Stadtentwicklung durch Kulturfestivals

09.05.2017
Kultur

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Ein Interview von Mag. Edgar Eller, Geschäftsführer von Stadtmarketing Feldkirch, mit Architekturstudentin Carolin Riedelsberger zum Thema „Stadtentwicklung durch Kulturfestivals“.

Stadtraumentwicklung ist mehr als nur das Setzen von Blumenkästen und Parkbänken. Neben dem gebauten Ort funktioniert der Stadtraum primär als atmosphärischer Raum. Auch in kleineren Städten entstehen derzeit Kulturfestivals, die sich intensiv mit diesem Aspekt des Stadtraums in Beziehung setzen. Carolin Riedelsberger beschäftigt sich mit den Auswirkungen solcher Festivals auf den Stadtraum und die Frage, warum das nicht nur in Metropolen sinnvoll ist.

 

2024 ist es mal wieder soweit. Nach Linz und Graz darf die nächste österreichische Stadt den Titel der Europäischen Kulturhauptstadt tragen. Damit die Initiative nicht zum „Kulturwanderzirkus“ verkommt, stehen die Bewerberstädte vor der Herausforderung, eine „kulturelle Identitätsverhandlung“ durch den Bewerbungsprozess zu initiieren. Ist ein solches Modell der konzeptiven Herangehensweise an kulturelle Entwicklungsprozesse der Stadt nur für Großereignisse interessant? Oder können auch kleinere Städte aus diesen Formaten lernen und sich entwickeln?

 

Carolin Riedelsberger studiert Architektur an der TU Wien und beschäftigt sich in ihrer Diplomarbeit intensiv mit der Frage, welchen Wert Kulturfestivals für die Entwicklung kleinerer Städte und Regionen haben können und bereits haben.

 

STAMA: Sie haben im Rahmen ihrer Arbeit mehrere kleine Kulturfestivals in Österreich besucht. Was ist Ihr Eindruck? Sind diese relevant für die Stadtentwicklung vor Ort oder verpufft die Wirkung aufgrund mangelnder Größe?

 

CR: Die Größe allein scheint tatsächlich kein beschränkender Faktor zu sein. Kulturelle Formate in kleinerem Maßstab können ebenso wichtige Impulse für die Entwicklung eines Ortes und deren Aufenthaltsqualität geben. Mehrere der von mir untersuchten Kulturfestivals tun dies bereits und generieren dabei keinen kurzfristigen Hype sondern wachsen langsam und binden die lokalen Kräfte und Ressourcen ein. Ihr Wert wird jedoch oftmals (noch) verkannt.

 

STAMA: Worauf kommt es bei der Entwicklung dieser Festivals besonders an? Wo liegen Möglichkeiten der gegenseitigen Befruchtung?

 

CR: Das verbindende Element ist der Raum.

Viele Räume in unseren Städten werden in ihrer ursprünglichen Funktion nicht mehr benötigt und bleiben ungenutzt. Was fehlt, sind oft konsumfreie Zonen mit Aufenthaltsqualität. Um aber Alltagskultur und soziales Handeln pflegen und weiterentwickeln zu können, braucht es atmosphärische Räume, die den Austausch untereinander wieder ermöglichen, die Spielraum für Aktivitäten und Experimente zulassen.

Es gibt viele solcher räumlichen Ressourcen – sie sind meist nur nicht auf den ersten Blick sichtbar. Es braucht also Personen, die diese Räume aufspüren und es braucht niederschwellige Formate, die diese Räume für unterschiedlichste Bevölkerungsgruppen öffnen.

 

STAMA: Und hier setzen die Festival-Formate an?

 

CR: Richtig. In den letzten Jahren hat sich ein spezielles Festivalformat entwickelt, das genau diese Ziele verfolgt. Situative  Kulturfestivals breiten sich mit ihrem Programm räumlich aus um unsere Wahrnehmung zu reaktivieren, Netzwerke zu initiieren und um strukturelle Problematiken zu thematisieren.

Jahnturnhalle 2016 bei der POTENTIALe (Foto POTENTIALe Feldkirch)
Jahnturnhalle 2016 bei der POTENTIALe (Foto POTENTIALe Feldkirch)

Wie so oft entstehen diese Projekte durchs Tun. Bei der POTENTIALe in Feldkirch beispielsweise begann es mit einzelnen Aktionen im Rahmen der Designmesse ArtDesign. Durch die Bespielung der Leerflächen mit Ausstellern wurde plötzlich die Kraft dieser Orte spürbar. So entstand aus Einzelprojekten das eigentliche Festival. Beim POTENTIALe-Projekt „Lost Places“ präsentieren Studierende Nutzungsmöglichkeiten für leerstehende Flächen.

Verlassene Wohnungen oder eine ungenutzte Turnhalle dienen als Ausstellungsräume. Ziel ist es dabei nicht, reines Spektakel für Touristen zu schaffen und sich in Fremddarstellungen zu verlieren, um kurzfristige Nachfrage zu erreichen. Vielmehr sollen die Identität und die Potenziale der Stadt in ihrer Vielfalt abgebildet und diskutiert werden. Die Kooperation mit der regionalen Kulturszene ist daher ebenso wichtig wie die Vernetzung mit anderen Kunst- und Kulturschaffenden im In- und Ausland.

 

STAMA: Gibt es weitere positive Beispiele lokaler Formate?

 

Engstelle B151 / Vernissage 2016 / PERSPEKTIVEN ATTERSEE (Foto Lukas Maul)
Engstelle B151 / Vernissage 2016 / PERSPEKTIVEN ATTERSEE (Foto Lukas Maul)

CR: In Attersee a.A. säumten beispielsweise jahrelang leere Erdgeschoßzonen die engste Stelle der B151 im Ortskern. 2011 waren sie über Nacht mit großformatigen Fotografien verhüllt, um ihren Leerstand und den wirtschaftlichen Verfall des Ortes zu thematisieren. Plötzlich veränderte sich schließlich die Wahrnehmung dieses Straßenabschnittes und man diskutierte darüber – positiv und negativ. Durch die vielen – unbezahlten – Arbeitsstunden und das persönliche Netzwerk der privaten Initiatoren und des Teams ist mittlerweile das Festival PERSPEKTIVEN-ATTERSEE entstanden, das sich aktiv an der Entwicklung des Ortes beteiligt.

 

STAMA: Wie ist eine „aktive Beteiligung an der Ortsentwicklung“ bei diesen Festivals zu verstehen?

 

CR: In Attersee a.A. werden mittlerweile zwei Ateliers im Zentrum das ganze Jahr über bespielt. Sie bieten eine wichtige Plattform für junge Kunstschaffende, Kreativwirtschaft und Interessierte sowie junge Weggezogene, die den Kontakt zu ihrem Heimatort so nicht abreißen lassen. Die Kernpersonen der PERSPEKTIVEN initiierten außerdem die Bewerbung für die Landesausstellung. Übrigens erfolgreich! Sie wird 2020 in der Pfahlbauregion Attersee-Mondsee-Seewalchen stattfinden und neue Impulse für den Ort bringen. Auch bei der POTENTIALe sind die Netzwerke nun folglich das ganze Jahr über aktiv.

 

STAMA: Wieso ist diese Art der Stadtraumgestaltung noch nicht stärker institutionalisiert? Was muss man leisten, damit diese Formate funktionieren?

 

CR: Da der Erfolg nicht primär über Umwegrentabilität abzulesen ist, sondern aus vielen Mikro-Interventionen und qualitativen Effekten besteht, ist eine objektive Bewertung problematisch und die Spuren dieser Festivals sind oftmals nur durch Gespräche mit den FestivalinitiatorInnen oder den BewohnerInnen auszuforschen.

Dieser Umstand macht es besonders schwer, politische Entscheidungsträger von der Chance, die solche Initiativen für einen Ort bieten, zu überzeugen. Wenn das nämlich gelingt, können die Ressourcen gebündelt werden, um gemeinsam Stärken und Ziele für die Gemeinde zu definieren und ein gesamtheitliches Entwicklungskonzept zu erarbeiten.

 

Der vollständige Artikel „Kulturfestivals & Ortsentwicklung“ ist in der zweiten Ausgabe der Zeitung kulturhauptstadt2024.at nachzulesen.

 

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Edgar Eller

Selbständiger Unternehmensberater und Hochschullehrer.

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