Stadtmarketing als Lebensraum-Manager

12.07.2022
Wirtschaft

Suedtirol_cHeinz-Mitteregger

Der neue Tourismus-Masterplan hebt Lebensraum-Management über das Destinationsmarketing. Was das angesichts der organisatorischen Strukturen in Städten bedeutet und warum Stadtmarketing und dessen KompetenzträgerInnen maßgeblich an Bedeutung gewinnen wird, zeigen wir in diesem Beitrag.

 

Die Zeiten, in denen in touristischen Städten und Regionen die Interessen der touristischen Leistungsträger im Mittelpunkt standen, neigen sich dem Ende zu.

Spätestens in den Lockdownphasen der Pandemie wuchs allgemein das Verständnis dafür, dass die Bedürfnisse der Menschen, Einheimischen und Gäste ebenso bedient werden müssen, um einen Lebensraum attraktiv zu halten.

 

Paradigmenwechsel: Destination wird Lebensraum

 

Lebensraum-Management

Ortschaft Vahrn in Südtirol (c) Heinz Mitteregger

 

Im neuen touristischen Masterplan für Österreich, dem „Plan T“, schrieb man diesen Paradigmenwechsel im zuständigen Ministerium schon 2019 fest. Das Grundprinzip darin ist Nachhaltigkeit.

„Es geht nicht in erster Linie um Tourismusdestinationen, die die Ansprüche unserer Gäste erfüllen, sondern um qualitätsvolle Lebensräume, in denen sich Gäste und Bevölkerung gleichermaßen wohlfühlen – sei es in der Stadt oder am Land“,

so formulierte die damalige Ministerin Elisabeth Köstinger die Peilrichtung des Plan T.

 

Plan T: Masterplan für Tourismus. Quelle: Bundesministerium für Landwirtschaft, Regionen und Tourismus.

 

Das reine Destinationsmarketing ist also durch tiefgreifendes Lebensraum-Management zu ersetzen. In österreichischen Städten gibt es für diese beiden Bereiche derzeit noch getrennte Strukturen.

Auf der einen Seite die städtischen Tourismusorganisationen, die mit ihren Botschaften potenzielle und bestehende Gäste von außen adressieren. Auf der anderen Seite die Stadtmarketing-Organisationen, die ihren Fokus auf Standort- und Lebensqualität für die Bevölkerung legen.

 

Andere Historie, andere Rahmenbedingungen

Wesentlich älter als das Stadtmarketing im Allgemeinen und ein historisch gewachsenes Schwergewicht, ist in Österreich freilich der Tourismus. Tourismusorganisationen sind meist Körperschaften öffentlichen Rechts, können weitgehend unabhängig agieren, sind mit öffentlichen Geldern und vor allem den Einnahmen aus der Tourismusabgabe und den Ortstaxen finanziell gut ausgestattet.

Zudem ist der Tourismus in Österreich institutionell bestens verankert, bis hinauf ins Ministerium bzw. Staatssekretariat. Dagegen sind die Stadtmarketingorganisationen eine noch junge Struktur, die derzeit oft nur als Teilorganisation des Tourismus’ agieren. Mitunter als städtische GmbHs an denen die jeweilige Tourismusorganisation Anteile hat.

Zu Unrecht wird der Fokus auf den Tourismus gelegt, wie statistische Zahlen belegen. Denn wenn eine Stadt lebendig sein soll, muss sie auch abseits des Touristenaufkommens gut funktionieren.

 

Vitale Städte durch Einheimische

Ein Indikator dafür ist die Kaufkraft-Eigenbindung, also die Kaufkraft der Einheimischen. Ein touristischer Umsatzanteil von 35 Prozent wie im Touristenhotspot Salzburger Altstadt (erhoben in dieser Cima-Studie) klingt zwar gut, hatte aber nach den Lockdowns einen viel schwerwiegenderen Impact auf die Leerstandsentwicklung und somit auf den Lebensraum wie in Städten mit weniger Touristen und mehr Kaufkraft-Eigenbindung.

In der Regel liegt sie über 80 Prozent, in Graz und Klagenfurt (wie aus dieser Dokumentation hervorgeht) gar bei 88 Prozent.

 

Attraktivierung von Städten für alle Dialoggruppen

Was Tourismus und Stadtmarketing eint: Beide wollen Reisemotivationen in die Stadt auslösen, also Menschen in die Stadt bringen. Mal werden Reisende aus anderen (Bundes-)Ländern angesprochen, mal Menschen aus anderen Stadtteilen oder Nachbargemeinden. Fakt ist aber auch, dass ein gutes Angebot beide Gruppen gleichermaßen begeistern kann.

Allerdings ist das proaktive Entwickeln von Produkten und das atmosphärische Gestalten der Stadt per Definition ein Kernthema des Stadtmarketings (siehe die vom Dachverband Stadtmarketing Austria entwickelten Aufgabenfelder).

Tourismusorganisationen dagegen beschränken sich in vielen Städten bis heute darauf, fremdfinanzierte und bereits bestehende Angebote – etwa: Sehenswürdigkeiten, Kulturhotspots, Sportereignisse etc. – zu vermarkten.

Es herrscht also ein gewisses Ungleichgewicht zwischen empfundener und realer Bedeutsamkeit der beiden Strukturen, insbesondere jetzt, da ein umfassend gedeihlicher Lebensraum als Ideal definiert wurde. „Eine intensive Beschäftigung mit den Marken der Stadt und ihrer Identität, entsprechende Netzwerke, Instrumenten und den geeigneten Mindsets dafür, finden sich eindeutig beim Stadtmarketing.

Die Verantwortlichen agieren gesellschaftspolitisch, während der Tourismus traditionell eher die Vermarktungsbrille aufhat“, meint auch Edgar Eller, Vizepräsident des Verbandes Stadtmarketing Austria und Geschäftsführer der Beratungsagentur Sentum.

 

STADTMARKETING: Kompetenzzentrum für den Lebensraum Stadt

Stadtmarketing fokussiert auf eine generelle Attraktivierung der Stadt im Sinne einer Standortaufwertung, neben Touristen sollen auch Arbeitskräfte, Studenten, Unternehmen und Investoren angesprochen werden.

 

Lebensraum-Management

Stadtarbeitsplatz in Klagenfurt mit kostenlosem WiFi, Strom und Café (c) Inga Horny

 

Eller sieht das Stadtmarketing deshalb als genuines Kompetenzzentrum für die Stadt, das dem Tourismus Themen zur Hand geben kann, die er kommunizieren kann. Eine Umkehr der strukturellen (und finanziellen) Hierarchie gewissermaßen, die in manchen Teilen unseres Landes tatsächlich bereits gelebte Realität ist.

 

Alternativmodell Vorarlberg

In Vorarlberg etwa ist keine verpflichtende Tourismusabgabe für Betriebe im Gesetz verankert. Jede Gemeinde kann selbst definieren, ob sie sich als Tourismusgemeinde sieht und eine entsprechende Abgabe einhebt. Mit der Folge, dass Nicht-Tourismusgemeinden für Betriebsansiedelungen oft eher in Erwägung gezogen werden, wie Eller ausführt.

Die finanzielle Gewichtung ist also von Grund auf anders. Insofern kann man organisatorisch mit dem gefühlten Gap zwischen Destination und Lebensraum viel flexibler umgehen.

 

Beispiel: Feldkirch als Lebensraum

Das wiederum bringt es mit sich, dass im Ländle „die Touristen als eine Anspruchsgruppe von mehreren gesehen werden und entsprechend sind auch die Strukturen in den Städten gebaut. Der Tourismus ist dort generell ein Teil des Stadtmarketings“, erklärt Eller, der selbst viele Jahre lang der Stadtmarketing & Tourimus Feldkirch GmbH vorstand, einer der ältesten Stadtmarketing-Organisationen Österreichs.

Die in den 90ern gegründete Feldkircher Werbe- und Tourismus GmbH, die ursprünglich für Veranstaltungsorganisation, Tourismuscounter, Einkaufsgutscheine und Betreuung der Mitglieder der Werbegemeinschaft und des Tourismusvereines zuständig war, wurde 2008 neu strukturiert und um die Arbeitsfelder Citymarketing und Standortmarketing erweitert.

Lebensraummanagement der frühen Generation quasi, das seither konsequent in die Marke der Stadt einzahlt, wie auch dieser Imagefilm veranschaulicht:

 

Quelle: YouTube-https://www.youtube.com/watch?v=2mCpC5jiQ8U

Beispiel: Kooperation in Klagenfurt

In den restlichen Bundesländern Österreichs gilt die für die Mehrheit der Betriebe eine verpflichtende Tourismusabgabe, die den Tourismus – über weite Teile von tourismusfernen Betrieben – mit großen Volumina ausstattet und die Zusammenarbeit auf Augenhöhe mit dem Stadtmarketing oft unnötig erscheinen lässt.

Eine Ausnahme bildet Klagenfurt am Wörthersee. Hier wurde in den letzten beiden Jahren ein großes Kooperationsprojekt zwischen Tourismus und Stadtmarketing realisiert. Erstmals außerhalb Vorarlbergs machen in Klagenfurt beide Institutionen online gemeinsame Sache und nutzen das wechselseitige Know-how.

Ein Jahr Vorlaufzeit mit der Definition von gemeinsamen „Buyer-Personas“ und der Frage „Welchen Vorteil haben die Kunden“ führten zum gemeinsamen, maximal serviceorientierten Online-Auftritt auf www.visitklagenfurt.at.

Die so genutzten Synergien sind kosteneffizient und zeitgemäß. Hunderte laufend aktualisierte Blog-Artikel und 550 Seiten decken die Themen Sport, Kultur, Kulinarik, Handel, Gastro, Handwerk, Mobilität und Freizeit ab.

„Der Zeitpunkt war günstig – der Tourismus brauchte einen Relaunch der Seite und das neu gegründete Stadtmarketing eine digitale Heimstätte. Somit war klar, dass wir diesen Schritt gemeinsam gehen“, erklärt Tourismus-Geschäftsführer Helmuth Micheler.

 

Lebensraum-Management

Quelle: https://www.visitklagenfurt.at/de/

Fazit

Weg vom Vermarkten von Destinationen, hin zur Schaffung von wertigen Lebensräumen. Der neue touristische Masterplan Österreichs verschiebt die Prioritäten im Managen von Städten maßgeblich.

Das bringt historisch gewachsene, strukturelle Ungleichgewichte zum Vorschein. Da die finanziell und institutionell bedeutenden Tourismusorganisationen, deren Aufgabe es ist, vorhandene Angebote einer Destination zu vermarkten. Dort die vergleichsweise jungen Stadtmarketingorganisationen, die geschaffen wurden, um den Lebensraum Stadt proaktiv unter Einbeziehung aller Dialoggruppen zu attraktivieren.

Für Anforderungen des Lebensraummanagements bringen Stadtmarketing-Organisationen von Haus aus die maßgenauen Instrumente, Netzwerke und den nötigen Mindset mit. Auf die Dringlichkeit, aber auch die Chancen einer respektvollen Zusammenarbeit zwischen Tourismus und Stadtmarketing soll in diesem Text hingewiesen werden.

Titelfoto © Heinz Mitteregger

 

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Inga Horny

Präsidentin Dachverband Stadtmarketing Austria | Geschäftsführerin Klagenfurt Marketing GmbH

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