Perspektiven zum Wiener Weltkulturerbe

06.06.2017
Architektur, Kultur

Heumarkt_neu

Eine Fortsetzung des Blogbeitrages zum Thema „Wiener Weltkulturerbe“ vom 30. Mai 2017 von Mag. Thomas Mitzka, Wirtschaftskammer Wien.

Am 1. Juni hat der Wiener Gemeinderat der geplanten Umgestaltung des Heumarkts zugestimmt. Das Projekt, das dem Areal im dritten Wiener Gemeindebezirk ein neues Gesicht verleihen soll, ist umstritten: Wenn es realisiert wird, droht der Entzug des Welterbe-Status durch die UNESCO.

Befürworter des Bauvorhabens betonen die Vorteile für die Stadt; Wien müsse sich weiterentwickeln können. Kritiker halten dagegen, dass die Verletzung der Schutzzone Vertragsbruch wäre und Österreich damit internationales Ansehen riskiere. Beide Standpunkte sind im letzten Blogbeitrag zu Wort gekommen.

 

Weltkulturerbe: Erfahrungen aus Salzburg

Wie sich ein solcher Konflikt vielleicht vermeiden ließe, zeigt ein Blick nach Salzburg. Das historische Zentrum der Stadt ist seit 1996 Welterbe. Somit war Salzburg eine der ersten österreichischen Welterbestätten und ist bis heute von dieser Tradition geprägt. Die Bewahrung des Erbes ist in Salzburg in der Stadtverfassung verankert. Erst vor Kurzem wurde ein neues Kulturleitbild zusammen mit sämtlichen Beteiligten wie Interessenvertretungen und Vereinen erstellt.

Professor Kurt Luger, der an der Universität Salzburg den UNESCO-Lehrstuhl für „Kulturelles Erbe und Tourismus“ innehat, bezweifelt allerdings, dass die Gesetze zum Schutz der historischen Altstadt ausreichen. Deshalb sei es wichtig, „auf der Grundlage eines Managementplanes zu arbeiten, der wiederum auf einem breiten Konsens mit der Bevölkerung basieren muss“, schreibt er in einem Artikel zum 20-jährigen Jubiläum des Salzburger Weltkulturerbes.

Konsens und Austausch gehören zum Erfolgsrezept für Salzburgs Weltkulturerbe. (c) Tourismus Salzburg
Konsens und Austausch gehören zum Erfolgsrezept für Salzburgs Weltkulturerbe. (c) Tourismus Salzburg

 

Kurz vor der Gemeinderatssitzung haben wir den Welterbe-Experten nach seiner Einschätzung zur Entwicklung in Wien gefragt.

Herr Professor Luger, welche Folgen hätte der Verlust des Weltkulturerbes für eine Stadt wie Wien?

Wien wäre mit einer negativen Botschaft in aller Munde: die große Kulturstadt, die so ein grandioses Welterbe zu Recht besitzt, aber nicht in der Lage ist, es zu verwalten. Das ist ein Imageverlust, den sich diese Stadt nicht leisten sollte.
Wien tut sein Bestes, um den Status des Welterbes herunterzuspielen, touristisch sowieso (den Titel brauchen wir nicht, deswegen kommt niemand), die Verwaltung auch (ein Randthema, eher ärgerlich und hinderlich in der Stadtplanung) und die lockeren Regeln für den Ausbau der Dachböden usw. zeigen ebenfalls kein hohes Bewusstsein gegenüber der Aufgabe, das Ensemble zu bewahren.

Touristisch ist Wien wie Salzburg ein Selbstläufer, aber über die Klientel der staunenden Chinesen und Japaner etc. hinaus gilt es den Kulturtourismus, einen der am stärksten wachsenden Sektoren, weiterzuentwickeln, und das geht nur mit einer bewahrenden Perspektive. Hochhäuser an der Ringstraße etc. sind dafür absolut störend, die Pracht dieser Straße kommt ohnedies durch den Verkehr und die Unwirtlichkeit der Wege schon genug unter die Räder.

 

Was würden Sie der Wiener Stadtregierung in der derzeitigen Situation empfehlen?

Wien bzw. die Republik hat einen völkerrechtlich bindenden Vertrag unterzeichnet, den die Stadt offenbar nicht einzuhalten gedenkt. Wenn sie Welterbe bleiben will, hat sie sich zu fügen und kann nicht machen, was sie will. Die Experten der UNESCO haben vor langer Zeit schon gesagt, was dem Status abträglich ist. Die Stadt pfeift darauf bzw. laviert herum, „a bisslwos geht immer“.

Es geht nicht nur um den Canaletto-Blick, es geht um die Öffnung eines Ventils. Wenn man dieses Hochhaus erlaubt, kann man andere schlecht ablehnen. Damit wird aber tatsächlich die Innenstadt abgewertet im Sinne eines noch ziemlich erhaltenen städtebaulichen Ensembles, das sich zwar weiterentwickeln soll (und da und dort ohnedies schon sehr weit von der ursprünglichen Form abweicht, derentwegen der Titel verliehen wurde), aber doch bestimmte Grenzen zu akzeptieren hat und nicht die ausgezeichnete Architektur kompromittieren darf.

Die Stadt muss sich entscheiden, ob sie den Titel behalten möchte. Dann kann der gegenwärtige Plan nicht umgesetzt werden – oder ob sie ihn loswerden möchte. Eine Reduktion des Welterbes auf Teile der Altstadt kann die Stadt vermutlich nur als Neuantrag einbringen, nachdem der Titel in der jetzigen Form aberkannt worden ist. Das kann ich der Stadt nicht empfehlen, auch wenn diese Lösung als Ausweg diskutiert wird. Die UNESCO wird meines Ermessens so ein Arrangement nicht akzeptieren.

 

Wo sehen Sie die Herausforderungen des Weltkulturerbes zwischen dem Bewahren und Entwickeln von historischen Städten?

Die geschützten Teile sind zu erhalten, Stadtentwicklung sollte anderswo erfolgen. Rund um den Donauturm bzw. an anderen Plätzen sind ja auch neue Ensembles entstanden, die diesen Räumen nach Meinung der Stadtentwicklung und der Architekten wie Investoren adäquat erscheinen. Die innere Stadt ist anders angelegt, hat auch eine andere Aufgabe, kann nicht Wohnerweiterungsgebiet sein. Spekulationsobjekte sollten dort erst recht keinen Platz haben, denn diese Gegend ist das Wertvollste, was Wien zu bieten hat.

Der erste Bezirk ist weltweit so einzigartig, dass er auch noch in hundert Jahren die Einheimischen wie die BesucherInnen faszinieren wird. Jeglicher störende Eingriff in dieses Ensemble ist unverantwortlich. Es käme ja auch niemandem in den Sinn, etwa Botticellis Primavera oder die Mona Lisa im Louvre zu übermalen, sieht man von Arnulf Rainer ab.

Die bewahrende Perspektive muss vielmehr danach trachten, dass die historische Kontinuität bis dato sichtbar bleibt. Sonst könnte man ja gleich jede Jugendstilvilla wegreißen und eine Schuhschachtelarchitektur draufstellen, weil man aus dem Gebäude dann noch etwas mehr Profit ziehen könnte.

Wien sollte dem Billa-Gründer Wlaschek wirklich dankbar sein, dass er seinen Besitz in eine Stiftung eingebracht hat, wodurch einige architektonische Kleinodien langfristig erhalten werden können. Damit kann Wien sein Ambiente und seine Einzigartigkeit bewahren und seine Geschichte sichtbar machen.
Die innere Stadt ist kein Gelände für Großbauten, Hochbauten oder derartige „innovative“ Objekte, die nur dem betriebswirtschaftlichen Kalkül entgegenkommen, aber der identitätsschaffenden emotionalen Geografie widersprechen. Veränderungen sollten dort nur mit größter Zurückhaltung und Sensibilität für die Umgebung möglich sein.

 

Die nächsten Schritte

Der Baubeginn am Heumarkt ist erst für 2019 geplant. Bis dahin dürfte feststehen, ob Wien der Weltkulturtitel erhalten bleibt. Denn in knapp einem Monat, Anfang Juli, tagt das Welterbe-Komitee der UNESCO in Krakau. Voraussichtlich wird das Komitee Wien auf die Rote Liste der gefährdeten Welterbestätten setzen.

Laut Gabriele Eschig, Generalsekretärin der österreichischen UNESCO-Kommission, steht dieser Beschluss schon jetzt so gut wie fest. Die Möglichkeit, das geschützte Gebiet zu verkleinern und den Heumarkt quasi auszuklammern, ist ihrer Ansicht nach ausgeschlossen. Selbst nach einem Eintrag in der Roten Liste ist der Welterbestatus aber noch nicht verloren. Eine endgültige Entscheidung über die Aberkennung der Auszeichnung gibt es frühestens 2018, wenn sich das Komitee erneut trifft.

Damit hat die Stadt Wien ein Jahr Zeit, um eventuell doch eine gemeinsame Lösung zu finden. Die Stadt setzt jedenfalls auf Gespräche. Der „Dialog mit der UNESCO wird weitergeführt“, sagte Wiens Vizebürgermeisterin Maria Vassilakou nach der Abstimmung des Gemeinderats.

 

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