blicke durchlassen – transparente Stadträume zu schaffen.
  • individuelle Interessen brauchen individuelle Ansprache, daher Einzelgespräche statt Gruppenterminen.

FAZIT:

Aus den vielfältigen Erfahrungen vom Stadtmarketing Praxistag in Amstetten konnte daher folgendes Fazit mitgenommen werden:

Baustellenmarketing und Baustellenkommunikation geht nicht nebenbei, sondern muss als zentrales Handlungsfeld mit entsprechenden finanziellen und personellen Ressourcen betrieben werden. Der erste Kommunikationsbedarf beginnt schon in der Planungsphase.

Interne Kommunikation ist mindestens genauso wichtig wie die Kommunikation nach außen: Intensive Abstimmung mit ausführenden Firmen, verantwortlichen MitarbeiterInnen der Kommune und PolitikerInnen ist die Grundlage für eine erfolgreiche Kommunikation.

Flexibilität und großer Leidensdruck sind also bei allen AkteurInnen unbedingte Voraussetzung. Wir alle wissen, dass keine Baustelle nach Plan abläuft und man es nicht allen recht machen kann. Doch eines ist gewiss: Jede Baustelle endet einmal und je geringer der Ärger war, umso erfreuter blicken die Menschen auf das neu Geschaffene.

Als Stadtmarketing-Organisation ist es hilfreich, kritische Fragen vorab durchzuspielen und einen Kommunikationsplan zu erstellen:

  • Was kommunizieren bei großer Unsicherheit?
  • Wie häufig werden die Entwicklungen präsentiert?
  • Welche Rückfrageinstrumente – Bautagebuch, Diskussionen, etc. gibt es?
  • Wer kommuniziert was – Bauträger, Politik, Unternehmenssprecher, etc.
  • Bürgerbeteiligung – was wurde zugesagt und wird tatsächlich umgesetzt?
  • Wie erhält man die Motivation der BürgerInnen?
  • Finanzielle Ersatzleistungen für betroffene UnternehmerInnen schaffen.
  • Verantwortlichkeiten für Struktur und interne Kommunikation klären.

Titelbild: Baustelle (c) Amstetten

Georg Trimmel

Geschäftsführer Stadtmarketing Amstetten

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