Warum wir reisen. Und was Best Practices aus Norwegen mit Leonding zu tun haben

30.06.2025
Gesellschaft, Innenstadtbelebung

Oslo Den Norske Opera & Ballett (c) Daniela Limberger
(c) Daniela Limberger

Es gibt viele Gründe, warum Menschen reisen. Wir suchen Abwechslung, Abstand oder Inspiration. Manchmal will man etwas Neues erleben, oder man will sich selbst begegnen. Wir reisen aber auch, um zu lernen. Um zu verstehen, wie Menschen, die in anderen Städten leben, denken und handeln und warum und wie Städte wachsen und sich weiterentwickeln. Wir spüren, dass wir, wenn wir nicht regelmäßig über den Tellerrand schauen, den Weitblick verlieren. Wir leben in einer Zeit, in der Städte nicht nur verwaltet, sondern immer wieder neu erfunden werden müssen. Daher war unsere Fachstudienreise zu Best Practices nach Norwegen, konkret nach Oslo und Drammen, viel mehr als ein beruflicher Pflichttermin.

Sie war eine Erinnerung daran, warum wir tun, was wir tun. Warum wir weiterdenken müssen, auch wenn uns der Alltag immer wieder einholt und wir uns diesen Freiraum sozusagen „stehlen müssen“. Wir sollten das aber viel öfter tun, weil Stillstand keine Option ist wenn sich rund um uns alles verändert.

Die Erde dreht sich weiter

Unsere Städte verändern sich. Sie sind kein statisches Gebilde, sondern lebendige Organismen: Sie wachsen, schrumpfen, vernetzen sich neu. Sie spiegeln unsere Haltung wieder und man muss sich der Frage stellen, inwieweit wir bereit sind, Verantwortung zu übernehmen für Raum, Klima und Mensch und sie mitzugestalten. Klimaziele, neue Formen des Zusammenlebens, die Bedürfnisse der nächsten Generation: sie machen nicht halt, weil wir noch keine Antwort haben. Sie fordern uns heraus, zu handeln. Wir leben in einer Zeit, in der Städte nicht mehr einfach verwaltet, sondern immer neu erfunden werden müssen.

Auch darum reisen wir. Nicht, weil wir Abwechslung brauchen, sondern, weil wir Orientierung suchen. Das ist nicht immer bequem, aber immer notwendig. Denn wenn wir über Stadt nachdenken, über Klimastrategien, über Quartiersentwicklung oder Aufenthaltsqualität, dann müssen wir eines begreifen: Es gibt nicht die eine Lösung, aber es gibt Orte, an denen gute Fragen gestellt werden.

Oslo ist so ein Ort. Und Drammen auch. Die norwegische Hauptstadt hat sich in den letzten zwei Jahrzehnten neu erfunden. Radikal. Mutig. Mit Konsequenz. Und mit dem klaren Ziel: Wirtschaftswachstum und Klimaschutz nicht als Gegensätze zu denken, sondern als sich gegenseitig befeuernde Prinzipien.

Klimastrategie Oslo: Zwischen Vision & Konsequenz

Zunächst hatten wir Gelegenheit, uns mit den Verantwortlichen der Oslo Climate Strategy auszutauschen. Sie arbeiten mit einem eigenen Klima-Budget, rechnen konkrete Projekte gegen klare Ziele – und das mit beeindruckender Konsequenz. Es wird nicht nur geredet – es wird umgesetzt. Es gab eine klare Aussage: Die Zukunft entscheidet sich nicht an Absichtserklärungen, sondern an Budgets. Oslo hat ein Klima-Budget eingeführt – konkrete Zahlen, konkrete Ziele, konkrete Maßnahmen.

Stama Team in Oslo
TeilnehmerInnen der STAMA-Delegation mit den Verantwortlichen der Oslo Climate Strategy (c) STAMA Austria

Das klingt zwar sehr technokratisch, für mich hat es sich aber so dargestellt, dass dies der Unterschied zwischen wollen und tun ist. Dabei geht es nicht nur um Energie oder Bauprojekte – auch die Mobilität ist voll in dieses Budget integriert. Jede Maßnahme im Verkehrsbereich, sei es der Ausbau von Radwegen, der Rückbau von Parkplätzen oder die Umstellung der Busflotte auf emissionsfreien Betrieb, wird bilanziert und mit CO₂-Werten hinterlegt. Es wird nicht „ein bisschen“ in nachhaltige Mobilität investiert – es wird entschieden, gerechnet und umgesetzt. Das Klima-Budget ist dabei fest im städtischen Haushalt verankert.

Beeindruckt hat mich auch, wie sichtbar diese Haltung im Stadtbild wird. Die Straßen der Innenstadt gehören den Menschen – nicht den Autos. Wer in Oslo unterwegs ist, spürt: Hier wurde nicht gegen etwas entschieden, sondern für etwas. Für mehr Raum, für eine leisere Stadt, für Luft, die man wirklich einatmen will. Und das Spannende ist: Die Bevölkerung geht diesen Weg mit. Weil die Entscheidungen nicht über die Köpfe hinweg getroffen werden, sondern im Austausch mit vielen, klar kommuniziert und konsequent umgesetzt.

Deichman Bjørvika Deichmann Bibliothek Oslo
Raum für neues Denken: Gemeinsamer Besuch der Deichman Bjørvika- Deichmann Bibliothek in Oslo (c) Daniela Limberger

Es braucht politische Klarheit, kombiniert mit einem offenen Umgang auf Augenhöhe und es braucht Vertrauen, um solche Prozesse durchzuziehen. Nicht über schöne Visionen, sondern durch konsequentes Handeln. Und auch das ist eine wichtige Botschaft: Gute Klimapolitik ist keine Frage einzelner Ressorts, sondern eine Führungsaufgabe, die in der Verwaltung ebenso verankert sein muss wie im politischen Willen.

Für uns in Leonding, wo wir gerade an unserem Klimaneutralitätsfahrplan arbeiten, war das wie ein Blick in die Zukunft. Ich habe gespürt, wie viel Kraft in klaren Entscheidungen liegt – und wie wichtig es ist, Klima nicht als Einzelthema zu sehen, sondern als roten Faden jeder Stadtentwicklung.

Wer heute baut, plant auch für die nächsten Generationen mit. Wer Mobilität gestaltet, verändert mehr als nur Wege. Und wer zuhört, kann mitnehmen, statt zu überreden. Genau das ist unser Auftrag.

Drammen: Die Kraft der Rückgewinnung

In Drammen – früher industriell, heute erfrischend lebenswert – hat man sich nicht für das Vergessen entschieden, sondern für das Erinnern in neuer Form. Der Fluss, einst verschmutzt, ist nun Zentrum einer Stadt, die begriffen hat, dass Aufenthaltsqualität nicht dekoriert, sondern hart erarbeitet werden muss.

Die überaus engagierte Stadtplanungsverantwortliche hat uns auf sehr mitreißende Art erklärt, dass es eine eindeutige Strategie und vor allem Kontinuität braucht, damit dies Art der Transformation gelingen kann. Es gab einen klaren Schulterschluss von Verwaltung, Architektur, Politik und Zivilgesellschaft.

VULKAN in Oslo: Ein Ort, der erzählt

Für mich war der Besuch im Areal VULKAN, vorgestellt von Lars Haukeland von LPO Architekten, mein ganz persönliches Highlight der Reise. Ehemalige Industrie, die nun Treffpunkt, Markthalle, Wohnraum und Bühne zugleich ist und Leichtigkeit ausstrahlt. Keine sterile Vision, die am Reißbrett entstanden ist, kein Hochglanzquartier, sondern ein Mosaik urbanen Mutes, ein atmendes Quartier voll Leben. Lars Haukeland hat uns gezeigt, wie aus alten Strukturen neue Lebensqualität entstehen kann – wenn man bereit ist, Altes nicht abzureißen, sondern zu transformieren.

Die bewusste Integration einer historischen Tanz- bzw. Mehrzweckhalle (Vulkan flerbrukshall), die der Kultur von Anfang an Raum im neuen Stadtgefüge gab, die Wiederbelebung der ehemaligen Brückenwerkstatt zur Mathallen – Norwegens erster Food Hall – und die enge Verzahnung mit moderner Wohn-, Büro- und Freizeitnutzung, sind einmal mehr Beweis für die Sinnhaftigkeit von integrierten, ganzheitlich angesetzten Stadtentwicklungskonzepten.

Stadtleben Oslo Drammen
Quartier voller Leben, wo Altes nicht abgerissen, sondern transformiert wurde: VULKAN in Oslo (c) Daniela Limberger

Stadtteile werden nicht durch Einzelprojekte, sondern durch dieses Zusammenspiel lebendiger Orte zur Marke. Schon bevor das Areal baulich vollendet war, entstanden temporäre Veranstaltungen – Festivals, Tanzperformances, Märkte – die das Bewusstsein und die Emotion für das Quartier weckten.

Hier wird ein ISEK tatsächlich gelebt: es orchestriert Besitzverhältnisse, nachhaltige Energieversorgung (Geothermie, Solarwärme), Nutzungsmischung und kulturelle Zugänge so, dass das Viertel nicht nur gebaut, sondern erlebbar wird.

Für uns in Leonding, die wir am ehemaligen UNO-Areal gerade ein vergleichbares, kooperatives Verfahren durchlaufen, zeigt Vulkan konkrete, inspirierende Wege: Kultur von Beginn an in die DNA integrieren, Erdgeschoßzonen mit gelebtem Alltag bespielen, Geschichte erhalten und neu interpretieren, und Nachhaltigkeit von Anfang an technisch umsetzen. All das macht nicht nur ein Stadtviertel lebenswerter, sondern schafft Identität – etwas, das Stadtmarketing unverzichtbar machen kann.

Was bleibt. Und was ich mitnehme.

Die Reise wirkt immer noch nach. Ich nutze gewonnene Erkenntnisse in meinem täglichen Tun. Durch diese Art der Weiterbildung kann man bessere Entscheidungen treffen, aus gewohnten Bahnen ausbrechen, alte Denkweisen überprüfen, neue Fragen zulassen und manchmal sogar alte Antworten loslassen.

Dabei spielt selbstverständlich auch der Austausch mit Kolleginnen und Kollegen aus ganz Österreich eine wesentliche Rolle: Denn die Reflexion über die gesammelte Erfahrung, schafft ein deutlich intensiveres, tieferes und nachhaltigeres Erleben und Erlernen.

Olso Graffiti
Eine zentrale Erkenntnis zum Reisen: Wer regelmäßig über den Tellerrand blickt, sieht klarer, was direkt vor der eigenen Haustür möglich ist (c) Daniela Limberger

Was aber auch bleibt ist, dass viele Bereiche der Innenstadt Immobilienobjekte in den Händen weniger Investoren und somit nicht wirklich organisch gewachsene Zonen sind. Um unsere geschätzte Freundin und Kollegin Inga Horny zu zitieren: „Wir haben aber auch gelernt, dass mit dem Geld aus Erdöl viel möglich ist und dass Investoren dort und da oft überhaupt keinen Geschmack haben und Kommunen Stadtentwicklung nicht aus der Hand geben dürfen.“

Stadtmarketing bedeutet nämlich nicht Standorte zu bewerben – sondern Identität zu stiften.

Und genau deshalb braucht es immer wieder frische Impulse, Orte wie Oslo und Drammen, die uns fordern und inspirieren. Damit wir in unseren Städten nicht nur reagieren – sondern agieren. Und vielleicht ist das die wichtigste Erkenntnis: Wer regelmäßig über den Tellerrand blickt, sieht klarer, was direkt vor der eigenen Haustür möglich ist.

Ich wünsche mir, dass wir uns öfter die Erlaubnis geben, nicht alles wissen zu müssen, aber alles verstehen zu wollen, dass wir uns trauen, frische Impulse zuzulassen, dass unsere Entscheidungsträger:innen erkennen, wie wichtig Raum für Lernen ist, dass Bürger:innen spüren, dass Stadt nicht abstrakt ist – sondern konkret, wandelbar und von Menschen gemacht, die neugierig geblieben sind.

Daniela Limberger Vorstandsmitglied des Dachverbandes Stadtmarketing Austria

Daniela Limberger

Geschäftsführerin Agentur für Standort und Wirtschaft Leonding GmbH

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Weil wir gezeigt haben, dass „Miteinander“ mehr bringt. Im Miteinander machen Sie für Ihren Standort das Mögliche zum Machbaren. Wir unterstützen Sie dabei mit Know-how, das sich in der Praxis bewährt hat, mit Weiterbildung, die neue Perspektiven eröffnet sowie mit Erfahrungsaustausch, der Sie in Ihrer Rolle stärkt.

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