Smart Data im Stadtmarketing: Welche Daten und Erhebungsinstrumente sind wirklich sinnvoll?

16.06.2025
Leerstandsmanagement, Trends, Wirtschaft

Smart Data Stadtmarketing
(c) AI generated

Städte stehen heute vor komplexen Herausforderungen: Leerstände im Einzelhandel, veränderte Mobilitätsbedürfnisse, touristische Saisonalität – und die Frage, wie urbane Räume lebenswert bleiben. Klassische Kennzahlen wie Passantenfrequenzen oder Leerstandsquoten reichen längst nicht mehr aus, um diese Dynamiken zu verstehen. Entscheidungen auf Basis von Bauchgefühl oder veralteten Daten und Statistiken bergen Risiken – von Fehlinvestitionen bis hin zu verpassten Chancen.

Smart Data eröffnen hier neue Perspektiven, indem sie rohe Daten zu strategischem Steuerungswissen verdichten. Doch welche (neuen) Datenquellen und Erhebungsinstrumente stehen aktuell am Markt zur Verfügung – und wie lassen sie sich sinnvoll einsetzen?

Was sind Smart Data im Stadt- und Ortsmarketing?

„Smart Data“ sind intelligent aufbereitete und analysierte Daten, die konkrete Entscheidungsgrundlagen für strategische Maßnahmen im kommunalen Kontext liefern – beispielsweise in den Bereichen Stadtentwicklung, Wirtschaftsförderung, Tourismus oder Mobilität.

Charakteristisch für Smart Data sind:

  • Kontextbezogen: Daten werden im räumlichen, zeitlichen oder sozialen Kontext interpretiert (z. B. woher kommen Gäste und was konsumieren sie wann?).
  • Verknüpft: Informationen aus verschiedenen Quellen (z. B. Mobilitätsdaten, Zahlungsdaten, Frequenzen) werden kombiniert.
  • Handlungsorientiert: Sie liefern konkrete Hinweise für Maßnahmen (z. B. Standortpotenziale, Angebotslücken, Zielgruppencluster).

Smart Data ermöglichen somit eine datenbasierte, zukunftsorientierte Steuerung von Innenstädten und Ortszentren. Sie liefern die notwendige Tiefe und Kontextualisierung, um aus Daten echte Erkenntnisse zu gewinnen – und aus Erkenntnissen wirksame Maßnahmen.

 

Es gibt Daten ohne Information, aber keine Information ohne Daten. 

Daniel Keys Moran 

Kennzahlen und Datenbedürfnisse „einst und jetzt“

Die Anforderungen an Daten und Kennzahlen haben sich in den letzten Jahrzehnten deutlich verändert. In den 1990er und frühen 2000er Jahren dominierten eher einfache, mengenorientierte Kennzahlen zur Bewertung von Standorten. Seitdem ist nicht nur die Digitalisierung massiv vorangeschritten – auch gesellschaftliche Trends wie Demografiewandel, Klimakrise, Mobilitätswandel und verändertes Konsumverhalten haben dazu geführt, dass Daten heute vielseitiger, tiefgreifender und kontextsensitiver erhoben und genutzt werden.

  1. Datenbedürfnisse in den 1990er & 2000er Jahren

Die Datenerhebung diente vorrangig dem klassischen Stadt- und Handelsmarketing. Sie basierte auf einfachen, quantitativen Kennzahlen, die mit relativ geringem technischem Aufwand erfasst wurden. Es ging vor allem um:

  • Standortbewertung und Erreichbarkeit: z. B. Einzugsgebietsgröße, Anzahl der Parkplätze für den Handel
  • Handelskennzahlen: Verkaufsfläche, Umsatz, Passant:innen-Frequenz
  • Stichprobenartige Befragungen: Meinungsbilder von Bürger:innen und Besucher:innen

Ziel: Bewertung des wirtschaftlichen Potenzials und der Standortattraktivität – insbesondere für den stationären Handel – mit Schwerpunkt auf physischer Infrastruktur und Handelsangebot.

  1. Datenbedürfnisse heute

Die Datenbedürfnisse sind heute komplexer und stärker kontextbezogen – mit Fokus auf Qualität, Motivation, Nachhaltigkeit und Zusammenhänge: Statt einfacher Standortkennzahlen stehen integrierte, strategisch relevante Informationen im Mittelpunkt, die wirtschaftliche, soziale, ökologische und stadtplanerische Aspekte verknüpfen:

  • Sozialraum-Entwicklung: B. Bevölkerungsstruktur nach Zielgruppen (z.B. junge Familien, Studierende, Senioren), Zuzugsdynamik und Kaufkraft – kombiniert mit Wohnraumnachfrage, Infrastrukturbelastung und sozialer Durchmischung
  • Wirtschaftsstrukturen: z. B. Anteil und Verteilung wirtschaftlicher Branchen (Tourismus, Kreativwirtschaft, Handel), Standortattraktivität im Kontext von Verkehrsanbindung, Umweltqualität und Arbeitsplatzangebot, Wirkung auf lokale Versorgung und Stadtteilprofil
  • Konsum-/Besuchsmotivforschung: z.B. Besuchsanlässe (z.B. Shopping, Events, Gastronomie), Ausgabenverhalten unterschiedlicher Zielgruppen, Besuchshäufigkeit
  • Imageanalysen: z.B. Wahrnehmung der Stadt als Reiseziel, Bekanntheit von Sehenswürdigkeiten, Imageprofile verschiedener Stadtteile
  • Immobiliendaten: z. B. Entwicklung von Ladenmieten und Marktfähigkeit von Leerständen, Nutzungsdynamik in Einkaufsstraßen, Flächenverfügbarkeit für temporäre Nutzungen (z. B. Pop-up-Stores), Umnutzungspotenziale im Sinne nachhaltiger Stadtentwicklung
  • Qualifizierte Frequenzdaten: z.B. Passant:innenströme nach Tageszeit, Besucherströme in Einkaufsstraßen, Verweildauer, Wiederkehrraten, saisonale Besuchsschwankungen
  • Mobilitätsdaten: z.B. Herkunft der Besucher (z.B. Einzugsradius), Pendlerströme, Nutzung von Sharing- oder P&R-Angeboten, Verkehrsaufkommen an Eventtagen, Ladeinfrastruktur für E-Autos
  • Parkplatzbedarfsanalysen: B. Auslastung von Besucherparkplätzen, Parkdauer, Parkdruck in Innenstädten, Nutzung von Parkleitsystemen, Auslastung bei Großveranstaltungen
  • Gästebefragungen und Tagesbesucheranalysen: z.B. Besuchsgründe, Zufriedenheit mit (touristischer) Infrastruktur, Bewertung von Serviceangeboten
  • Wertschöpfungsstudien zu Events und Lebensraum: z.B. wirtschaftliche Effekte von Stadtfesten, Auswirkungen von Stadtteilaufwertungen auf lokale Kaufkraft und Gewerbeansiedlungen
  • Klimafitness-Checks: z.B. Begrünungsgrad, Schattenangebot in Einkaufsstraßen, klimafreundliche Verkehrslösungen, Energieeffizienz von Gebäuden, Nutzung erneuerbarer Energien

Ziel: Daten dienen nicht mehr allein der Standortbewertung, sondern der aktiven Gestaltung lebenswerter, zukunftsfähiger Städte – mit Fokus auf ganzheitliche Entwicklung, Nachhaltigkeit und Nutzerzentrierung.

Datenbedürfnisse im Stadtmarketing 1990er und 2000er Jahre im Vergleich zu heute
Abbildung 1: Die Datenbedürfnisse im Wandel der Zeit. © STAMA

Smart Data in Konsum- und Besuchsmotivforschung

Wer wissen will, warum Menschen Städte besuchen, einkaufen oder ihnen fernbleiben, braucht mehr als klassische Umfragen. Die Forschung hat sich von eindimensionalen Methoden wie Telefoninterviews (z. B. CATI zur Kaufkraftmessung) zu einem vielschichtigen Ansatz entwickelt. Heute geht es darum, Konsumverhalten und Besuchs-/Nicht-Besuchsmotive mehrdimensional zu erfassen durch

  • Online-Befragungen: Zielgruppenspezifisch, flexibel und skalierbar.
  • POS-Befragungen: Direkt am Ort des Geschehens, nah am Kundenerlebnis.
  • Social Media Tools: Schnell, niedrigschwellig und dialogorientiert (z. B. Instagram-Umfragen).

Smart Data zur Erhebung des Konsumverhalten erfordern eine mehrdimensionale Erfassung

 

Neben Befragungen bieten ergänzende Methoden und innovative Technologien zusätzliche Einblicke in Konsum- und Besuchsmotive:

 

  1. Social Listening und/oder Influencer Marketing

Social Listening analysiert öffentliche Online-Diskussionen (Kommentare, Hashtags), um:

  • Trends zu erkennen (z. B. aufkommende Interessen an bestimmten Stadtteilen),
  • Stimmungen zu erfassen (z.B. Sentiment-Analysen zu Sehenswürdigkeiten) und
  • ungefilterte Meinungen sichtbar zu machen (z. B. Hashtags wie #TooTouristy).

Influencer-Marketing setzt wiederum Meinungsmacher ein, um Botschaften zu verbreiten und die Reaktionen der Zielgruppen zu testen.

Beide Methoden ergänzen sich ideal: Social Listening identifiziert relevante Themen und passende Influencer, während Influencer-Kampagnen neue Diskussionen anstoßen, die anschließend durch Social Listening ausgewertet werden. So erhalten Kommunen sowohl eine neutrale Beobachtung als auch eine aktive Steuerungsmöglichkeit, um:

  • Besuchermotive besser zu verstehen und gezielt zu beeinflussen,
  • Schwachstellen im Konsumangebot aufzudecken und
  • ihre Angebote zielgruppengenau anzupassen.

Ein Beispiel: Eine Tourismusregion entdeckt z.B. über Social Listening, dass Besucher besonders Biolandwirtschaft thematisieren – daraufhin entwickelt sie „Farm-to-Table“-Erlebnisrouten und bindet lokale Influencer ein, um diese Angebote zu bewerben.

Moderne Monitoring-Tools wie Brandwatch oder Socialbakers unterstützen sowohl Social Listening als auch Influencer Marketing: Sie analysieren automatisiert Online-Diskussionen, identifizieren relevante Themen wie auch passende Influencer, und steuern Influencer-Kampagnen.

  1. Chatbots als Datensammler

Chatbots auf städtischen Websites oder Tourismusseiten beantworten nicht nur Fragen – sie sammeln gleichzeitig anonymisierte Informationen darüber, was Menschen interessiert, was sie suchen und was sie eventuell vermissen.

  1. KI-gestützte Analysen

Künstliche Intelligenz ermöglicht es, aus historischen Daten zukünftige Kaufkraftentwicklungen zu prognostizieren. Mithilfe von Machine Learning und Predictive Analytics lassen sich Muster im Konsumverhalten erkennen und in algorithmischen Simulationen verschiedene Szenarien durchspielen – etwa: Wie wirkt sich ein neues Event auf den Innenstadtbesuch aus? Wie wirkt sich die Eröffnung eines Co-Working-Spaces auf das Mittagsgeschäft umliegender Gastronomie aus?

  1. Mobile Data Tracking

Durch anonymisierte Bewegungsdaten von Smartphones (z. B. über Mobilfunkanbieter, Bluetooth-Beacons oder WLAN-Tracking) sind Besucherströme sehr detailliert analysierbar. In Kombination mit Geofencing-Technologien kann ausgewertet werden, wie sich Besucher in bestimmten Zonen der Stadt bewegen – und wie lange sie bleiben.

  1. Sensorik & IoT-Lösungen

Moderne Lidar- oder Kamerasensoren messen Besucherfrequenzen in Echtzeit, ohne dabei personenbezogene Daten zu erfassen. Kombiniert mit IoT-fähigen Kassensystemen können diese Daten sogar mit Echtzeit-Umsätzen abgeglichen werden, um den Zusammenhang zwischen Frequenz und Kaufverhalten besser zu verstehen.

Moderne Methoden und Smart Data in der Konsum- und Motivforschung
Abbildung 2: Ergänzende Methoden der Konsum- und Motivforschung. Quelle: CIMA

Digitale Bürger:innen-Beteiligung

Moderne Stadtentwicklung lebt vom Dialog mit den Menschen vor Ort. Digitale Beteiligungsplattformen schaffen dafür neue, niederschwellige Zugänge – unabhängig von Ort und Zeit. Sie ergänzen klassische Formate wie Bürgerversammlungen oder Workshops und ermöglichen eine breitere, flexiblere Einbindung in Planungsprozesse.

Ein Beispiel für eine innovative Plattform mit KI-gestützten Funktionen ist die Senf.app. Sie wurde speziell für die Bürger:innenbeteiligung bei Planungsprojekten entwickelt und unterstützt Kommunen dabei, Beteiligung einfacher, inklusiver und effizienter zu gestalten.

  • Kartenbasiert: Bürger:innen hinterlassen Rückmeldungen direkt auf einer digitalen Karte, z. B. Verbesserungsvorschläge zu Straßen, Plätzen oder Stadtteilen.
  • Modular & flexibel: Fragebögen sind für verschiedenste Beteiligungsformate anpassbar – von einfachen Umfragen bis hin zu komplexen Planungsverfahren.
  • Echtzeit-Visualisierung & Datenexport: Rückmeldungen erscheinen direkt auf der Karte, können gefiltert und in verschiedenen Formaten exportiert werden.
  • Ergänzung zu analogen Formaten: Die App ist schnell einsetzbar, kostengünstig und ideal für hybride Beteiligungsprozesse.

Die Einsatzmöglichkeiten der App sind äußerst vielfältig. CIMA nutzt Senf bereits für Einzelhandels- und Stadtentwicklungskonzepte, City-Studien oder im Projekt „Natur Urban – Gewerbegebiete im Klimawandel“, um Einschätzungen von Expert:innen zu den Klimaschutzpotenzialen von Gewerbegebieten zu erheben.

Senfapp für digitale Bürgerbeteiligung
Abbildung 3: Über die Senf.app können Bürger:innen ihre Anregungen und Meinungen digital einbringen – oder eben „ihren Senf dazugeben“. © Senf

Methoden der Frequenzmessung

Um Besucherströme, Verkehrsaufkommen oder Nutzungsverhalten im öffentlichen Raum zu analysieren, stehen heute innovative Technologien zur Verfügung, die je nach Fragestellung, Standort und Datenschutzanforderungen eingesetzt werden können.

  1. Sensorbasierte Zähltechnik

Spezielle Sensoren erfassen Bewegungen und Wärmequellen im Raum. Sie können zwischen Passant:innen, Radfahrer:innen und Fahrzeugen unterscheiden – unabhängig von Tageslicht oder Wetter. Anbieter wie Hystreet, Vaisala oder Xovis bieten solche Lösungen für Innenstädte und Verkehrsknotenpunkte an.

  1. Mobile Location Data

Aggregierte Standortdaten von Smartphones – etwa aus Navi- oder Shopping-Apps – werden anonymisiert ausgewertet, um Bewegungsmuster zu erkennen. Die Methode eignet sich gut für großräumige Analysen. Anbieter sind u. a. A1 Mobility Insights oder Drei.

  1. WLAN- und Bluetooth-Tracking

Mobilgeräte mit aktivem WLAN oder Bluetooth werden erkannt, wenn sie an Hotspots vorbeikommen. So lassen sich Aufenthaltsdauer und Bewegungsprofile im Raum erfassen. Anbieter wie vitracom, Frequentum, INWT Statistics oder Smart Pricer setzen diese Methode in Einkaufszonen oder Verkehrszentren ein.

  1. Drohnenbilder mit KI-Auswertung

Drohnen liefern Luftbilder, die anschließend per Künstlicher Intelligenz analysiert werden, um z.B. Personen bei einmaligen Events wie Festivals zu zählen. Anbieter ist z. B. das Fraunhofer-Institut.

  1. KI-gestützte Videoanalyse

Bestehende Kamerasysteme können durch KI erweitert werden, um Bewegungen automatisch zu analysieren – z.B. zur Zählung von Personen oder zur Beobachtung von Besucherflüssen. Anbieter wie Eagle Eye, ViSense oder IBM Visual Insights bieten solche Lösungen an.

Mehr dazu in: Frequenzmessung in Städten: Anonyme Daten für die smarte Stadtplanung der Zukunft

Methoden zur Frequenzmessung und Generierung von Smart Data
Abbildung 4: Moderne Methoden der Frequenzmessung in Städten. Quelle: CIMA

Smart Data und Standortanalysen

Moderne Standortanalysen müssen mehr leisten als reine Bestandsaufnahmen. Sie sollen komplexe Zusammenhänge sichtbar machen, wirtschaftliche Potenziale erfassen und Grundlagen für Stadtentwicklungsprozesse liefern. Der folgende Überblick zeigt, wie zeitgemäße Analysen zur Generierung von Smart Data beitragen können.

  1. Umfassende Abbildung des (innerstädtischen) Wirtschaftsmix

Innenstädte sind heute weit mehr als reine Einkaufsorte – sie sind multifunktionale Räume zum Leben, Arbeiten und Begegnen. Um ihre Zukunftsfähigkeit zu sichern, braucht es eine Datengrundlage, die den gesamten innerstädtischen Wirtschaftsmix sichtbar macht – nicht nur den Einzelhandel. Eine umfassende Erhebung sollte im Sinne einer „multiuse-Orientierung“ auch Gastronomie, Dienstleister, Handwerk, Gewerbe, Kultur-, Sozial- und Bildungseinrichtungen sowie neue Nutzungsformen wie Co-Working-Spaces oder Urban Production berücksichtigen.

Die Erhebung des Wirtschaftsmix einer Stadt als Basis der Smart Data Strategie
Abbildung 5: Beispiel Wirtschaftsmix Innenstadt Lienz: Neben Handel und Gastronomie prägen über 240 weitere Betriebe aus Dienstleistung, Handwerk und freien Berufen das wirtschaftliche Profil – ein bemerkenswert breiter Branchenmix für eine Kleinstadt. Quelle: CIMA, 2024

 

  1. Vom reinen „Leerflächen“-Zählen zur Bewertung „marktfähiger“ Immobilien

Die klassische Leerstandserhebung erfasst meist nur, welche Flächen aktuell ungenutzt sind. Moderne Ansätze – wie sie etwa die CIMA verfolgt – gehen darüber hinaus: Leerstände werden nicht nur quantitativ, sondern auch qualitativ bewertet – nach Lage, Zustand, Größe oder Nutzungsflexibilität. So wird ermittelt, ob eine Fläche überhaupt vermarktbar ist – kurzfristig oder mittelfristig.

Die Einordnung in A-, B- oder C-Lagen – abhängig von Lagequalität, Frequenz und wirtschaftlichem Umfeld – liefert dabei ein differenziertes Bild. Das Ergebnis ist ein realistisches Potenzialprofil des Immobilienbestands für Handel, Gastronomie oder neue Nutzungsformen wie Pop-up-Stores, Co-Working oder Kultur. Damit erhalten Städte ein wirksames Instrument für aktives Leerstandsmanagement.

Detaillierte Leerstandsanalyse am Beispiel Klagenfurt
Abbildung 6: Leerstandsanalyse am Beispiel Klagenfurt. Quelle: CIMA 2021

 

  1. Dynamisierung von Haus-/Leerstandsbesitzer:innen durch das REVIT-Tool

Viele leerstehende Flächen sind derzeit nicht vermietbar – sei es aufgrund baulicher Mängel, sichtbarer Schäden oder eines insgesamt desolaten Zustands. Andere Objekte sind zu groß für marktübliche Nutzungskonzepte oder werden aus strategischen Gründen nicht angeboten. Hinzu kommt: Nur wenige potenzielle Mieter sind bereit, umfangreiche Sanierungsarbeiten zu übernehmen – selbst dann, wenn die Kosten vom Eigentümer getragen würden. Eine Vermietung setzt in der Regel einen bezugsfertigen bzw. vermietungsfähigen Rohbauzustand voraus.

Um Eigentümer:innen zur Revitalisierung ungenutzter Immobilien zu bewegen, ist ein praxisnaher Austausch erforderlich. Analyseinstrumente wie das REVIT-Tool können hier unterstützend eingesetzt werden, indem sie Entwicklungspotenziale sichtbar machen und eine belastbare Entscheidungsgrundlage schaffen. Das Tool liefert unter anderem eine grobe Objektbewertung, vergleicht die Investitionskosten für Renovierung, Sanierung und Modernisierung und leitet daraus die erforderlichen Mieterträge ab, die für eine wirtschaftlich tragfähige Nutzung notwendig sind.

Grobanalyse zur Leerstandsbewertung
Abbildung 7: Grobanalyse eines Objekts mit Kostenvergleich von Renovierung, Sanierung und Modernisierung sowie Ableitung der erforderlichen Mieterträge für eine wirtschaftliche Nutzung. © CIMA

 

  1. Vom reinen Parkplatzzählen zur integrierten Parkraumbedarfsanalyse

Früher genügte es, einfach die Anzahl vorhandener Parkplätze zu erfassen – heute reicht das längst nicht mehr. Der Fokus hat sich von der bloßen Quantität hin zu einer ganzheitlichen Analyse des tatsächlichen Bedarfs verschoben.

Moderne Parkraumbedarfsanalysen berücksichtigen neben der Auslastung auch Faktoren wie Parkdauer, Tageszeiten, Nutzergruppen (z. B. Anwohnende, Besucher:innen, Pendler:innen), Mobilitätsverhalten, Events oder die Nutzung von Parkleitsystemen. Ergänzt durch Daten aus Sensorik, Mobile Tracking und Befragungen entstehen daraus die Grundlagen für eine bedarfsgerechte und nutzerorientierte Verkehrs- und Stadtplanung.

Smart Data und Parkraumbedarfsanalyse
Abbildung 8: Beispiel für die Ermittlung des Parkraumbedarfs. Quelle: CIMA 2018

 

  1. Wertschöpfung als echter Indikator für Standortqualität

Viele Städte oder Standortanalysen betrachten primär Umsätze. Das greift jedoch zu kurz, wenn es darum geht, den tatsächlichen wirtschaftlichen Nutzen (Wertschöpfung) für eine Stadt zu erfassen. Ein hoher Umsatz bedeutet nicht automatisch hohe lokale Wertschöpfung – insbesondere wenn Kaufkraft über Onlinehandel oder Filialisten ins Ausland abfließt.

Was ist der Unterschied?

  • Umsatz = reiner Verkaufswert (z. B. 100 € im Restaurant ausgegeben)
  • Wertschöpfung = was tatsächlich als ökonomischer Mehrwert nach Abzug der Vorleistungen im Unternehmen verbleibt (z. B. Löhne, Gewinne, Steuern, etc.)
Bruttowertschöpfung versus Umsatz
Abbildung 9: Die Bruttowertschöpfung ist eine verlässlichere Kennzahl zur Einschätzung der Standortattraktivität – sie zeigt, welcher wirtschaftliche Mehrwert tatsächlich in der Region bleibt. © CIMA

Um das vollständige Bild des regionalen Wirtschaftskreislaufs zu erfassen, müssen neben der direkten Wertschöpfung auch indirekte und induzierte Effekte in die Betrachtung einfliessen:

  • Direkter Effekt: Umsätze und Wertschöpfung der lokalen Unternehmen selbst (z.B. Verkäufe von Einzelhandel, produzierendem Gewerbe, lokalen Dienstleistern).
  • Indirekter Effekt: Wirtschaftliche Aktivitäten bei regionalen Zulieferern und Dienstleistern, die durch die direkten Effekte angestoßen werden (z.B. Einzelhändler kauft bei regionalen Lebensmittelherstellern, Bauunternehmen bezieht Dämmstoffe bei lokalen Produzenten).
  • Induzierter Effekt: Wirtschaftliche Effekte durch Konsumausgaben der Beschäftigten aus direktem/indirektem Effekt (z.B. Verkäuferin des Einzelhändlers oder Arbeiter des Zulieferbetriebes geben ihren Lohn in lokalen Geschäften aus).
Umsatz und Bruttowertschöpfung über alle Warengruppen einer Stadt
Abbildung 10: In diesem Beispiel generieren Konsum und Folgeeffekte einen Gesamtumsatz von 574 Mio. €. Davon verbleiben rund 236 Mio. € – also 41 % – als regionale Bruttowertschöpfung, z.B. in Form von Einkommen, Gewinnen oder Steuern. © CIMA 

 

  1. Nutzung von Mastercard-Daten für neue Dimensionen in der Standortanalyse

Der steigende Wettbewerb zwischen Online- und stationärem Handel stellt Städte vor die Aufgabe, ihre Funktion als Versorgungs- und Begegnungsorte weiterzuentwickeln. Dazu braucht es verlässliche Daten über das tatsächliche Konsumverhalten vor Ort. CIMA Österreich und Mastercard stellen im Rahmen des cima.city.monitor erstmals anonymisierte, aggregierte Zahlungsdaten für kommunale Standortanalysen zur Verfügung – und bieten Stadtmarketingorganisationen damit ein intelligentes Analyseinstrument zur datenbasierten Standortanalyse.

Grundlage: Reale Zahlungsdaten mit hoher Aussagekraft

Das Tool basiert auf anonymisierten Transaktionsdaten, die sowohl Einheimische und in der Region ansässige Bürger:innen als auch in- und ausländische Tourist:innen umfassen. Die Daten stammen von Mastercard-Kund:innen und werden auf alle marktgängigen Kartenanbieter hochgerechnet. Damit lassen sich reale Kaufkraftströme und Konsummuster flächendeckend und detailliert abbilden.

Der cima.city.monitor ermöglicht unter anderem:

  • Transparente Analysen der Gesamtausgaben am Standort, differenziert nach lokalen und externen Kundengruppen
  • Differenzierte Auswertungen nach Branchen wie Handel, Gastronomie, Kultur, Freizeit, Dienstleistungen und Mobilität
  • Touristische Herkunftsanalysen, inklusive Ausgabenverhalten und Herkunftsländern von Tages- und Nächtigungsgästen
  • Darstellung der inländischen Besucherströme, z. B. nach Bundesländern, inklusive Ausgabenniveau
  • Verknüpfung mit sozioökonomischen und volkswirtschaftlichen Kennzahlen, für ein ganzheitliches Standortverständnis
Generierung von Smart Data durch Nutzung von Mastercard Daten
Abbildung 11: Darstellung der Herkunft inländischer Besucher:innen nach Bundesländern sowie deren durchschnittlichen Ausgaben pro Besuch. © CIMA

Fazit: Vom Datenmeer zur Steuerungsintelligenz – Smart Data als strategischer Kompass

Die Ära der isolierten Kennzahlen ist vorbei. Moderne Standortentwicklung erfordert ein systemisches Verständnis: Wie interagieren Tourismusströme mit dem Einzelhandel? Welche Flächen sind nicht nur leer, sondern warum? Und wie lässt sich urbane Attraktivität messen – jenseits von Umsatzstatistiken?

Smart Data transformieren Datenfluten in Steuerungswissen. Ob durch Mastercard-Zahlungsströme, Social Listening oder KI-basierte Prognosen – die Tools sind da. Doch ihr Potenzial entfalten sie nur, wenn Kommunen sie strategisch nutzen:

  • Als Frühwarnsystem, das Trends erkennt (z.B. sinkende Gastronomie-Besuche in bestimmten Vierteln).
  • Als Dialoginstrument, um Eigentümer mit konkreten Revitalisierungsszenarien zu überzeugen.
  • Als Planungsgrundlage, die nicht nur Symptome, sondern Ursachen adressiert – etwa durch Echtzeit-Daten zu Flächenkonkurrenz zwischen Lieferzonen, Parkplätzen und Aufenthaltsqualität.

Die Zukunft gehört Städten, die Daten nicht nur erheben, sondern in Handeln übersetzen. Denn Smart Data sind kein Selbstzweck – sie sind der Schlüssel zu resilienten, lebendigen Orten.

Roland-Murauer

Roland Murauer

Mag. Roland Murauer ist geschäftsführender Gesellschafter der CIMA Beratung + Management GmbH in Österreich, die er 1993 mitbegründet hat.
Das Unternehmen mit Sitz in Ried im Innkreis sowie seit 2023 mit einem weiteren Standort in Wien zählt zu den führenden Beratungsagenturen für Stadt-, Standort-, Immobilien- und Regionalentwicklung, sowohl im D-A-CH Raum als auch in weiteren mittel- und süd(ost)europäischen Ländern.
Neben seiner Tätigkeit bei der CIMA engagiert sich Roland Murauer als Vorstandsmitglied von Stadtmarketing Austria, insbesondere im Bereich des Netzwerkmanagements zu europäischen Partnerorganisationen.
In diesen Funktionen bringt er sein fundiertes Fachwissen aktiv in die strategische Weiterentwicklung urbaner Räume auf nationaler und europäischer Ebene ein.

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