
Urban Farming im großen Stil erlebt momentan einen massiven Boom. Überall auf der Welt entstehen neue Projekte, zunehmend auch im kommerziell betriebenen Bereich. Es scheint, als hätte die Corona-Pandemie das Bewusstsein für globale wirtschaftliche Abhängigkeiten geschärft – und damit auch den Wunsch nach Regionalität und lokaler, städtischer Lebensmittelautarkie verstärkt. Wie Urban Farming im großen Stil aussehen kann, zeigen wir anhand einiger zukunftsweisender Projekte städtischer Farmen.
Urban Farming versus Urban Gardening
Städtische Landwirtschaft ist in den unterschiedlichsten Ausprägungen zu finden. Von privaten Initiativen über Gemeindeprojekte und interkulturelle Gärten bis hin zu modernen Formen urbaner Landwirtschaft. Im allgemeinen Sprachgebrauch wird meist keine Unterscheidung zwischen Urban Gardening und Urban Farming getroffen.
Genaugenommen besteht jedoch ein wesentlicher Unterschied in Hinblick auf die Größenordnung. Während urbaner Gartenbau von einzelnen oder kleineren Gruppen von Stadtbewohnern zur Selbstversorgung betrieben wird, geht urbane Landwirtschaft darüber hinaus und möchte Produkte für größere Teile der Bevölkerung liefern.
Urban Farming vereint somit das Streben nach authentischen, lokalen Lebensmitteln und angesichts von Lebensmittel- und Wirtschaftskrisen auch die Sicherheit, die Stadtbewohner mit Lebensmitteln versorgen zu können.
Best Practice: Die GemüseheldInnen
In Frankfurt ist seit 2019 mit den „GemüseheldInnen“ ein bemerkenswertes Urban Farming Projekt entstanden. Die Idee dazu kam den beiden Initiatorinnen Juliane Ranck und Laura Setzer bei einem Spaziergang in der Grünen Lunge, einem 16 Hektar großen Gartenareal im Norden Frankfurts.
Es fiel ihnen auf, dass manche Gärten ungenutzt und teils stark vermüllt waren. Also haben sie einfach einen Garten besetzt und zu gärtnern begonnen. Dann kamen weitere Gärten hinzu und Gartenbesitzer boten ihnen ihren Garten zur Nutzung an.
Innerhalb von nur eineinhalb Jahren ist daraus ein Vorzeigeobjekt entstanden, das inzwischen auch in anderen Vierteln der Stadt Wurzeln schlägt. Aktuell bewirtschaften bereits rund 150 GemüseheldInnen insgesamt 13 Gärten auf dem Areal nach den Prinzipien der Permakultur – und zwar ganzjährig.
Der Traum der „GemüseheldInnen“ ist es jedoch, an jeder Frankfurter Straßenecke eine Permakultur-Insel zu schaffen. Erste Projekte auf dem Campus von Universitäten sind bereits im Laufen.
Unterstützt wird das Projekt von vielen Seiten, unter anderem vom Trägerverein Bionales, dem auch die BodenretterInnen und der Ernährungsrat Frankfurt angehören. Um die Bewegung auch in andere Städte zu tragen, haben die Initiatorinnen des Projekts kürzlich ihr Buch „Urban Farming“ veröffentlicht. Darin vermitteln sie ihre Erfahrungen sowie ihr Know-how und ermutigen Interessierte, eigene Projekte in ihrem Wohnumfeld zu kreieren.

Was für Urban Farming im großen Stil spricht
Der Selbstversorgungsgrad mit Gemüse liegt in Österreich bei lediglich 54 Prozent – und wird in den nächsten Jahren kontinuierlich weiter fallen. Hinzu kommt die Dezimierung landwirtschaftlich nutzbarer Flächen durch die Bodenversiegelung von 13 Hektar pro Tag (WWF-Report 2021). 40% der Landwirtschaftsfläche Österreichs ist zudem bereits im Ausland und macht uns von einem globalen Lebensmittel-Transportnetzwerk abhängig.
Deshalb braucht es neben Gemeinschaftsgärten neue Konzepte, die eine Ergänzung zur konventionellen Landwirtschaft darstellen können. Eine Lösung für dieses Problem bieten urbane Farmen, die als Landwirtschaft auf Hausdächern oder in geschlossenen Räumen betrieben werden können. Insbesondere vertikale Farmen und innovative Indoor-Farmen haben aufgrund des geringen Flächen- und Wasserverbrauchs das Potential, zu einer Ernährung der Stadtbevölkerung beizutragen.
Projekte in diesem Bereich werden bisher zumeist über die öffentliche Hand oder Venture-Capital finanziert. Als Ergänzung zur herkömmlichen Landwirtschaft könnten Methoden wie Vertical Farming aber auch für Bauern interessant sein. Insbesondere für jene, die in die Stromproduktion einsteigen. Ebenso ist im kleineren Rahmen der Betrieb von Indoor-Farmen in Verbindung mit Energiegemeinschaften denkbar.
Vertikale Farmen als Zukunftsmodell
Mit vertikalen Farmen lässt sich Urban Farming im großen Stil betreiben und die Lebensmittelsicherheit der Städte von morgen sichern. Im Vergleich zur konventionellen Landwirtschaft bieten vertikale Farmen einige Vorteile. Sie reduzieren:
- den Gesamtenergiebedarf des Lebensmittelsektors
- die Anbaufläche um das 50-Fache oder mehr
- den Wasserverbrauch um bis zu 95 %
- den Einsatz von Pestiziden um bis zu 99 %
- den Einsatz von Dünger um bis zu 90 %
- die Abhängigkeiten von Lebensmittelimporten und deren soziale, ökologische und ökonomische Kosten
- den CO2-Fußabdruck
- die ökonomischen, sozialen und gesundheitlichen Kosten des Lebensmittelverkehrs
- die Abhängigkeit von fossilen Brennstoffen
Derzeit forschen verschiedenste Universitäten und Forschungsinstitute an neuen Farming Technologien. Darunter auch das 2016 gegründete Vertical Farm Institut (VFI) in Wien. Das VFI ist Vorreiter der Branche in Österreich und eingebunden in ein internationales Forschungsnetzwerk.
Es entwickelt effiziente vertikalen Anbaumethoden und erarbeitet Gebäudetypologien, die das Maximum aus den zur Verfügung stehenden Ressourcen herausholt. Denn würde man die falschen Gebäudetypologien mit ungeeigneten Pflanzen kombinieren, würde der Energieverbrauch explodieren.
Im Rahmen eines Sondierungsprojekts wurden 2020 die Grundlagen für die Entwicklung einer prototypischen vertikalen Farm für Wien erarbeitet. Als Ergebnis entstanden unter anderem ein Kulturpflanzenkatalog samt Ganzjahreskulturfolge sowie Anforderungsprofile für Gebäudetechnik und Gebäudeautomatisierung. Konkrete Entwürfe für vertikale Farmen gibt es bereits für die Tabakfabrik in Linz und die Markthalle in Innsbruck.

Indoor-Farm & bezahlbares Wohnen an einem Ort
Das amerikanische Unternehmen Vertical Harvest plant bis Ende 2022 insgesamt zehn vertikale Farmen, die mit bezahlbaren Wohnungen kombiniert sind. In jedem dieser Gebäude soll das Erdgeschoss für die Gemeinschaft zur Verfügung stehen, während die Etagen darüber als Gewächshaus fungieren.
Das geerntete Gemüse wird direkt vor Ort zu kaufen sein und zusätzlich öffentliche Einrichtungen, gemeinnützige Organisationen, Restaurants und Supermärkte in der Umgebung versorgen. Auf 6.500 Quadratmeter sollen etwa 450 Tonnen Lebensmittel pro Jahr geerntet werden.
Das Projekt hat außerdem eine sehr starke soziale Komponente: Die vertikalen Farmen werden vorrangig in einkommensschwachen Gebieten erbaut. Auf diese Weise wird der Zugang zu gesunden Lebensmitteln und leistbarem Wohnraum gefördert. Auch das Mitarbeiterkonzept orientiert sich an sozialer Nachhaltigkeit. So arbeiten in der bereits bestehenden Farm in erster Linie Menschen mit geistiger oder körperlicher Beeinträchtigung.

REWE: Erste Supermarkt-Dachfarm in Europa
Ende Mai dieses Jahres hat REWE in Wiesbaden den europaweit ersten Supermarkt eröffnet, der nach dem Green Farming Konzept mit einer ressourcenschonenden Lebensmittelproduktion auf dem Dach gebaut wurde.
Auf der Dachfarm wachsen mittels Aquaponik jährlich 800.000 Basilikumpflanzen, die als Dünger Ausscheidungen der Buntbarsche erhalten. Die Buntbarsche werden auf rund 230 Quadratmetern unter nachhaltigen Bedingungen gezüchtet und vor Ort verarbeitet. Insgesamt entsteht rund eine Tonne Fischfleisch pro Monat.

Infarm: Farming as a Service
Das deutsche Startup Infarm stellt Indoor-Farmen für Salat und Kräuter direkt in den Supermarkt. Die Anbaumethode ermöglichst es den Märkten, auch ausgefallene Salat- und Kräutersorten anzubieten. Die Pflanzen wachsen in gläsernen Hightech-Brutkästen, die über Fernüberwachung gesteuert werden. Sobald die Pflanzen ausgereift sind, werden sie von Infarm-Mitarbeitern geerntet und durch neue Setzlinge ersetzt.
In Abhängigkeit von der Pflanze dauert ein Zyklus drei bis vier Wochen. Das Startup betreibt laut eigenen Angaben weltweit bereits rund 1.220 solcher Farmen, unter anderem in Deutschland, Frankreich, Großbritannien und Dänemark.
Burgenland: Europas größte Indoor-Wasabi Farm
Das burgenländische Start-up PHYTONIQ betreibt seit 2019 in einer aeroponischen Indoor-Farming-Anlage den Anbau von Wasabi, verschiedenen Microgreen-Sorten und seit kurzem auch Safran. Die von PHYTONIQ selbst entwickelte System schafft schließlich optimale Bedingungen für den komplizierten Wasabi-Anbau und ermöglicht so seine Kultivierung.
Durch eine hauseigene Photovoltaik-Anlage, hocheffiziente LED-Beleuchtung, natürliche Kühlungsmöglichkeiten und moderne Maschinen läuft dann die gesamte Produktion CO2-neutral ab.

Paris: Die weltweit größte Rooftop-Gemüsefarm
Im Juli 2020 wurde auf dem Dach des Messegebäudes Paris Expo Porte de Versailles eine riesige Rooftop-Farm eröffnet, zusammen mit einer Bar und einem Restaurant. Auf einer Fläche von 14.000 Quadratmeter werden dort 30 verschiedene Pflanzenarten in Form einer Hydrokultur auf übereinander gelagerten Ebenen angebaut.
Der urbane Bauernhof produziert dann in der Hochsaison täglich bis zu einer Tonne Obst und Gemüse – in Bio-Qualität. Und für 320 Euro im Jahr können Pariser eine von 140 Schrebergärten mieten.

Fazit: Urban Farming im großen Stil
Das Thema Urban Farming ist international präsenter als jemals zuvor. Offenbar haben die wirtschaftlichen Turbulenzen des letzten Jahres schließlich vielen bewusst gemacht, wie schnell Lieferketten gestört sein können. Kleinere, lokale Einheiten bieten eine gewisse Sicherheit und garantieren auch in Krisenzeiten eine ausreichende Versorgung.
Mit der heutigen Technologie ist Indoor Urban Farming im großen Stil zudem deutlich günstiger und für Unternehmen profitabel geworden. In Zukunft könnten daher breite Netzwerke von Gemeinschaftsgärten und moderne Indoor Farmen vor allem in Städten einen besseren Zugang zu frischen Nahrungsmitteln ermöglichen.
Titelbild: Die geplante vertikale Farm in Innsbruck © Vertical Farm Institute