Der Möglichkeitsraum Stadt

27.11.2025
Stadtentwicklung

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(c) AI gen. by playground/Goiginger

Wer heute eine Stadt regiert, führt mehr als eine Verwaltung. Er oder sie navigiert durch gesellschaftliche Verdichtungen, ökonomische Brüche und ökologische Kipppunkte. Städte sind längst nicht mehr nur gebaute Räume. Sie sind politische, soziale und kulturelle Systeme im Dauerzustand der Verhandlung. Städte zeigen, was ist und lassen ahnen, was sein könnte.

Die Fragen, die Bürgermeister:innen heute erreichen, sind selten einfach:

  • Wie beleben wir eine Innenstadt, die vom Handel nicht mehr allein getragen wird?
  • Wie gestaltet man Verdichtung, ohne Enge zu erzeugen?
  • Wie erzählt man Klimawandelanpassung, ohne dass sie wie Verzicht klingt?

Für viele dieser Fragen gibt es keine schlüsselfertigen Antworten – aber es gibt Institutionen, die neue Antworten entwickeln: die Stadtmarketingorganisationen vor Ort. Nicht als Eventagenturen, sondern als kuratorische Instanzen einer Stadt, die mehr sein will als funktional verwaltet.

Vom Hochglanz zur Haltung

Wenn man über Stadt spricht, dann redet man nicht über Beton, Gebäude und Straßenzüge allein. Stadt ist Atmosphäre. Stadt ist Begegnung. Stadt ist Identität. Städte sind Organismen – lebendig, widersprüchlich, voller Schichten und Geschichten. Sie sind Räume, die gepflegt, gehegt und entwickelt werden wollen.

Wer Stadtmarketing ernst nimmt, weiß: Die Aufgabe der Stadtmarketingverantwortlichen ist nicht, Hochglanz zu produzieren, sondern Identität sichtbar zu machen, Atmosphären zu kuratieren und Zukunft zu gestalten. Als strategischer Übersetzer zwischen Verwaltung, Wirtschaft, Kultur und Zivilgesellschaft.

Denn die große Stärke des Stadtmarketings liegt nicht in der Zuständigkeit, sondern in der Verbindung: Es bringt zusammen, was sonst oft nebeneinander existiert: Verwaltung und Zivilgesellschaft, Wirtschaft und Kultur, Beteiligung und Gestaltung.

Zeitgemäße Stadtmarketingverantwortliche verstehen sich als Kurator:innen der Stadt. Sie entdecken verborgene Schätze: von historischen Orten über engagierte Initiativen bis hin zu Alltagskulturen. Diese brauchen Aufmerksamkeit und Ressourcen, um sich weiterentwickeln zu können. Sie pflegen fragile Kunstwerke. Und sie stellen Zusammenhänge her, die vorher unsichtbar waren. Eine Verbindung des Einzelnen zum Ganzen.

Stadtmarketing sieht die Schule nicht nur als Bildungsort, sondern als Motor des urbanen Lebens. Den entsiegelten Platz nicht nur als Maßnahme, sondern als Einladung. Die Zwischennutzung nicht nur als Lückenfüller, sondern als Identitätsarbeit.

Diese kuratorische Arbeit unterscheidet das Stadtmarketing von klassischen Verwaltungslogiken. Sie ist nicht linear, sondern lebendig, suchend, verbindend. Und ergänzt damit die Arbeit der Verwaltung in wichtigen Feldern der Stadtentwicklung. Eine Annäherung an drei Beispielen:

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Grünräume in der Dichte sind keine Kür, sondern Pflicht. Zum Beispiels kleine Parks, begrünte Dächer, Schwammstadtbeete. (c) Unsplash/Mauricio Arias

1. Verdichtung: Von der Rechenaufgabe zum Zukunftsprojekt

Verdichtung ist in vielen Städten zur Realität geworden. Mit allen Spannungen, die daraus entstehen. Oft droht sie, zur rein baulichen Frage zu verkommen: Wie viele Kubikmeter Wohnraum lassen sich auf einem bestimmten Grundstück unterbringen? Verstärkt wird dieser Trend häufig durch Immobilienentwickler, die das – richtige – Argument der Verdichtung ins Feld führen, um eine maximale Rendite auf kleinstem Raum zu erwirtschaften.

Stadtmarketing aber fragt anders:

  • Wie kann Verdichtung gestaltet werden, ohne Atmosphäre zu verlieren?
  • Wie entstehen Orte, an denen Menschen nicht nur wohnen, sondern leben wollen?

Wer so fragt, zeig breitere Lösungen auf.

  • Mischnutzung ist der Schlüssel: Wohnen, Arbeiten, Freizeit und Kultur müssen zusammengedacht werden.
  • Erdgeschoßzonen prägen die Atmosphäre der Straße. Sie sollen aktive attraktive Nutzungen aufnehmen. Diese Nutzungen sind nicht beschränkt auf den Handel, sondern dürfen viel breiter gedacht werden.
  • Grünräume in der Dichte sind keine Kür, sondern Pflicht – kleine Parks, begrünte Dächer, Schwammstadtbeete.

Ein gut kuratiertes ISEK (Integriertes Stadtentwicklungskonzept) wird damit nicht zum Pflichtdokument, sondern zum Werkzeug für Verständigung. Für eine Stadt, in der Mischnutzung – Wohnen, Arbeiten, Kultur – nicht als Kompromiss, sondern als Qualität begriffen wird.

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Ein Wochenmarkt wird zur Bühne für Begegnungen und lokale Kultur. (c) generated by playground/Gottfried Goiginger

2. Stadtraum: Bühne des Alltags, nicht Restfläche der Planung

Der öffentliche Raum ist der sichtbarste Ausdruck einer Stadtgesellschaft – und zugleich ihr sensibelster. Er ist Marktplatz, Klimapuffer, Spielort, Transitstrecke und Treffpunkt in einem. Doch allzu oft wird er eindimensional behandelt: mal als Verkehrsfläche, mal als Aufenthaltszone, mal als Klimamaßnahme.

Stadtmarketing aber denkt mehrdimensional und konkret. Und die besten Beispiele stammen oft von Akteuren der Stadt selbst. Während das Stadtmarketing hier nur „Geburtshelfer“ ist:

  • Ein entsiegelter Platz ist nicht nur ein technisches Projekt, sondern ein soziales Versprechen.
  • Eine modulare Möblierung schafft nicht nur Flexibilität, sondern Aneignung.
  • Ein Wochenmarkt wird zur Bühne für lokale Kultur.
  • Eine temporäre Sperre wird zur Erprobungsfläche für neue Nutzungen.
  • Eine veränderte Wegeführung wird zur Bühne für Begegnung.

Hier wird sichtbar, was Stadtmarketing leisten kann, wenn es mitsprechen darf: Es verknüpft das Technische mit dem Atmosphärischen – und schafft Räume, die mehr sind als ihre Funktion.

3. Klimawandelanpassung: Zukunft sichtbar machen

Der Klimawandel zwingt Städte zum Handeln, doch er bietet auch die Chance, neue Identität zu schaffen. Begrünte Dächer, Schattenplätze, Trinkbrunnen oder Schwammstadtbeete sind nicht nur Technik, sie sind Symbole der Zukunftsfähigkeit.

Im Stadtmarketing werden diese Maßnahmen erzählbar gemacht:

  • Ein Schwammstadtbeet ist nicht nur eine Ingenieurslösung, sondern eine Geschichte über eine Stadt, die vorbereitet ist.
  • Ein Brunnen ist nicht nur Infrastruktur, sondern ein sozialer Treffpunkt. Klimawandelanpassungsmaßnahmen wird so Teil des Stadtimages – positiv, greifbar, atmosphärisch.

Indem Stadtmarketing solche Maßnahmen erzählerisch auflädt, verankert es sie im kollektiven Bewusstsein. Nicht als Vorschrift, sondern als Selbstverständnis. Damit wird aus Klimawandelanpassung keine Zumutung, sondern ein Gewinn an Lebensqualität und ein Teil der städtischen Identität.

In diesen großen Zukunftsthemen zeigen Stadtmarketingorganisationen ihre Stärke: Sie initiieren Beteiligungsprozesse, die über Anhörungen hinausgehen, machen Zielkonflikte sichtbar, bevor sie eskalieren und helfen, einen gemeinsamen Qualitätsbegriff für das Leben in der Stadt zu entwickeln

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Über 80 Mitglieder zählt der Dachverband Stadtmarketing Austria zurzeit. Viele berichten, dass die hier erhaltenen Impulse konkrete Prozesse angestoßen haben.© Michael Gsaller

Der Dachverband als Verstärker

Und doch: Diese Arbeit bleibt oft unsichtbar. Stadtmarketingorganisationen agieren zwischen den Zuständigkeiten, arbeiten quer zur Verwaltungslogik. Ihre Erfolge sind schwer in Zahlen zu messen, ihre Wirkung oft indirekt. Was ihnen fehlt, ist weniger Motivation als vielmehr Rückendeckung, Austausch, Verstärkung.

Hier beginnt die Rolle des Dachverbandes Stadtmarketing Austria. Nicht als Schaltzentrale, sondern als Verstärker eines Berufsbildes, das gerade erst beginnt, sich neu zu definieren.

Der Verband vereint über 80 Städte in Österreich und Südtirol. Er schafft Räume des Austauschs, der kollektiven Intelligenz, der Inspiration. Dieser Blog hier ist mittlerweile der am meisten gelesene für Themen rund um atmosphärische Stadtraumgestaltung.

Und die Formate des Verbandes, von der DenkwerkStadt bis zu Fachstudienfahrten zu Orten, die sich intensiv mit Fragen der Gegenwart und Zukunft beschäftigen, sind keine klassischen Fachkonferenzen, sondern Laboratorien für neue urbane Verständigung. Sie wirken wie eine geistige Stadtküche: Zutaten aus vielen Disziplinen kommen zusammen, manchmal überraschend, manchmal widersprüchlich.

Doch genau darin liegt die Kraft. Es entstehen Impulse für eine lebendige Zukunft, die in der Praxis auf Resonanz stoßen. Viele der Mitgliedsstädte berichten, dass diese Impulse konkrete Prozesse angestoßen haben. Von neuen Beteiligungsformaten bis zu innovativen Freiraumkonzepten.

Kein Rezept, aber ein Rezeptionsvorsprung

In einer Zeit, in der viele Städte auf Sicht fahren, bietet der Verband keine Rezepte. Aber er fördert einen Rezeptionsvorsprung:

Er zeigt, was möglich ist, wenn man Stadt nicht nur als Aufgabe, sondern als Einladung versteht. Er stärkt jene, die auf leisen Wegen Wirkung entfalten. In Zwischennutzungen, in Beteiligungsformaten, in Fragen, die nicht immer zu Antworten führen, aber zu besseren Gesprächen.

Denn gute Stadtentwicklung beginnt oft dort, wo man aufhört, alles allein lösen zu wollen. Und anfängt, Räume zu öffnen. Für andere Perspektiven, andere Sprachen, andere Ideen.

Städte sind keine Maschinen und keine Unternehmen. Sie sind Organismen. Sie brauchen Pflege, Sinn und Zuwendung. Und sie brauchen Menschen, die das Unsichtbare sichtbar machen. Im Kleinen wie im Großen. Stadtmarketing kann genau das leisten. Und Stadtmarketing Austria hilft dabei, dass es gelingt.

 

Daniela Limberger, Vizepräsidentin des Dachverbandes Stadtmarketing Austria

Daniela Limberger

Geschäftsführerin der Agentur für Standort und Wirtschaft Leonding GmbH sowie Vizepräsidentin des Dachverband Stadtmarketing Austria.

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Weil wir gezeigt haben, dass „Miteinander“ mehr bringt. Im Miteinander machen Sie für Ihren Standort das Mögliche zum Machbaren. Wir unterstützen Sie dabei mit Know-how, das sich in der Praxis bewährt hat, mit Weiterbildung, die neue Perspektiven eröffnet sowie mit Erfahrungsaustausch, der Sie in Ihrer Rolle stärkt.

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