Kriterien für seniorenfreundliche Städte und Gemeinden

12.06.2018
Gesellschaft

seniorenfreundliche_Stadt

Wo leben älter werdende Menschen heute? Was brauchen SeniorInnen, um in Ihrer Umgebung möglichst lange gesund, eigenständig und zufrieden zu sein? Und: Was bedeutet das für Städte und Gemeinden? Wir haben mit einem Experten gesprochen.

Die Altersstruktur unserer Gesellschaft verschiebt sich deutlich nach oben. Sind derzeit laut Statistik Austria 18 Prozent der Bevölkerung über 65 Jahre, werden es nach 2030 bereits mehr als 25 Prozent sein. In konkreten Zahlen bedeutet das: Während derzeit 1,65 Millionen Menschen über 65 Jahre alt sind, werden es im Jahr 2030 mit fast 2,81 Millionen doppelt so viele sein.

 

Durchschnittsalter steigt

Das Durchschnittsalter der Bevölkerung steigt von derzeit 41,8 bis 2060 auf 47,1 Jahre an. Die damit einhergehenden Entwicklungen sind vielschichtig: Der Zuwachs der Generation 65+ führt dazu dass die Pflege-und Altenbetreuung zunehmend vom Bund auf die Länder und Gemeinden verlagert wird. Dabei entsteht großer Druck auf die Gemeinden, und der finanzielle Spielraum wird kleiner. 

Zugleich wird die medizinische Versorgung zunehmend besser, die Lebenserwartung steigt, Menschen bleiben länger gesund. Dabei haben wir einerseits bestens ausgebildete Männer und Frauen, die in den Ruhestand gehen, und über eine florierende Kaufkraft verfügen. So geben die jungen Alten zwischen 60 und 70 Jahren 75 Prozent ihres frei verfügbaren Einkommens für Konsumgüter aus.

Andererseits haben wir eine größere Gruppe an ehemaligen Alleinerzieherinnen, die heute über 70 Jahre alt sind, wenig verdient haben und aufgrund ihrer niedrigen Pensionen von der Altersarmut betroffen sind. Und: Während unsere Gesellschaft immer mehr zur Freizeitgesellschaft wird, hat heute bereits jeder vierte bis fünfte Arbeitnehmer eine pflegerische Verpflichtung in kleinerem oder größerem Ausmaß in der Familie oder engeren Verwandtschaft. 

Auf all diese Entwicklungen müssen Städte und Gemeinden rechtzeitig reagieren und sich mit dem Zuwachs der heute 60 bis 70-Jährigen und ihren weiteren Bedürfnissen mitentwickeln.

 

Ältere ziehen in Kleinstädte

Altenforscher Univ.-Prof. Dr. Bernd Seeberger.

Univ.-Prof. Dr. Bernd Seeberger, Vorstand des Instituts für Gerontologie und Demografische Entwicklung in Hall in Tirol ortet einen eindeutigen Trend im DACH-Raum: „Im Gegensatz zu früher ziehen älter werdende Menschen heute zunehmend in Kleinstädte und stadtnahe Regionen.

Sie wollen dort leben, wo Stadt und Natur aufeinandertreffen und wo sie eine gute ärztliche Versorgung, ein idyllisches Stadtbild, ein gutes Kulturprogramm und ein das Sozialleben vorfinden. Jüngere Menschen hingegen bevorzugen die Großstädte, in denen Universitäten angesiedelt sind und das Leben pulsiert.“

Damit verschiebt sich die Altersstruktur in den Kleinstädten langsam, aber stetig, in Richtung ältere Menschen hin.

 

Eigenständig leben

Mit der Sorge um die Gesundheit im Alter geht der Wunsch nach Sicherheit in einem Seniorenheim einher. Viele ältere Menschen wissen schließlich nicht, wer sie im Alter pflegen sollte, und wer möchte schon den eigenen Kindern zur Last werden und von ihnen abhängig werden?

„Darum haben viele ältere Menschen das Bedürfnis, präventiv in der Nähe eines Seniorenheims zu wohnen, um es im Fall des Falles nicht mehr weit zu haben“, sagt Seeberger. Hauptmotiv für dien naheliegenden Wunsch ist allerdings vor allem Angst:  „Wenn man genauer nachfragt, ist das Seniorenheim für die Mehrheit der Menschen die letzte Möglichkeit.“ Tatsächlich aber wohnen über 90 Prozent der Senioren in ihren eigenen Wohnungen. Sie altern, ohne dass das Umfeld viel davon bemerkt.

Gefragt sind also Lösungen, die möglichst lange ein eigenständiges Leben ermöglichen, das maximale Gesundheit sowie Sicherheit, Unterhaltung und soziale Kontakte möglich macht. Der Experte rät dazu, Seniorenwohnungen nicht nur um die Seniorenheime herum zu bauen, sondern Generationen zu durchmischen, um einer Gettoisierung vorzubeugen.

Pflege im Bedarfsfall und Unterstützung bei alltäglichen Dingen wird den Bedürfnissen vieler älterer Menschen gerecht. „Das kann zum Beispiel ein Mittagstisch im Seniorenheim sein oder das Angebot von Menschen, die Einkäufe im Supermarkt erledigen.“ Für Städte und Gemeinden bedeutet das konkret, vermehrt in kleinere Wohnungen sowie in Pflege- und Sozialdienste zu investieren.

Wichtig sind auch gute Erreichbarkeiten. Während sich die Ortskerne in den letzten Jahren stark verändert haben, ist künftig wieder ein Umdenken nötig. „Ältere Menschen wünschen sich einen Nahversorger im Ortskern und ein Gasthaus mit einem leistbaren Mittagsmenü“, sagt Seeberger, „In den meisten Zentren ist das heute nicht mehr vorzufinden.“ Schließlich ginge es bei Senioren nicht darum, regelmäßig Großeinkäufe im Diskonter zu erledigen, sondern für ein Viertelkilo Butter oder eine Dose Hering schnell mal außer Haus zu gehen.

 

Mobilität bringt Lebensqualität

Kopfsteinpflaster sind für Rollatoren ungeeignet. (c) Karl-Heinz Laube / pixelio.de

Mobilität ist einer der Schlüsselfaktoren, denn mobil sein bedeutet, am öffentlichen Leben teilzuhaben. Inbegriff dieser Mobilität im Alter ist der Rollator, von dem der Experte in Aussicht stellt, dass wir diesen in den kommenden Jahren immer häufiger auf den Straßen sehen werden.

Absenkungen an den Gehsteigen und glatte Straßenflächen ohne Kopfsteinpflaster machen es möglich, sich mit diesem Fahrzeug barrierefrei fortzubewegen.

Als sinnvoll erachtet der Experte auch die Einrichtung von Hol- und Bringtaxis, die nach Bedarf gebucht werden können. Ebenso sind Shuttlebusse an den Wochentagen zu den wichtigen Ärzten sowie zu Naherholungsgebieten eine nützliche Ergänzung des öffentlichen Verkehrs.

Niederflurbusse ermöglichen ein unkompliziertes Einsteigen, kürzere Distanzen zwischen den Haltestellen verkürzen Gehzeiten. „In Parks und auf Wanderwegen ist daran zu denken, mehr Sitzgelegenheiten und Parkbänke für SeniorInnen bereit zu stellen, da diese sich öfter ausruhen möchten.“

Die Freizeitgestaltung ist im Alter schließlich ein wichtiges Thema. Und dabei geht es auch darum, die ältere Zielgruppe in die Planung von Veranstaltungen mit einzubeziehen. Das Stadtfest mit Disco und Bier wird den Bedürfnissen der Generation 60+ nicht mehr gerecht. Tipp: Führen Sie zu den persönlichen Interessen und Bedürfnissen eine SeniorInnenbefragung in Ihrer Stadt/Gemeinde durch.

 

Hilfe im Alltag und Sozialkontakte

Viktor Schwabenland / pixelio.de

Während viele jüngere SeniorInnen – die best Agers – oft ein sehr aktives Freizeitleben hegen und in Fitnessclubs, Golfanlagen oder im bestehenden Freundes- und Familienverband ihre Sozialkontakte pflegen, rückt mit steigendem Alter bei vielen die Einsamkeit ins Zentrum.

Die Scheidungsraten steigen, Partner und Freunde im selben Alter versterben, die erwachsenen Kinder sind umgezogen oder stark mit ihren eigenen Familien beschäftigt. Heute leben 40 Prozent der Menschen über 70 im städtischen Bereich in alleine. Die Angst vor der Isolation und davor, im Alltag nicht mehr alleine zurecht zu kommen, steigt.

Zeitbanken können dabei eine wertvolle Stütze sein. Das Prinzip: Freiwillige können sich bei diesen Banken ein Zeitkonto erreichten, über das sie ehrenamtliche Hilfs- und Sozialdienste bereitstellen.

Wenn Sie selbst einmal etwas brauchen, können sie die gutgeschriebenen Stunden einlösen. Beispiele für derartige Angebote sind etwa Nachhilfestunden, Besuchsdienste, Reparaturarbeiten, Hilfe beim Umzug, Einkaufsdienste uvm.

Diese Vermittlung kann auch über eine Servicestelle beim Bürgeramt erfolgen. Sinnvoll ist auch, gemeinsame Angebote für wichtige Feiertage wie z.B. den Heiligen Abend für einsame Menschen zu organisieren.

 

Mitsprache im Seniorenbeirat

Für alle weiteren Anliegen empfiehlt Dr. Seeberger, einen Seniorenbeirat im Stadtrat einzurichten. „Das Schlimmste am Alter ist, immer nur von Jüngeren wahrgenommen zu werden, die keine Ahnung von den wirklichen Bedürfnissen der SeniorInnen haben“, gibt Seeberger zu denken.

So führt er an, dass große Glasfronten und -Türen bei der Planung eines Altersheims zwar dem Selbstverwirklichungs-Streben eines Architekten gerecht werden würden, aber viel weniger den Menschen, die darin wohnen, da diese bei vermindertem Seh- oder Konzentrationsvermögen die Glasscheiben als Barriere oft nicht wahrnehmen würden.

Seniroenfreundlichkeit beginnt mit ersten konkreten Schritten, wie das Vorzeigeprojekt Seniorenbörse der Stadt Feldkirch zeigt. Sie entstand aus der Idee heraus, das Potenzial jener PensionistInnen zu nutzen, die noch gerne arbeiten möchten. Etwa 150 bis 200 Personen nutzen die Seniorenbörse und tauschen Leistungen wie Einkaufen gehen oder Hausarbeit aus.

Von der Stadt Feldkirch werden vor allem Handys und Räumlichkeiten angeboten, den Rest organisieren sich die TeilnehmerInnen selbst. Weitere Informationen finden Sie auch in dieser Ausgabe der Österreichischen Gemeinde-Zeitung des ÖGZ mit dem Schwerpunkt seniorenfreundliche Stadt.

 

Fazit Seniorenfreundliche Städte:

Die alternde Gesellschaft erfordert ein Umdenken in der gesamten Stadtplanung. Menschen wollen so lange wie möglich mobil bleiben, soziale Kontakte pflegen und selbstbestimmt in den eigenen vier Wänden leben. Dafür braucht es alltagstaugliche Unterstützung für die Praxis.

Ein großes Thema bleibt die medizinische Versorgung und Pflege: Hier sind Städte und Gemeinden gut beraten, in soziale Dienste zu investieren. Eine Kombination aus Wohnen und Betreuung/Pflege bei bei Bedarf ist ein Lebensmodell der Zukunft.

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Fotocredit Titelbild: Rainer Sturm  / pixelio.de

 

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