Mehr Radverkehr hält Stadtzentren lebendig

16.09.2020
Gesellschaft, Wirtschaft

Studien belegen: Der Innenstadthandel profitiert von treuen Kunden auf zwei Rädern. Radverkehr bzw. Fahrradfreundlichkeit ist vielschichtig. Und braucht politischen Willen.

Amsterdam Radabstellplatz an einer Brücke
(c) Pixabay

Studien belegen: Der Innenstadthandel profitiert von treuen Kunden auf zwei Rädern. Radverkehr bzw. Fahrradfreundlichkeit ist vielschichtig. Und braucht politischen Willen. 

Im Grunde sind Innenstädte ja die perfekten Orte für Radfahrer. Man kommt staufrei bis vor die Haustür des Lokals oder des Geschäfts, hat immer einen Parkplatz und muss sich weder um Parkgebühren noch um ablaufende Parkscheine Gedanken machen.

Radfahrer beleben Innenstädte

Städte, die sich um Fahrradfreundlichkeit drübergetraut haben, profitieren in der Tat. Ein anschauliches Beispiel: Seit 2018 gibt es in der Innenstadt Madrids eine große Umweltzone, die weitestgehend Fußgängern, Radfahrern und E-Autos vorbehalten ist.

Neben einer enormen Reduktion der Schadstoffbelastung hatte das „Madrid-Central“-Projekt überraschende positive Folgen für den stationären Innenstadthandel, wie die „Forbes“ im März 2020 berichtete.

Auf der großen Shopping-Meile „Gran Via“ stiegen die Absatzzahlen um fast 10 Prozent im Jahresvergleich. Durch die Verkehrsberuhigung wagten sich offenbar auch wieder mehr Fußgänger in die Zone.

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Foto: Madrid, zentraler Platz „Puerta del Sol“

Dass Radfahrer eine hochinteressante Kundengruppe für den lokalen Handel darstellen, untermauerte auch eine Studie des österreichischen Umweltministeriums im Jahr 2010.

Damals erledigten etwa 30 Prozent der Österreicher ihre Einkäufe gelegentlich mit dem Rad. Eine Zahl, die bis heute gestiegen sein dürfte. Die Radfahrer kamen durchschnittlich auf 20 Euro Ausgaben pro Einkauf, während die Autofahrer bei 40 Euro lagen.

Allerdings: Die Radfahrer erwiesen sich als die treueren Kunden. „Fahrradfahrende Personen besuchen den lokalen Einzelhandel häufiger als PKW-Einkäufer.

Demnach versorgen sich mehr als 80% der fahrradnutzenden Personen in Österreich zumindest mehrmals wöchentlich in den Handelsgeschäften. Im Vergleich dazu kommen die durchschnittlichen PKW-Nutzer auf 68% im selben Zeitraum.“

2016 belegte dann der Europäische Radfahrer Verband in der Studie „Shopping by bike: Best friend of your city center“, dass in vielen Städten Europas – von Großbritannien bis Frankreich, von Dänemark bis in die Schweiz – die Wertschöpfung durch radfahrende Kunden bereits über jener der autofahrenden Kunden liegt.

Lockdown befeuerte Radverkehr

Gerade während des Lockdowns wurde es in vielen Städten dieser Welt spürbar, welch großes Potenzial im Rad als Transportmittel für die Stadt schlummert.

Temporäre Radstreifen, sogenannte „Pop-Up“-Radwege, entstanden im Frühling 2020 in vielen Metropolen, die bis dahin nicht mit Fahrradfreundlichkeit bestachen. Berlin, Bogotà oder Paris etwa. Brüssel hat die City überhaupt zur Vorrangzone für Fußgänger und Radfahrer erklärt. Autos dürfen sich nur mit maximal 20 km/h durch die Innenstadt bewegen.

Zudem werden nun häufig Fördergelder fürs Radfahren locker gemacht. 50 Euro für Reparaturen und –Services pro Fahrrad schießt etwa Frankreich zu. Großzügig unterstützt auch Italien die Zweiradfahrer. Mit bis 500 Euro fördert der Staat nun bei einer Neuanschaffung eines Fahrrads oder E-Scooters.

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Foto: Pop up-Radweg Bogotá

Auch in Österreich winkt mehr Geld fürs Radfahren. Im Rahmen der Aktion klimaaktiv mobil werden E-Bikes – bei Anschaffung von mindestens fünf Stück – mit je 350 Euro gefördert, Lastenräder mit bis zu 850 Euro und überdachte Radabstellplätze mit 400 Euro.

Im vor dem Sommer präsentierten Bundes-Budgetplan sind nun drei Mal so viele Mittel wie bisher für die Schaffung von Radinfrastruktur reserviert. In Summe rund 40 Millionen Euro.

Für die Radlobby Österreich ist das ein Schritt in die richtige Richtung. „Bisher wurde ein Euro pro Kopf und Jahr für den Radverkehr ausgegeben. Mancherorts sogar nur ein halber Euro“, sagt Radlobby-Sprecher Roland Romano. „Jetzt wachsen die Ausgaben immerhin auf viereinhalb bis fünf Euro.“

Lernen von den weltbesten Fahrradstädten

Mehr Geld ist also da. Aber wie sollen es die Städte investieren, um den größtmöglichen Nutzen für alle Beteiligten daraus zu ziehen?

Hier empfiehlt sich ein Blick auf die Best Practice-Beispiele aus aller Welt. Der Maßstab dafür ist der Copenhagenize Index. Quasi die jährlich ermittelte Rangliste der fahrradfreundlichsten Citys weltweit.

An der Spitze wechseln sich seit Jahren Kopenhagen und Amsterdam ab. In Kopenhagen fahren sogar 65 Prozent der Bewohner mit dem Rad zur Arbeit oder Schule. In Amsterdam liegt der Anteil an täglichen Radfahrern bei 58 Prozent. Beide Städte pushten mit einem Mix an infrastrukturellen Maßnahmen ihre Fahrradfreundlichkeit.

„Kopenhagen etwa ist berühmt für seine Radschnellwege quer durch die Stadt“, sagt Christian Gratzer, Sprecher des VCÖ. So werden diametral entgegengesetzte Vororte der Stadt schnell und sicher miteinander verbunden. Die Ampelschaltungen sind smart, sodass man auch als Radfahrer in den Genuss einer Grünen Welle kommen kann.

Amsterdam weist zum Teil Zweirichtungsradwege auf, die mit mindestens 4,5 Metern Breite genug Platz zum Überholen lassen.

Rote Markierungen, bauliche Trennungen (vor allem auch in Kreuzungsbereichen), eine übersichtliche Radwege-Beschilderung und monofunktionale Straßen, die keinen Platz für Parker verschwenden sondern in erster Linie dem Auto- und Radfließverkehr vorbehalten sind, sind nur ein paar Eckpunkte des funktionierenden Innenstadt-Radverkehrs in Amsterdam.

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Foto: Amsterdam

Österreich: So geht Fahrradfreundlichkeit

Die Radlobby Österreich hat längst infrastrukturelle Empfehlungen für mehr Fahrradfreundlichkeit in Österreichs Städten definiert. Die da wären:

  1. Ein durchgängiges, feinmaschiges Radverkehrsnetz, das Quellen und Ziele verbindet sowie die Flüssigkeit des Radverkehrs fördert. 
  2. Die Umverteilung des öffentlichen Verkehrsraums im Sinne von Fuß- und Radverkehr.
  3. Breite Radwege, sodass ein Überholen und Nebeneinanderfahren sicher möglich ist.
  4. Radstreifen sind nur unter bestimmten Umständen zielführend. Besser: baulich getrennte Radwege.
  5. Die Beschilderung für den Radverkehr muss durchgängig, einheitlich und gut sichtbar sein.
  6. Gute Radverkehrsführung durch direkte Verbindungen. Stichwort: Stadt der kurzen Wege.
  7. Multimodale Wegeketten mit geeigneten Schnittstellenangeboten für Rad- und öffentlichen Verkehr an Knotenpunkten.
  8. Radabstellanlagen auf Straßen und Plätzen, im Wohnbau und bei Geschäfts- und Nutzbauten. Sicher, witterungsgeschützt und ausreichend vorhanden. 
  9. Kontinuierliche Evaluierung und Benchmarking der Rad-Infrastruktur anhand von objektiven Kennzahlen.
  10. Ausreichende Budget- und Personalressourcen der Stadtverwaltung für Radverkehrsmaßnahmen.

„Um Radverkehr wirklich attraktiv gestalten zu können ist also ein Radverkehrsbudget von mindestens 30 Euro pro Einwohner und Jahr nötig“, so Radlobby-Sprecher Romano.

Gut unterwegs: Best Practice aus Österreich

Der VCÖ nahm im Rahmen einer Analyse die Fahrradfreundlichkeit der österreichischen Städte unter die Lupe. Mit 20 Prozent Radverkehrsanteil sind Bregenz und die Stadt Salzburg Österreichs Spitzenreiter beim Radfahren. Schlusslicht bei den Landeshauptstädten ist Eisenstadt mit nur zwei Prozent.

Als Vorzeigebeispiel nennt VCÖ-Sprecher Christian Gratzer Salzburg, „das seinen Rad-Anteil bis 2025 noch weiter steigern will, auf 24 Prozent.“ Wichtig hierfür sei der Ausbau von Tangentialen durch die Stadt, heißt: schnelle Nord-Süd und Ost-West-Verbindungnen.

Konkret plant die Stadt bis in 5 Jahren 12 Radialrouten, 3 Ringrouten und eine Nord-Süd-Verbindung für Radfahrer. Der berühmte Salzburger Schnürlregen tut der Radfahrfreude schließlich keinerlei Abbruch.

„Das ist ein Mythos. Regenhäufigkeit und Radfahranteil haben wenig miteinander zu tun, das beweisen norddeutsche Städte wie Bremen mit einem Radanteil von 25 Prozent.“

Positiv sticht freilich auch Graz hervor, das in den nächsten 10 Jahren 100 Millionen Euro in die Zielsetzung „Österreichs schnellstes Radschnellwegenetz“ investieren will.

In einem Ballungsraum wie der steirischen Landeshauptstadt ist dies auch wesentlich für die Luftgüte. „Immerhin ist in Österreich die Hälfte der täglichen Autofahrten ist kürzer als fünf Kilometer“, sagt Gratzer.

Auch im ländlichen Raum Österreichs wird das Rad als Verkehrsmittel entdeckt.

Vorarlberg hat früh begonnen, den Radverkehr zu forcieren. Im Bundeslandschnitt werden hier schließlich 16 Prozent der Alltagswege am Drahtesel bestritten, doppelt so viele wie im Österreich-Schnitt!

Neben der Landeshauptstadt Bregenz tut sich hier zum Beispiel Lustenau hervor – mit einem umfassenden Radkonzept sowie Zusatzanreizen wie städtische Rad-Förderprogramme oder „Fahrradlounges“. Darüber hinaus wird seit Jahren konsequent an der Radwege-Vernetzung von Vorarlbergs Städten gearbeitet.

Ebenfalls ein ländliches Best Practice-Beispiel: Die steirische 12.000-Seelen-Stadt Weiz. Dort installierte man kurzerhand ein eigenes Citybike-System, weil Flexibilität und Mobilität auch in einer Kleinstadt von Bedeutung sind.

„WeizBike“ wurde 2016 mit dem VCÖ-Mobilitätspreis Steiermark ausgezeichnet. Das Fahrradleih-System verfügt über elf Stationen und 80 Fahrräder, davon 20 Elektro-Fahrräder. Die Räder stehen Personen, die im Besitz der Weizcard Deluxe sind, täglich 24 Stunden zur Verfügung.  

Fazit

Radfahrer sind für sich leerende Innenstädte eine hochinteressante Kunden-Zielgruppe. Sie erleben im Vergleich zu Autofahrern das Einkaufen in der City als weniger aufwändig und kommen deshalb häufiger.

Jedoch brauchen sie fahrradfreundliche Wege, auf denen sie sicher und ohne Umwege von Umlandgemeinden oder dem Speckgürtel in die Innenstädte gelangen können. Gute Radinfrastruktur – von gesicherten Fahrradstraßen und Radhighways über Abstellplätze und Radboxen bis hin zu Vorrangzonen – ist also ein Gebot der Stunde.

Gerade im Corona-Lockdown hat sich weltweit gezeigt, dass wir auf ein goldenes Zeitalter im städtischen Radverkehr zusteuern. Und dass die Städte auch flexibel genug sein können, darauf entsprechend zu reagieren.

Titelbild: (c) kirkandmimi auf pixabay.com

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