Die Welt der Geschichtenerzähler: Filmfestivals. Und wie Festivals selbst Kultur produzieren

24.04.2018
Kultur, Veranstaltungsberichte

Viennale_Gartenbaukino-©-Robert-Newald

Was benötigt man, um eine Geschichte zu erzählen? Zunächst einmal Phantasie, Erlebnisse, ein gewisses Quantum an Erfahrung und die Fähigkeit mit Sprache umzugehen. Je nachdem in welchen Künsten man zuhause ist, kommt dann die Übersetzung der Eigenschaften in Dialoge, Töne, Formen und Bilder hinzu.

Wenn diese Grundvoraussetzungen mit den Fähigkeiten einhergehen, entstehen daraus möglicherweise Bücher, Filme, Gemälde, Fotografien, Theaterstücke, Architekturen und Kompositionen. Liegt der Hauptfokus auf den Interessen der Produzierenden, kann eventuell Kunst entstehen. Liegt der Fokus auf den KonsumentInnen, kann daraus möglicherweise ein gutes Geschäft werden.

 

Filmfestivals

– und derer gibt es in den letzten Jahren immer mehr im deutsch-sprachigen und europäischen Raum – sind Chamäleon-artige und sich immer weiter spezialisierende Veranstaltungsreihen, die in kurzen Zeitfenstern viel leisten.

Neben den großen und altehrwürdigen Festivals in Europa, Berlinale (Berlin), Cannes Filmfestival, dem Internationalen Filmfestspielen von Venedig und dem Internationalen Filmfestival Warschau, die die weltweite Filmlandschaft abbilden und den Stars auf und hinter den Leinwänden gebührend Rechnung tragen, sind es die Kurz-, Dokumentations-, Kinderfilmfestivals, vor allem aber die „Special Interest Festivals“, die sich entwickeln.

Spezialisierungen auf den europäischen oder amerikanischen Film stehen inhaltlich bei vielen Festivals wie selbstverständlich auf den Programm. Dann gibt es jedoch die wichtigen Alleinstellungsmerkmals wie religiöse, ethnische, ökologische und touristische Fokussierungen.

Filmfestivals mit einem Kanon aus jüdischen und/oder israelischen Themen (Wien, Genf, Berlin). Das Palästinensische Filmfestival (London), sowie eines, welches sich rein dem afrikanischen Film widmet wie im irischen Galway. Oder sich mit Themen der Natur, Tier- und Umwelt (Ludwigsburg) auseinandersetzen.

Ein Trickfilmfestival in Stuttgart, ein Animationsfestival in Wien, Annecy und Baden stehen auf der Liste europäischer Filmfeste ebenso wie die Dokumentarfilmfestivals (Leipzig, München, Hamburg).

Und noch spezieller: das „Indianer Inuit : Nordamerika Filmfestival“ (Konstanz), das „Mountainfilm International Filmfestival“ (Graz), bei dem es im Schwerpunkt um Berg und Abenteuer geht oder das „this human world” (Wien), einem Festival mit Filmen zu den Menschenrechten – beispielhaft für politisch orientierte und motivierte Filmfestivals.

Um zum Schluss abzurunden, sei noch das „From Page to Screen Festival” im englischen Bridport erwähnt, das sich filmischen Anpassungen literarischer Vorlagen widmet, einen Preis für gute Drehbücher vergibt und somit dezidiert einen Bogen zur Literatur und Vorproduktion schlägt.

 

Von der Produktion bis zum Kino

Um all diese Filmfestivals zu bestücken muss es also zu den jeweiligen Themen und Kategorien ausreichende Produktionen geben. Und das ist auch in der Tat so, denn für gewöhnlich schafft es lediglich ein winziger Bruchteil neuproduzierter Filme in den Verleih und ins Kino oder wenigstens ins Fernsehen.

Nicht zu vergessen in diesem Zusammenhang und als Erweiterung des Bestehenden, die neuen „Abspielstellen“ digitaler Art und Weise mit nicht-kuratiertem „Online-Kino“ von Netflix, Amazon Video, Sky, YouTube, Vimeo etc.

 

Online-Filmfestivals

Das ursprünglich aus Kalifornien stammende Startup-Unternehmen „The Auteurs“, heute europäisch übernommen und mit Mitteln der EU ausgestattet, firmiert das Streaming Medium unter dem Namen „MUBI – unforgettable film“. MUBI „veranstaltet“ kleine Online-Filmfestivals.

Auf deren Website finden sich derzeit neben Leihfilmen, einem Live-Stream, einem Filmschul-Programm und einem Blog für Cineasten auch eine kleine feine Auswahl von Arthouse-Filmen, die selbst in Kinos nur selten zu sehen sind. Täglich wird ein Film addiert, während ein anderer hinausfällt – wie in einem Rotationsverfahren – ausgewählt von unterschiedlichen und unabhängigen KuratorInnen.

Ob diese oder andere 365-Tage-www-Varianten allerdings tatsächlich die Kinospannung im großen Saal und auf großer Leinwand, mit vielen anderen BesucherInnen als gemeinsames Erlebnis ersetzen oder zumindest einschränken kann, ist zu bezweifeln. Wahrscheinlich gilt es hier davon auszugehen, dass es sich um sinnvolle, wenn auch kommerzialisierte Ergänzungen handelt.

 

Während sich die Zielgruppe im Internet nur schwerlich fixieren lässt, auch wenn die entsprechenden Vorgaben seitens des Webpage-Inhabers recht zielführend gesetzt werden, definieren analoge Festivals sehr genau, für welche gesellschaftliche Gruppen und Interessensgebiete sie arbeiten.

Das zeigt sich nicht allein in der Themenauswahl der Filme, der Kategorisierung und den verschiedenen Sektionen in denen inhaltliche Schwerpunkte angeboten werden, sondern auch in der kuratorischen Arbeit. Denn bevor gut zwölf bis zwanzig Filme in einer Sektion gezeigt werden, müssen die KuratorInnen 120 bis 150 Filme erst einmal gesichtet und geprüft haben, bevor sie als tauglich und themenkonform erachtet werden können.

 

Publikumsfestivals versus Branchenfestivals

Publikumsfestivals agieren zudem vollkommen anders als Branchenfestivals. Die Filmauswahl eines Hauptprogramms, Rahmenprogramme wie Diskussionsveranstaltungen, KünstlerInnen-, RegisseurInnen- und SchauspielerInnengespräche, ‚Special Screenings‘, feierliche Preisverleihungen, Präsentationen von Technik- und Produktionsfirmen geben aufschlussreich Hinweise, um welchen Typus es sich handelt.

Für die Publikumsfestivals spielt eine große Rolle wie nah die Gäste den RegisseurInnen, SchauspielerInnen etc. kommen können. Wie sie eingebunden, welche besonderen Informationen bereitgestellt werden und welchen atmosphärischen Charakter das jeweilige Festival hat.

Filmfestival Locarno (Quelle Facebook)
Filmfestival Locarno (Quelle Facebook)

 

So ist die Open-Air-Veranstaltung des Filmfestivals im schweizerischen Locarno bei angenehmen abendlichen und nächtlichen Temperaturen im August auf der großen Piazza ebenso bedeutsam wie das Indoor-und Branchen-Programm im zumeist eisigkalten Berlin während der Berlinale im Monat Februar.

Die teilweise Einbindung der ganzjährigen kulturellen Aktivitäten und Veranstaltungshäuser einer urbanen Metropole in ein Festivalprogramm, beispielsweise wenn es zeitgleich zum Festival eine Storyboard- oder künstlerisch-filmische Ausstellung im Kunstmuseum, Konzerte mit Filmmusiken in Konzertsälen stattfinden, und dies nicht inflationär oder konkurrenzbelastet ist, dann ist das Publikums-freundlich.

Übrigens: im Gegensatz zu einer einzelnen Veranstaltung, die der/die Interessierte besucht, „bewohnen“ die BesucherInnen ein Festival. Sie haben nur hier die Möglichkeit – innerhalb eines kurzes Zeitraums – vergleichend unterschiedliche Werke zu einem Themenbereich zu erleben und reflektieren.

 

Wenn Kunst Festivals und Festivals Kunst hervorbringen

Filmfestivals sind keine Abspielveranstaltungen von bewegten Bildern mehr. Das wäre in der heutigen Zeit viel zu kurz gegriffen. Ein Filmfestival hätte keine Überlebenschance, ohne Individualisierung und Alleinstellungsmerkmale, inhaltlicher, regionaler und kooperativer Art und Weise.

Sie können sogar selbst Kulturproduktion hervorbringen und initiieren und dies wäre somit ein Glücksfall für alle Beteiligten.

 

Anhand von zwei funktionierenden Beispielen lässt sich dieser Glücksfall gut belegen:

Aspekte Salzburg 2018
Aspekte Salzburg 2018

Das „Aspekte Festival für Musik unserer Zeit“ in Salzburg kooperiert zwar noch nicht mit der „Viennale“, dem Wiener Filmfest – das kann ja noch kommen –, jedoch wurde 2017 dort bereits der Stummfilm „Orlacs Hände“ von Robert Wiene aus dem Jahr 1924 gezeigt.

Der Film handelt von einem Pianisten, der durch einen Unfall seine Hände verliert und dem neue – nämlich die eines verstorbenen Mörders – angenäht werden. Voller Dramatik entwickelt sich der expressive Plot mit all den Nöten und Ängsten, sowohl des Protagonisten als auch allgemein, jenen, der damaligen Zeit.

Eine denkbare Kooperation zwischen einem Film- und Musikfestival wäre bis zu diesem beschriebenen Punkt nichts außergewöhnliches, gäbe es den Kompositionsauftrag bei „Aspekte“ nicht!

Der aus Köln stammende und in Wien lebende Komponist Johannes Kalitzke (*1959) erarbeitete im Auftrag des Stuttgarter Kammerorchesters für diesen Stummfilm eine „Partitur der Ängste“.
Kalitzke hat mit Aufträgen dieser Art kompositorische Erfahrung.

Bereits sein 2012 kreierter Musikzyklus zum Stummfilm „Die Weber“ (1927) von Friedrich Zelnik nach dem gleichnamigen Drama (1893/1894) von Gerhart Hauptmann für die Berliner Festspiele zeigt eine musikalisch außerordentliche, eigenständige Kraft.

 

Klangbilder

Johannes Kalitzkes Orchestrierung entwickelt eine sehr empfindsame Annäherung sowohl an das Thema als auch das Filmformat. Er setzt Klangbilder ein, die wie Kritiken und eigenständige Deutungen erscheinen, indem sie über rein deskriptive Elemente hinausgehen, die Expressivität der Bilder unterstützen.
Gerade in der Qualität der Kommentierung und Deutung, im filmischen und musikalischen Thema des langsamen Energieverlusts von Widerstand liegt die künstlerische, souveräne Präsenz dieses Werks.

Die Komposition für „Orlacs Hände“ schafft, nach Aussage von Johannes Kalitzke, eine wiederum eigene, auch zeitliche Verbindung von expressionistischem Stummfilm (1924) und neuer musikalischer Textur (2018).
„Stummfilme“, so Kalitzke „verstehen sich als genuine Kunstform und explizit nicht als Entertainment. Es ist also nicht damit getan, das bewegte Bild zu illustrieren oder einfach nur zu verdoppeln. Es geht hier darum, die psychologischen Hintergründe zu kommentieren.

Der Film thematisiert zum größten Teil emotionale Projektion und Angstneurosen. Es sind die Verlustängste Paul Orlacs als Künstler und Pianist. Film wie Musik stellen das Innenleben dieser Person dar. Dieses dreht sich konsequent um das Klavier. Die gesamte musikalische Textur wird vom Innenleben des Klaviers aufgezogen. Insofern ist meine musikalische Betrachtung auf die psychologische Prozedur fokussiert.“

 

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Zebra Poetry Festival

Auch das „Zebra Poetry Festival“ im westfälischen Münster (vormals Berlin) ist eines jener Festivals, denen eine Brückenfunktion zwischen gleich mehreren Kulturfeldern zukommt.

Die Brücke zwischen Literatur (Poetik) und Film (Kurzfilm) hat einen sehr speziellen und funktionierenden Reiz, auch wenn einmal das eine Feld dominiert und mal das andere. Gegründet vom Haus der Poesie in Berlin, sollte einem literarischen Genre die Welt der Bilder hinzugefügt werden. Der Tradition der „Visuellen Poesie“ wird hier ebenso ein künstlerischer Raum gegeben wie auch dem intermedialen Denken und den performativen Präsentationen durch Lesungen.

In der Kombination einer Lesung und Filmvorführung wie etwa bei dem Rahmenprogrammpunkt „Masterclass Poetry Across the Borders“ im Jahr 2016 funktionierte Nähe und Distanz der beiden künstlerischen Genres auf eine ungewöhnliche Art und Weise. Der gemeinsame Workshop von jungen RegisseurInnen und einer Autorin aus Münster und Nimwegen/Niederlande ermöglichte dieses Zusammenspiel.

Poetry Filmfestival Münster (Foto Claus Friede)
Poetry Filmfestival Münster (Foto Claus Friede)

 

Die deutsch-niederländische Schriftstellerin Frouke Arns las schließlich auf dem Festival ihre Gedichte zunächst in Niederländisch vor. Anschließend zeigte man die jeweiligen dazugehörigen „Verfilmungen“ und danach trug sie den Text erneut in deutsch vor. Wer nun meint, die Filme seien schnöder Kommentar der Texte irrt ebenso wie diejenigen die glauben, es handle sich um die reine Bebilderung eines Gedichts.

Die Ergebnisse waren gegenseitige Inspiration, denn die Filmwerke nahmen die Lyrik zum Anlass für eigene, individuelle Auseinandersetzungen und eigene „Regie-Ichs“. Die Autorin wiederum verstand die Filme als Inspirationsquelle für neue Gedichte. Texte, Geschichten, Bilder und Atmosphären kreierten konstruktiv und beispielgebend ihre ganz eigenen persönlichen Kosmen.

 

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